In einer zunehmend vernetzten Welt, wo Grenzen immer durchlässiger werden und internationale Beziehungen sowohl im persönlichen als auch im geschäftlichen Bereich zur Norm gehören, gewinnt das internationale Erbrecht an Bedeutung. Dieses Rechtsgebiet, das traditionell in den nationalen Kontext eingebettet war, sieht sich nun mit der komplexen Aufgabe konfrontiert, grenzüberschreitende Sachverhalte zu regeln. Für deutsche Staatsangehörige und Personen mit Vermögenswerten in Deutschland stellt dies eine besondere Herausforderung dar. Die Fragestellungen reichen von der Bestimmung der anwendbaren Rechtsordnung über die Abwicklung internationaler Erbschaften bis hin zur steuerlichen Behandlung grenzüberschreitender Vermögensübertragungen. Für Vermögensinhaber und ihre Berater entstehen dadurch sowohl Chancen als auch Herausforderungen. Diese Entwicklungen verlangen ein neues Maß an Expertise, Flexibilität und interkulturellem Verständnis.

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Stefan Rattay ist Steuerberater und Partner der multidisziplinären Kanzlei WWS Wirtz, Walter, Schmitz & Partner mbB© Frank Kind - WWS

Hohe juristische Komplexität des internationalen Erbrechts

Für Finanz- und Vermögensberater stellt das internationale Erbrecht eine besondere Herausforderung dar. Sie müssen nicht nur mit den Gesetzen ihres eigenen Landes vertraut sein, sondern auch ein Verständnis für die Rechtssysteme und -praktiken anderer Länder haben. Die juristische Komplexität des internationalen Erbrechts ergibt sich aus der Notwendigkeit, verschiedene Rechtssysteme miteinander in Einklang zu bringen. Beispielsweise kann die Anwendung deutschen Erbrechts auf ausländisches Vermögen zu Konflikten mit dem lokalen Recht führen. Die EU-Erbrechtsverordnung hat zwar einige Aspekte vereinfacht, indem sie festlegt, dass grundsätzlich das Erbrecht des Landes gilt, in dem der Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, aber Ausnahmen und Sonderregelungen bleiben bestehen.

Dabei stellen sich aber schon wichtige Fragen. was bedeutet dieser „gewöhnliche Aufenthalt“ in der Praxis? Wann liegt ein „gewöhnlicher Aufenthalt“ vor, wann nicht? Die Bestimmung ist nicht immer ganz einfach, wie auch das Bundesjustizministerium in einer Publikation zur Europäischen Erbrechtsverordnung mitteilt. Der gewöhnliche Aufenthalt sei durch eine Gesamtbeurteilung der Lebensumstände des Erblassers festzulegen. Kriterien könnten dabei zum Beispiel sein, wie lange und wie regelmäßig sich jemand in dem betreffenden Staat aufhält beziehungsweise wo sein Lebensmittelpunkt in familiärer oder sozialer Hinsicht sei. Es ist also in der Praxis nicht damit getan, über die Destination des gewöhnlichen Aufenthalts zu spekulieren; es muss vielmehr darum gehen, eine rechtssichere Bewertung anzustellen, um böse Überraschungen zu vermeiden.

Europäisches Nachlasszeugnis als wesentliche Weiterentwicklung

Die EU hat mit der Erbrechtsverordnung einen Rahmen für die einheitliche Behandlung von Erbfällen geschaffen und bestimmt damit für den gesamten Nachlass, welches nationale Erbrecht zur Anwendung kommt. Dabei wird nicht zwischen beweglichem und unbeweglichem Vermögen unterschieden (sogenannter Grundsatz der Nachlasseinheit). Die Idee dahinter ist: ein Erbfall, ein Gericht, ein Recht, ein europäisches Nachlasszeugnis. Ein und derselbe Erbfall soll also im Prinzip vor den Gerichten nur eines Staates nach dem dort geltenden Recht abgewickelt werden. Auch das europäische Nachlasszeugnis ist eine wichtige Neuerung der Verordnung. Es ermöglicht Erben und Testamentsvollstreckern, ihre Rechtsstellung und Befugnisse in anderen EU-Mitgliedstaaten leichter nachzuweisen. Dieses Zeugnis wird in allen Mitgliedstaaten anerkannt und erleichtert die Abwicklung internationaler Erbschaften erheblich.

Internationales Erbschaftsteuerrecht braucht sorgfältige Planung und Beratung

Neben den rechtlichen Fragen spielen steuerliche Aspekte eine wichtige Rolle. Die Erbschaftssteuerregelungen variieren stark zwischen den Ländern. Ein Vermögensinhaber mit Bezügen zu mehreren Ländern könnte daher mit einer komplexen steuerlichen Situation konfrontiert werden. Internationale Doppelbesteuerungsabkommen können hier zwar Abhilfe schaffen, jedoch erfordert dies eine sorgfältige Planung und Beratung. Deutschland hat mit nur sechs Ländern Doppelbesteuerungsabkommen im Bereich der Erbschaftssteuer geschlossen. Diese Abkommen sollen verhindern, dass das gleiche Erbe in beiden Ländern besteuert wird. Es ist jedoch von entscheidender Bedeutung, die spezifischen Regelungen des jeweiligen Abkommens sowie die Steuergesetze des betreffenden Landes genau zu kennen, um unangenehme und vor allem teure finanzielle Überraschungen zu vermeiden. Oft ist nämlich bei letztem Wohnsitz in einem anderen Land (auch) dort Erbschaftsteuerpflicht gegeben. Die nationalen erbrechtlichen oder steuerrechtlichen Vorschriften bleiben von der Verordnung unberührt, die Gefahr der Doppelbesteuerung besteht. In Frankreich beispielsweise beträgt die Erbschaftsteuer auch für Kinder und Enkelkinder bis zu 45 Prozent. Es existiert mithin ein großes Risiko, es mit einer ausländischen Finanzbehörde zu tun zu bekommen. Steuerplanung ist daher vor allem für Senioren, die das letzte Lebensdrittel viel im Ausland verbringen wollen, ein dringendes Gebot der Stunde.

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Zusammengenommen bedeutet das: Durch frühzeitige Beratung können potenzielle Probleme, die sich aus der Anwendung verschiedener Rechtssysteme ergeben, erkannt und vermieden werden. Finanz- und Vermögensberater können ihren Mandanten helfen, die Komplexität des internationalen Erbrechts zu navigieren und rechtliche Fallstricke zu vermeiden, indem sie frühzeitig spezialisierte Experten in den Beratungsprozess einbinden. Eine proaktive Beratung ermöglicht eine strategische Planung des Nachlasses unter Berücksichtigung internationaler Aspekte. Dies kann die Erstellung international gültiger Testamente oder die Einrichtung von Trusts beinhalten, um eine reibungslose und effiziente Vermögensübertragung zu gewährleisten.

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