In der Debatte um die Zukunft der Rente hat sich vor wenigen Tagen die SPD-Vorsitzende Saskia Esken positioniert: und eine Erhöhung des Renteneintrittsalters kategorisch ausgeschlossen. “Mit der SPD wird es keine Erhöhung des Renteneintrittsalters geben“, so sagte die SPD-Vorsitzende Medien der Funke Gruppe. Und weiter: „Wir haben großen Respekt vor der Arbeitsleistung der Menschen. Die Erhöhung des Renteneintrittsalters wäre ungerecht und für viele eine versteckte Rentenkürzung.“ Zudem sieht der Gesetzentwurf der Bundesregierung für eine Rentenreform („Rentenpaket 2“) vor, eine weitere Erhöhung des Renteneintrittsalters über das 67. Lebensjahr hinaus bis 2040 auszuschließen.

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Zu diesen Vorhaben meldet sich nun Tobias Kohlstruck zu Wort, Finanzwissenschaftler an der Universität Freiburg und Leiter Steuern und Staatsfinanzen bei der Stiftung Marktwirtschaft: einer Denkfabrik, das sich weitgehend aus Unternehmensspenden finanziert und für einen schlanken Staat lobbyiert. Die Stiftung hat sich wiederholt für eine längere Lebensarbeitszeit ausgesprochen.

“Irgendwann Überforderung der Beitragszahler“

In einem Interview mit der „Welt“ umschreibt Kohlstruck zunächst die Ausgangssituation: In den nächsten 15 Jahren werden die geburtenstarken Jahrgänge in Rente gehen, was problematisch sei. Hierfür identifiziert Kohlstruck „mehrere Stellschrauben“: das Renteneintrittsalter, das Leistungsniveau in der Gesetzlichen Rentenversicherung und die finanzielle Ausstattung des Systems durch die Beitrags- und Steuerzahler. „Wenn wir nun sagen, wir wollen keine weiteren Steuerzuschüsse, dann bleibt nur noch eine deutliche Erhöhung der Beitragssätze, die Erwerbstätige wie Unternehmen belastet“, sagt Kohlstruck. Weitere potentielle Stellschrauben außer den drei erwähnten nennt der Ökonom nicht: etwa, dass wie in Österreich auch Beamte und Unternehmer in die Rentenversicherung einzahlen müssen.

Saskia Eskens Vorstoß, das Renteneintrittsalter dauerhaft festzuschreiben und eine Erhöhung auszuschließen, kritisiert Kohlstruck. Damit nehme man sich den Spielraum, um eine Mittelweglösung zu finden. „Eine solche könnte der Nachhaltigkeitsfaktor sein, der dafür sorgen soll, dass sich das Rentenniveau stets am Verhältnis von Rentenempfängern zu Beitragszahlern orientiert“, sagt der Ökonom. Der Nachhaltigkeitsfaktor würde die demographische Entwicklung berücksichtigen, aber „dieser Spielraum wurde mit der doppelten Haltelinie bei Beitragssatz und Rentenniveau quasi ausgeschaltet“.

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Wenn man das Rentenniveau hingegen dauerhaft bei 48 Prozent sichern will, müsste bis 2060 der Beitragssatz zur gesetzlichen Rente auf 28 Prozent steigen und die Hälfte des Bundeshaushalts als Zuschuss in die Rentenversicherung fließen, warnt der Freiburger Sozialwissenschaftler. Der Interviewer verweist darauf, dass sich das Verhältnis von Altersrentnern zu Erwerbspersonen hat von 6:1 in den 1960er-Jahren auf 2:1 reduziert hat. Und stellt die Frage, warum sich die Gesellschaft um „unbequeme Wahrheiten“ drücke. Kohlstruck entgegnet: „Ein Teil der Gesellschaft hat das Problem sicher verstanden. Die Politik allerdings scheint nicht bereit, eine langfristige, fiskalisch nachhaltige Lösung zu finden“. Es werde „irgendwann zu einer Überforderung der Beitragszahler kommen. Und wenn man sagt, die jungen Menschen müssen privat vorsorgen, dann fragt man sich: wovon denn, wenn ihnen immer mehr vom Lohn abgezogen wird?“, so der Ökonom.

Abrücken von Äquivalenzprinzip keine Option?

Tobias Kohlstruck wird vom Interviewer der „WELT“ auf einen anderen Reformvorschlag angesprochen: die Abkehr vom Äquivalenzprinzip. Also stark vereinfacht, dass wenn man wenig Rente erhält, wenn man auch wenig eingezahlt hat, und viel Rente, wenn man viel einzahlt. So hat unter anderem der wissenschaftliche Beirat im Bundeswirtschaftsministerium vorgeschlagen, das Rentenniveau nicht für alle Einkommensgruppen zu sichern. Folglich sollen gesetzlich Rentenversicherte mit hohen Einkommen im Zweifel weniger Rentenansprüche für ihre Beiträge erwerben.

Kohlstruck hält davon nichts. „Es könnte zu Akzeptanzproblemen des Rentensystems führen, wenn jemand weiß, er zahlt Beiträge, bekommt dafür aber nicht das, was ihm gemäß seiner Beiträge zustünde“, sagt er. Altersarmut zu verhindern, sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, „die der Steuerzahler über die Sozialhilfe zu leisten hat“.

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Ausgangspunkt über die Debatte um das Äquivalenzprinzip ist aber genau jenes Legitimationsproblem der Rente, wenn auch aus der Bottom-up-Perspektive. So hat unter anderem Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung Berlin (DIW), darauf hingewiesen, dass Menschen mit geringerem Einkommen im Schnitt eine fünf bis sieben Jahre niedrigere Lebenserwartung haben als Menschen mit höheren Einkommen: und folglich auch weniger lang von ihrer Rente profitieren können. Fratzscher verwies darauf, dass in den meisten Industrienationen Menschen mit geringem Einkommen tendenziell höhere Rentenansprüche auf ihre Beiträge erwerben, Deutschland hier folglich eine Ausnahme bilde.

Statt das Rentenalter zwangsweise raufzusetzen und gerade Einkommensschwache Berufsgruppen mit Abschlägen zu bestrafen, spricht sich Fratzscher dafür aus, das Rentenalter zu flexibilisieren und Hürden für jene Menschen abzubauen, die länger arbeiten können und wollen. Positive Anreize statt Zwang, sozusagen.

Kapitalstock in der Rente kommt zu spät

Das von der Bundesregierung geplante Generationenkapital -ein zusätzlicher Kapitalstock, um das Umlagesystem der gesetzlichen Rente zu entlasten- kommt nach Ansicht von Kohlstruck aber zu spät und fällt zu niedrig aus, um seine Wirkung zu entfalten. Der Ökonom stimmt dem Interviewer zu, dass es sich ein Stück weit um eine „Mogelpackung“ handle. Zehn Milliarden Euro sind für dieses Jahr angedacht, aber die Deutsche Rentenversicherung gebe schon an einem einzigen Tag eine Milliarde Euro aus, gibt Kohlstruck zu bedenken. Die Idee, sich "zu der bewährten und krisenfesten Umlage ein zweites Standbein aufzubauen, ist richtig. Sie kommt halt 30 Jahre zu spät, weil man schon alleine so lange braucht, um einen Kapitalstock aufzubauen", so der Ökonom.

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Die hohen Sozialabgaben bedeuten auch ein Hindernis für qualifizierte Zuwanderung, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. In Deutschland werde ausländischen Fachkräften 50 Prozent vom Lohn weggenommen, in Kanada nur 25, argumentiert Kohlstruck. Zudem müssten sie mit Sprachbarrieren und überbordender Bürokratie kämpfen.

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