Versicherungsbote: Frau Götzen, nach den erneuten Überschwemmungen zum Jahreswechsel wird wieder über eine Elementarschaden-Pflichtversicherung für Hausbesitzer diskutiert. Die Bundesländer fordern sie, um Deckungslücken zu vermeiden und künftig nicht mehr mit öffentlichen Geldern einspringen zu müssen. Halten Sie eine solche Pflichtversicherung für sinnvoll?

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Carina Götzen: Aktuell ist etwa die Hälfte der Gebäudebesitzer gegen Elementarschäden versichert. Die Versicherungsdichte ist abhängig von der sogenannten ZÜRS-Zone. Das ist ein System des Versicherungsverbandes, das jede Adresse in Deutschland einer Gefährdungszone für Überschwemmung, Rückstau und Starkregen zuordnet. In den exponierten Zonen ist es schwieriger, Versicherungsschutz zu erhalten - und wenn überhaupt, dann oft nur mit hohen Zuschlägen und/oder Selbstbehalten. Daher hätte eine Pflichtversicherung zunächst den Vorteil, dass alle Gebäudebesitzer abgesichert wären.

Ob ich persönlich eine Pflichtversicherung für sinnvoll halte, hängt letztendlich von deren konkreten Ausgestaltung ab. Ich kann viele der Argumente der Befürworter nachvollziehen, aber auch die Argumente gegen eine Pflichtversicherung. Ein Gegenargument, das häufig in die Diskussion eingebracht wird, ist, dass der Anreiz zur Prävention genommen wird, wenn im Schadenfall der Versicherer aufkommt. Hierbei denke ich beispielsweise, dass man dies über die Integration recht hoher Selbstbehalte entkräften kann. Kunden könnten selbst entscheiden, ob sie einen solchen Selbstbehalt gegen Prämienzuschläge reduzieren möchten. Eine Pflichtversicherung bedeutet nicht zwangsläufig, dass alle Gebäudebesitzer Versicherungsschutz zum gleichen Preis erhalten. Ich finde es wichtig, dass jeder die Möglichkeit bekommt, sich zu versichern.

Wie erklären Sie sich, dass die Verbreitung von Elementarschadenschutz bundesweit so stark schwankt und in einigen Regionen sehr gering ist? Sehen Sie hier auch Versäumnisse der Politik und/oder der Versicherungswirtschaft?

Durch die ehemalige Pflichtversicherung in Baden-Württemberg ist dort die Verbreitung der Elementarversicherung auch heute noch besonders hoch, 90 Prozent der Gebäude sind gegen Elementar versichert. Der bundesweite Durchschnitt liegt bei 50 Prozent. Überschwemmungen treten relativ selten auf - seltener als beispielsweise Stürme. Die Versicherungswirtschaft zeichnet exponierte Lagen entlang fließender Gewässer sehr selektiv, was zu deutlich unterdurchschnittlichen Anbündelungsraten in den hohen ZÜRS-Zonen führt.

Bei Starkregenereignissen berichten Betroffene oft, dass so etwas „hier noch nie passiert ist“. Und das ist das Tückische bei Starkregen - er tritt für einen einzelnen Ort sehr selten auf, aber es kann überall passieren. Aufgrund der Topographie variiert der resultierende Schaden sehr stark. Das wurde im Ahrtal besonders deutlich. Der viele Regen hätte anderswo nicht zu so hohen Schäden geführt.

Die Einführung einer Pflichtversicherung rückt immer wieder dann in den Fokus der Öffentlichkeit und Politik, wenn gerade ein Ereignis zu großen Schäden geführt hat. Angesichts des Klimawandels ist zukünftig mit einer zunehmenden Häufigkeit solcher Naturkatastrophen zu rechnen. Daher würde ich nicht von einem Versäumnis sprechen, sehe jedoch den zunehmend dringlichen Handlungsbedarf - auch, bevor der nächste große Schaden eintritt.

Was könnte getan werden, um den Verbreitungsgrad auf freiwilliger Basis zu erhöhen? Aufklärung allein reicht offenbar nicht aus: Der Versichererverband GDV berichtet, dass nach der Katastrophe im Ahrtal die Neuabschlüsse zunächst stiegen, dann aber wieder deutlich zurückgingen.

Aus meiner Sicht sollte der Grundgedanke der Versicherung stärker in den Fokus gestellt werden: garantierter Schutz im Schadenfall, gerade bei existenzbedrohenden Risiken. Bei Elementarschäden sprechen wir nicht selten von Totalschäden.


Ich halte den Vorschlag der sogenannten Opt-out-Lösung für einen ersten Schritt in die richtige Richtung. Dabei ist die Elementarversicherung standardmäßig inbegriffen; und der Kunde muss sie explizit abwählen. Dies ist natürlich zunächst nur bei Neuabschlüssen einfach umsetzbar.

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Bei bestehenden Verträgen ist eine Umstellung rechtlich nicht ohne Weiteres möglich - hier bedarf es eines gesonderten gesetzlichen Rahmens. Jedoch wird es Gebäudebesitzer geben, die sich gegen die Elementardeckung entscheiden. Eine weitere Option bestünde darin, den Abschluss einer Elementarversicherung für neu erworbene Gebäude verpflichtend an die Finanzierungszusage zu koppeln, ähnlich wie es bei der Feuerversicherung der Fall ist.

obligatorische Elementarschadenversicherung: 190 Euro im Jahr

Sie haben für Meyerthole Siems Kohlruss ausgerechnet, was es kosten würde, wenn es eine Einheitsprämie für eine obligatorische Elementarschadenversicherung gäbe: 190 Euro im Jahr. Das scheint machbar. Wer wären die Gewinner und wer die Verlierer einer solchen Einheitsprämie?

Die jährlichen Kosten von 190 Euro decken ausschließlich den Schutz gegen Überschwemmungsschäden ab; die Prämien für andere Elementarrisiken wie Erdbeben sind in dieser Berechnung nicht enthalten. Betrachtet man die aktuellen Prämien für das Überschwemmungsrisiko in den verschiedenen ZÜRS-Zonen, so zeigt sich eine erhebliche Spannbreite: von etwa 80 Euro Prämie in den günstigsten Gebieten bis hin zu deutlich über 2.000 Euro in besonders gefährdeten Lagen. Über 80 Prozent der Gebäudebesitzer zahlen demnach weniger als 190 Euro für den Überschwemmungsschutz. Mir ist wichtig zu betonen, dass dies lediglich ein Rechenbeispiel zur Veranschaulichung ist und nicht meine bevorzugte Umsetzung einer Pflichtversicherung widerspiegelt.

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Die Versicherungswirtschaft argumentiert, dass grundsätzlich schon heute jedes Haus in Deutschland gegen Hochwasserrisiken versicherbar ist - mit ganz wenigen Ausnahmen. Finden Hausbesitzer in gefährdeten Hochrisikogebieten Schutz - zu welchen Bedingungen und Preisen?

Die meisten Versicherer zeichnen Risiken in den ZÜRS-Zonen 1 bis 3, während Gebäude in der ZÜRS-Zone 4 entweder mindestens einer Anfragepflicht unterliegen oder überhaupt keinen Versicherungsschutz erhalten. Dies gilt bereits für einige Gebäude in der ZÜRS-Zone 3. Die Prämien belaufen sich oft auf deutlich über 2.000 Euro pro Jahr und können in der ZÜRS-Zone 4 sogar über 3.000 Euro liegen. Die Versicherung dieser Gebäude erfolgt jedoch individuell. Kunden, die Präventionsmaßnahmen nachweisen können, erhalten Versicherungsschutz.

Statt einer „Einheitsprämie“ schlägt der GDV vor, dass Wohngebäudepolicen künftig standardmäßig einen Elementarbaustein enthalten, der aber vom Versicherungsnehmer aktiv per Opt-out abgewählt werden kann. Gleichzeitig drängt der Verband darauf, dass Versicherer statt einer Einheitsprämie Risiken individuell kalkulieren können. Wie beurteilen Sie diesen Vorschlag? Könnte er dazu beitragen, eine nahezu flächendeckende Versorgung mit Elementarschutz zu erreichen?

Ich schätze die Opt-out-Lösung als ein Instrument ein, um die Versicherungsdichte im Bereich der Elementardeckung zu erhöhen, jedoch wird sie allein nicht zu einer flächendeckenden Abdeckung führen. Im Falle einer Katastrophe werden wir erneut vor der Frage stehen, welche Unterstützung den nicht versicherten Gebäudebesitzern gewährt werden soll. Die differenzierte Tarifierung entsprechend des Risikos ist in allen Versicherungsbereichen gängige Praxis. Diejenigen Versicherer, die dies besonders beherrschen, haben einen Wettbewerbsvorteil.

"Die Versicherungswirtschaft kann das Risiko allein tragen"

Ein Argument der Versicherungswirtschaft gegen eine „Einheitsprämie“: Schon jetzt werde zu viel in gefährdeten Regionen gebaut und an Prävention gespart. Das könnte sich verschärfen, wenn praktisch jedes Haus versichert ist, sodass dann noch mehr in Hochrisiko-Gebieten gebaut werde. Eine berechtigte Sorge? Wie müsste eine Versicherungspflicht mit Prävention begleitet werden?

Wenn man bei einer Pflichtversicherung tatsächlich von einer Einheitsprämie ausgehen würde, sehe ich die Gefahr eines mangelnden Anreizes zur Prävention ebenfalls. Aus meiner Perspektive ist es daher entscheidend, dass der Grundgedanke einer Pflichtversicherung darin besteht, jedem einen garantierten Schutz im Schadensfall zu bieten. Durch den Nachweis von Präventionsmaßnahmen oder die Bereitschaft, einen Teil des Schadens in Form eines Selbstbehalts selbst zu tragen, sollten entsprechende Prämiennachlässe gewährt werden.

Wie bewerten Sie die Gründung von Elementarschadenpools, vielleicht sogar unter Beteiligung des Staates? Werden solche Konstrukte sogar notwendig, weil zunehmende Unwetterrisiken sich zunehmend als Kumulrisiko entpuppen könnten?

Grundsätzlich bin ich der Auffassung, dass das Risiko von der Versicherungswirtschaft alleine getragen werden kann. Die Rückversicherer geben an, dass bei adäquaten Preisen ausreichende Kapazitäten verfügbar sind. Allerdings werden höhere Selbstbehalte gefordert, was wiederum die Solvabilität der Versicherer belastet. Möglicherweise könnten sich auch mehrere mittelständische Versicherer zusammenschließen, um in einem Pool nicht nur Statistiken auszutauschen, sondern gemeinsam Rückversicherung einzukaufen oder die Elementarschäden gar zusammen in einem Risiko-Pool zu tragen.

MSK hat mit „Rain Chaser“ ein eigenes Starkregen-Modell entwickelt, das sich von dem des GDV unterscheidet. Weshalb ist das aus Ihrer Sicht notwendig bzw. vorteilhaft? Wo genau liegen die Unterschiede?

Insbesondere Starkregenereignisse treten lokal sehr zufällig auf und betreffen oft Gebiete, in denen in der Vergangenheit noch nie Schäden beobachtet wurden. „Noch nie“ bedeutet hier in den letzten 50 Jahren - solange reichen maximal valide Schadenaufzeichnungen zurück. Dies hat uns dazu veranlasst, einen Ansatz zu entwickeln, der ohne Berücksichtigung historischer Wetterereignisse oder Schadenhistorien arbeitet.

Wir simulieren den vollständigen Wasserabfluss bei extrem starkem Regen basierend auf einem äußerst präzisen digitalen Höhenmodell. Auf diese Weise identifizieren wir Gebäude, bei denen sich im Falle eines solchen Ereignisses besonders viel Wasser ansammeln würde. Wir haben festgestellt, dass es im Ahrtal Adressen gab, die nach den gängigen Zonierungsmodellen vor dem Hochwasserereignis dort noch nicht als besonders gefährdet eingestuft waren. Jedoch hat unser Modell diese Adressen bereits ohne Kenntnis des Schadens im Sommer 2021 als äußerst exponiert eingestuft. Versicherer, die die MSK-Starkregenzonierung verwenden, nutzen diese Informationen, um Transparenz über die Risikogefährdung im eigenen Portfolio zu erhalten - zum Beispiel, um den Anteil der versicherten Gebäude zu bestimmen, deren Exposition nach der bisherigen Gefahreneinteilung noch nicht bekannt war; oder um die Regionen mit den größten Kumulrisiken zu identifizieren. Erste Gebäudeversicherer verwenden die alternative Starkregenzonierung auch bei der Prämiengestaltung. Aus unserer Sicht ist die detaillierte Kenntnis der eigenen Risiken ein entscheidender Wettbewerbsvorteil.

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Die Fragen stellte Mirko Wenig

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