Das Ahrtal wurde zum Sinnbild für die verheerende Flutkatastrophe, die im 14. und 15. Juli 2021 den Süden von Nordrhein-Westfalen und den Norden von Rheinland Pfalz heimsuchte. Mehr als 180 Menschen verloren hierbei ihr Leben, Häuser und Infrastruktur wurden vernichtet. 134 Todesopfer waren allein im Ahrtal zu beklagen. Auslöser war Sturmtief „Bernd“ und Starkregen, der das Tal in eine Todesfalle verwandelte.

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Auch für die private Versicherungswirtschaft war das Sturmtief die bislang folgenschwerste Naturkatastrophe in Deutschland. Anlässlich des zweijährigen Jubiläums berichtet am Montag der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), dass die Versicherer inzwischen einen Großteil der Schäden reguliert haben. „Bislang haben die Versicherungsunternehmen 6,7 Milliarden der 8,4 Milliarden Euro Gesamtschaden für die Sachversicherung an betroffene Kundinnen und Kunden ausgezahlt“, sagt Jörg Asmussen, Hauptgeschäftsführer des GDV.

Die Versicherungswirtschaft gehe davon aus, dass alle betroffenen Hausbesitzer Geld von ihrer Versicherung bekommen haben, berichtet der GDV weiter. „Wenn noch nicht der komplette Betrag geflossen ist, liegt das in der Regel an Materialengpässen oder fehlenden Handwerkerkapazitäten“, sagt Asmussen. Der Wiederaufbau sei noch in vollem Gang. „Wo noch gebaut wird, kann noch nicht alles ausgezahlt worden sein“, so der Verbandsfunktionär.

Wiederholt Vorwürfe gegen Versicherer

In den letzten beiden Jahren sahen sich die Versicherer wiederholt mit dem Vorwurf konfrontiert, sie würden Auszahlungen verschleppen und Kunden hinhalten, um niedrigere Zahlungen zu erzwingen. So berief sich unter anderem die „Süddeutsche Zeitung“ in einem Artikel, der ein Jahr nach der Katastrophe erschien, auf den Bonner Anwalt Markus Krämer, der mehrere Mandanten aus dem Ahrtal vertritt. Nach Ansicht des Juristen sei auffällig, dass vor allem sehr teure Schäden nicht oder nicht abschließend reguliert worden seien. Manche Versicherer würden mit fragwürdigen Deals versuchen, die Not der Betroffenen auszunutzen und Schadensummen zu drücken. Ähnliche Vorwürfe hatte der SWR erhoben.

Die aktuell kommunizierte Zahl würde jedoch bedeuten, dass noch immer weniger als 80 Prozent der privat versicherten Schäden reguliert wurden, auch zwei Jahre nach der Flutkatastrophe. Die Versicherungswirtschaft beruft sich darauf, dass die Regulierung komplex sei: Und eben nur bereits erbrachte Leistungen reguliert werden könnten. „Die Schadenregulierung war und ist bei dieser schieren Menge an Schäden eine enorme Herausforderung“, so Asmussen. „In den allermeisten Fällen haben die Versicherer das schnell, effektiv und zur Zufriedenheit der Kunden gelöst. Das bescheinigt uns das zweite Jahr in Folge auch der Versicherungsombudsmann.“

In Nordrhein-Westfalen, das am schwersten von der Flutkatastrophe betroffen war, sind bislang 4,2 Milliarden Euro für die 124.000 versicherten Schäden ausgezahlt worden, berichtet der GDV. In Rheinland-Pfalz haben Betroffene für rund 20.000 Schäden über 2,1 Milliarden Euro von ihren Versicherern erhalten. Für versicherte Schäden in anderen Bundesländern, vor allem Bayern und Sachsen, flossen bislang 500 Millionen Euro.

Staatliche Hilfen vielfach nicht ausgezahlt

Doch auch an anderer Stelle krankt es. Von den 15 Milliarden Euro, die der Bund für den Wiederaufbau bereitgestellt hat, wurden stand März 2023 nach Recherchen der ARD nur rund fünf Prozent aus dem Fonds ausgezahlt. Viele Betroffene würden an der Bürokratie verzweifeln, auch die Verwaltungen seien mit der Bearbeitung überfordert, so berichtet die ARD und beruft sich auf Regionalpolitiker vor Ort. Und auch hier sei ein Problem, dass für den Wiederaufbau die erforderlichen Handwerker fehlen. Auf Anfrage des Politikmagazins Report Mainz teilte die rheinland-pfälzische Landesregierung im März mit, dass 90 Prozent der eingegangenen Anträge bewilligt wurden.

Viele Betroffene würden auch gar nicht wissen, dass ihnen Fördermittel zustehen, berichtet die Diakonie Katastrophenhilfe. Für den Wiederaufbau ihrer Immobilien bekommen Flutopfer, die selbst in ihrem Eigentum leben, laut Diakonie vom Land bis zu 80 Prozent der Kosten erstattet. Die restlichen 20 Prozent müssen sie selbst finanzieren oder aus Spendenmitteln, auch das eine Hürde für viele Hausbesitzer.

Weil viele Häuser in den betroffenen Regionen nicht gegen Elementarschäden versichert waren, forciert der Bundesrat derzeit die Einführung einer Elementarschaden-Pflichtversicherung. Die Idee: Dann könnten die Kosten für Hausbesitzer auch in hochwassergefährdeten Regionen sinken, weil das Risiko auf mehr Schultern verteilt würde. Die Versicherungswirtschaft befürchtet dagegen Fehlanreize, weil dadurch wieder mehr in hochwassergefährdeten Gebieten gebaut werden könnte. Sie plädiert für eine Opt-out-Lösung: Danach wären Hausbesitzer gegen Elementarschäden versichert, wenn sie nicht ausdrücklich widersprechen. Auch Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) lehnt eine solche Versicherungspflicht ab.

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GDV fordert mehr Prävention

Auch Jörg Asmussen weist darauf hin, dass die Absicherung gegen Elementarschäden nach wie vor lückenhaft ist. „Mit diesem existentiell wichtigen Zusatzbaustein der Wohngebäudeversicherung sind immer noch lediglich 52 Prozent der Häuser in Deutschland abgesichert“, sagt der GDV-Geschäftsführer. In Nordrhein-Westfalen liege der Anteil bei 56 Prozent, in Rheinland-Pfalz bei 46 Prozent. „Leider hat das Interesse nach einem zwischenzeitlichen deutlichen Anstieg direkt nach dem Hochwasser wieder stark nachgelassen“, so Asmussen. Wichtig sei, dass in Deutschland angesichts zunehmender Extremwettereignisse mehr für Prävention und Klimafolgenanpassung getan werde: „Ansonsten könnten sich nach unseren Schätzungen allein infolge der Klimaschäden innerhalb der nächsten zehn Jahre die Prämien für Wohngebäudeversicherungen verdoppeln.“

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