Die Deutschen unterschätzen massiv die finanziellen Folgen der Pflegebedürftigkeit. Darauf macht aktuell das „Bündnis für eine solidarische Pflegeversicherung“ aufmerksam, das eine aktuelle Forsa-Umfrage zu Pflegekosten in Auftrag gegeben hat. Dem Bündnis gehören unter anderem der Paritätische Gesamtverband, die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di sowie der BIVA-Pflegeschutzbund an.

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Pflegeheim: bis zu 100.000 Euro aus eigener Tasche

Wer sich nicht mehr selbst versorgen könne, müsse im Alter damit rechnen, dass bis zum Lebensende bis zu 100.000 Euro Eigenanteil für die Pflege zu leisten sei – trotz Pflegeversicherung, warnte Manfred Stegger, Vorsitzender des BIVA-Pflegeschutzbundes, bei der Vorstellung der Umfrage in Berlin. „Pflegebedürftig zu werden ist, ein solch hohes Lebensrisiko, und es ist nicht angemessen abgesichert“, zitiert ihn das „Handelsblatt“. Stegger verwies auf das hohe Risiko, im Alter pflegebedürftig zu werden: Die würde jede Zweite bzw. jeden Zweiten betreffen.

Derzeit müssen Pflegebedürftige im ersten Jahr ihres Aufenthaltes in einem Pflegeheim durchschnittlich rund 2.700 Euro pro Monat selbst aufbringen, berichtet der BIVA-Pflegeschutzbund in einem Pressetext. Davon entfallen allein auf die pflegerische Versorgung rund 1250 Euro, der Rest setzt sich zusammen aus Kosten für Unterkunft und Verpflegung sowie Investitionskosten. Und hier zeigt die Forsa-Umfrage, dass die Bürgerinnen und Bürger mit diesen Kosten zunehmend überfordert sind. Nur eine Minderheit von 14 Prozent geht laut Umfrage davon aus, diese Kosten im Pflegefall selbst stemmen zu können. Lediglich sechs Prozent der Befragten halten Zusatzkosten in dieser Höhe trotz Pflegeversicherung für angemessen.

Und die Situation dürfte sich zukünftig weiter verschärfen, denn es ist mit immer mehr Pflegebedürftigen zu rechnen. Nach Daten des Statistischen Bundesamtes lebten zum Jahresende 2021 rund fünf Millionen Pflegebedürftige in Deutschland, die Leistungen nach dem Pflegeversicherungsgesetz (SGB XI) erhielten. Die Zahl der Pflegebedürftigen könnte nach den Vorausberechnungen der Behörde auf 6,9 Millionen im Jahr 2035 ansteigen. Pflegebedürftige Heimbewohnerinnen und Heimbewohner machen hiervon rund ein Fünftel aus. Das Gros der Pflegebedürftigen wird nach wie vor von Angehörigen zuhause betreut.

Selbst bei FDP-Anhängern Mehrheit für solidarische Vollversicherung

Das „Bündnis für eine solidarische Pflege“ setzt sich für einen Ausbau der Pflegeversicherung von einer Teilkasko- in eine Vollkaskoversicherung ein. Diesbezüglich zeigt die Forsa-Umfrage überraschende Ergebnisse. Eine große, parteiübergreifende Mehrheit der Bevölkerung würde den Ausbau zu einer Pflegevollversicherung begrüßen - auch bei Anhängern jener Parteien, bei denen man dies nicht unbedingt erwarten würde.

Nicht nur Anhänger von SPD (79 Prozent) und der Grünen (81 Prozent) würden demnach eine Pflegevollversicherung begrüßen, sondern zum Beispiel auch Anhänger der CDU (78 Prozent) sowie der FDP (76 Prozent). 81 Prozent der Befragten sprechen sich für eine Pflegevollversicherung statt des „Prinzips Teilkasko“ aus.

Um diese Pflegevollversicherung zu finanzieren, schlägt das Bündnis für eine solidarische Pflege vor, alle Einkommen, auch jene aus Kapitalerträgen, zur Erhebung der Beiträge heranzuziehen. Bisher gilt das nur für Einkommen aus abhängiger Beschäftigung. Zudem solle die Beitragsbemessungsgrenze in der Kranken- und Pflegeversicherung auf das Niveau der Rentenversicherung angehoben werden.

Bündnis für solidarische Pflegeversicherung

Darüber hinaus spricht sich das Bündnis für die Zusammenführung von gesetzlicher und privater Pflegeversicherung aus. Und trifft damit einen wunden Punkt. Denn die privaten Pflegeversicherer haben zum Teil deutlich niedrigere Kosten als die gesetzlichen, was nicht unbedingt damit zu tun hat, dass sie besonders gut wirtschaften. Private Krankenversicherer können - mit Ausnahme des Basistarifs - Personen mit Vorerkrankungen ablehnen oder mit saftigen Risikozuschlägen „bestrafen“, wie immer wieder kritisiert wird: Also sich Versicherte mit guten Gesundheitsrisiken herauspicken.

Zudem sind mehr als die Hälfte aller Privatversicherten beihilfeberechtigt. Der Dienstherr, also Bund oder Land, übernimmt einen Teil der Pflegekosten: finanziert aus Steuergeldern. Den Privatversicherern kommt dabei zusätzlich zugute, dass Beamte ohnehin deutlich geringere Gesundheitsrisiken haben als körperlich schwer arbeitende Menschen, wie zum Beispiel Auswertungen des DIW Berlin zeigen. Laut der Studie "Pflegereport 2019" von Stefan Greß et al. hatten die Privatversicherer in den Jahren 2016/2017 im Schnitt 295 Euro weniger Pflegekosten pro Versichertem und Jahr: neuere Erhebungen hierzu fehlen.

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Hintergrund: Die repräsentative Umfrage wurde vom 1. August bis 7. August 2023 vom Markt- und Meinungsforschungsinstitut Forsa im Auftrag des Bündnisses für eine solidarische Pflegevollversicherung durchgeführt. Insgesamt wurden 1010 Personen über 18 Jahre im Rahmen der Mehrthemenumfrage des repräsentativen Online-Befragungspanels forsa.Omninet befragt.

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