Hintergrund: Damit Versicherer ihre Verpflichtungen gegenüber den Kunden dauerhaft erfüllen können, schreibt das Solvency-Aufsichtsregime vor, auch für wirtschaftlich schwere Zeiten genügend Eigenmittel als Polster vorzuhalten. Zentral hierfür sind die Solvenzquoten (SCR-Quoten). Für diese Quoten ist nicht der „Normalbetrieb“ relevant, sondern die Simulation eines wirtschaftlichen Extrem-Ereignisses, das alle 200 Jahre auftritt. Erreicht ein Versicherer eine Quote von mindestens 100 Prozent, hat er genügend Eigenmittel, um eine solche Situation zu stemmen.

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Dokumentiert werden die Solvenzquoten in den Berichten zur Solvabilität und Finanzlage (SFCR). Diese werden durch die Unternehmen jährlich der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) vorgelegt und müssen auch für die Verbraucher veröffentlicht werden. Und wie jedes Jahr haben die Experten von Assekurata aktuelle Berichte ausgewertet und nun Zahlen für 2023 veröffentlicht.

Und die Bedingungen, zu denen die Versicherer 2023 wirtschafteten, sind ähnlich wie im Jahr zuvor. Der Leitzins der Europäischen Zentralbank wurde 2023 nochmals in mehreren Schritten angehoben bis auf 4,5 Prozent (gültig ab 20. September 2023). Insgesamt haben steigende Leitzinsen ab Sommer 2022 den Versicherern Luft bei der Zinszusatzreserve (ZZR) verschafft – bei jener Reserve, die für hohe Zinsgarantien der Vergangenheit nachreserviert werden musste. Da durch das neue Zinsniveau keine neuen Tarifgenerationen bedacht werden mussten, floss ab 2022 Geld aus der Zinszusatzreserve ins aktive Kapital der Versicherer zurück. Freilich: Der Referenzzinssatz gilt weiterhin; er liegt seit 2021 bei 1,57 Prozent. Das bedeutet: Für alle Garantien oberhalb 1,57 Prozent müssen die Lebensversicherer aktuell Gelder in die Zinszusatzreserve geben.

Ein aktuelles Problem der Lebensversicherer bleiben stille Lasten. Noch in den letzten Jahren profitierten die Unternehmen viel von festverzinslichen Wertpapieren mit langer Laufzeit, die in der Hochzins-Phase erworben wurden. Weil die hohen Zinsen der Papiere den Marktwert weit über den Kaufwert hoben, konnten Verluste aus dem Niedrigzinsumfeld weitestgehend durch Überschusskapital und stille Reserven aufgefangen werden. Noch 2021 lagen die branchenweiten Bewertungsreserven bei über 150 Mrd. Euro.

In Zeiten steigender Zinsen aber kehrt sich der Effekt um: Nun sinkt der Marktwert unter den Kaufwert, weil lang laufende Anlagen nicht die Potenz des aktuellen Marktgeschehens wiedergeben. Geschätzt werden Lasten von branchenweit über 200 Mrd. Euro. Stille Lasten sind aber nur dann ein Problem, wenn vor Ablauf der vereinbarten Fristen auf festverzinsliche Wertpapiere zugegriffen werden muss. Der Realisierungsdruck hängt hier stark von der individuellen Storno- und Liquiditätssituation ab: bei vielen Stornos und niedriger Liquidität steigt das Risiko, dass Wertpapiere vor Ablauf der Frist veräußert werden.

Aufsichtsrechtliche Solvenzquote: der Durchschnitt sinkt leicht

Auf die Solvenzquoten haben aber nicht nur Leitzins und Referenzzinssatz Einfluss, sondern auch die Zinssituation am Markt. Das Zinsniveau ist hier seit Herbst 2023 aber wieder etwas gesunken, erklären die Experten von Assekurata: So lag beispielsweise die Rendite von zehnjährigen Bundesanleihen Ende 2023 bei 2,03 Prozent, während sie ein Jahr zuvor noch bei 2,56 Prozent rentierte.

Einfluss hat dies insbesondere auf die aufsichtsrechtliche Solvenzquote: also jene Quote, in die auch Volatilitätsanpassung und Übergangsmaßnahmen eingeflossen sind: der branchenweite Durchschnitt dieser Quote (Solvenzquote + ÜM + VA) sank von 618,60 Prozent auf 572,96 Prozent in 2023. Allerdings muss hierzu ergänzt werden: die Quote ist hoch genug, dass die Versicherer das simulierte Extrem-Szenario gemäß Durchschnitt noch mehr als fünf Mal mit eigenen Mitteln stemmen können.

Basisquote verbessert sich

Dass der Einfluss der Marktzinsen aber mehr auf Übergangsmaßnahmen als auf die Quote selbst Einfluss nimmt, zeigt der Schnitt der Basisquote – also der Quote ohne Volatilitätsanpassung und Übergangsmaßnahmen. Denn diese verbessert sich in 2023 von 314,96 Prozent auf 324,06 Prozent.

Basisquote, Volatilitätsanpassung, Übergangsmaßnahmen: die Grundlagen

Zur Beurteilung der Solvenzquoten müssen aber zunächst Basisquote und die aufsichtsrechtliche Solvenzquote unterschieden werden. Denn bis Ende 2031 können Lebensversicherer noch verschiedene Hilfsmaßnahmen bei Berechnung ihrer Solvenzquoten nutzen. Die so errechnete Bruttoquote kann wesentlich von der Netto- bzw. Basisquote abweichen.

  • Netto- oder SCR-Quote (oder auch Basisquote): ist jene Quote, die ein Versicherer ohne Übergangshilfen und Volatilitätsanpassung errechnet. Sie liegt in 2023 bei durchschnittlich 324,06 Prozent.
  • Die Volatilitätsanpassung (VA) gemäß Paragraf 82 Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) erlaubt jedoch, Anleihen höher zu bewerten, wenn sie nur vorübergehend an Wert verlieren – etwa, weil sie zu einem festen Wert später wieder verkauft werden können. Die Volatilitätsanpassung erhöht die Basisquote 2023 durchschnittlich um 33,11 Prozentpunkte.
  • Und Paragraf 352 VAG ermöglicht Übergangsmaßnahmen für versicherungstechnische Rückstellungen (Ü): Die BaFin kann Versicherern die Genehmigung erteilen, ihre Rückstellungen nicht sofort auf Grundlage von Solvency II zu bewerten, sondern erst nach und nach mit mehrjähriger Verzögerung. Dies ist die wirkungsvollste Maßnahme: sie hebt die Basisquote in 2023 um durchschnittlich 215,79 Prozentpunkte nach oben.

Versicherungsbote stellt die Lebensversicherer mit den besten Basisquoten vor

Die folgende Bildstrecke stellt Lebensversicherer mit der besten Basisquote vor – also mit jener Quote, in die noch keine Übergangsmaßnahmen für versicherungstechnische Rückstellungen und noch keine Volatilitätsanpassung eingeflossen sind. Allerdings gilt zu beachten: selbst ein Ranking nach Basisquoten hat Nachteile. Denn dadurch werden Unternehmen begünstigt, die kein breites Produktportfolio abdecken, sondern einen Schwerpunkt im Risikogeschäft haben. Leiden diese Unternehmen doch weniger unter teuren Altbeständen, die ein hohes Eigenmittel-Puffer erfordern.

Hinzu kommt: Auffallend haben Versicherer mit den besten Quoten auch ein kleines Geschäftsvolumen. Oder es handelt sich um Versicherer, die sich stark auf das Neugeschäft konzentrieren können – wie zum Beispiel die Ergo Vorsorge. Diese profitiert davon, dass die Ergo Leben die Altlasten trägt und die teuren Altverträge der Ergo intern abwickelt.

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Alle Solvenzquoten sind einer Übersicht der Analyse-Experten von Assekurata entnommen. Eine Presseerklärung und eine Tabelle mit dem Zahlenmaterial ist auf der Webseite des Unternehmens aus Köln verfügbar. Zudem werden einige Informationen aus dem aktuellen Branchenmonitor Lebensversicherung der V.E.R.S. Leipzig GmbH ergänzt.