Nein, das ist für mich kein Klischee, sondern tatsächlich etwas, das ich immer wieder beobachten kann. Männer sind deutlich risikofreudiger und überschätzen sich leider viel zu häufig maßlos. Unter ihnen sind immer noch überdurchschnittlich viele, die meinen den Heiligen Gral der Investmentstrategien gefunden zu haben und konstant den Markt schlagen zu können. Denn sie wissen bereits alles und am Ende sind sie eben durch und durch Macher. Das ist jetzt ein ziemlich überspitztes Bild einer kleinen, aber im Vergleich zu den Frauen doch signifikant auffälligen Gruppe.

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Bei den Frauen beobachte ich immer wieder überzogene Vorsicht. Sie zögern, informieren sich lieber doppelt und dreifach, holen Rat ein, lesen noch ein weiteres Buch und kommen nur schwer ins Handeln. Wenn sie dann aber erst einmal dabei sind, schützt sie genau das auch davor, zu schnell aktiv zu werden und damit die Rendite zu verspielen.

Mir ist aber auch aufgefallen, dass Männer im Schnitt bei Einzelaktien meinen, dass sie die nächste Apple-Aktie gefunden haben und Frauen sich stattdessen in Aktien geradezu verlieben und sie gar nicht mehr hergeben möchten, egal wie irrational das zu sein scheint. Auch hier selbstverständlich komplett überspitzt dargestellt. Der Großteil der Anleger geht Gott sei Dank mittlerweile sehr gewissenhaft und rational an die Thematik heran.

In Deutschland wird oft die fehlende Gründermentalität beklagt. Würden Sie anderen jungen Frauen und Männern raten, sich selbstständig zu machen? Was sind die Vorteile - und was muss man können, um sich durchzusetzen?

Definitiv! Ich hatte es oben bereits angeschnitten, aber es ist so wichtig, dass ich mich gerne nochmal wiederhole: Die Selbständigkeit ist deutlich erstrebenswerter als ihr Ruf mitunter vermuten lässt.

Immer wieder kommen so Phrasen hoch wie „selbst und ständig“ oder eben das oben bereits angesprochene Risiko. Für mich überwiegen unterm Strich aber die Vorteile der Selbständigkeit. Und das ist nicht nur die Freiheit, sich kreativ austoben zu können und die Zeit frei einzuteilen, sondern die motivierende und das Selbstbewusstsein stärkende Tatsache, dass die eigene Leistung honoriert wird.

Seitdem ich hauptberuflich selbständig bin, arbeite ich zwar deutlich mehr, genieße aber auch ungeheure Freiheiten und die Arbeit ist nicht mehr dieselbe. Es ist etwas komplett anderes, acht Stunden im Angestelltenverhältnis zu arbeiten oder 14 Stunden in der Selbständigkeit, zumindest für mich.

Wir dürfen zwar nicht so naiv sein zu meinen, dass die Selbständigkeit für alle Menschen etwas ist, aber wir werden es niemals mit Gewissheit für uns beantworten können, wenn wir es nicht getestet haben.

Deswegen kann ich nur alle animieren, sich zumindest nebenberuflich mal auszuprobieren, Erfahrungen zu sammeln und zu ergründen, ob es was für einen wäre. Mittlerweile bin ich der Überzeugung, dass man aus so ziemlich allem eine Selbständigkeit kreieren könnte, wenn man nur kreativ genug ist und das nötige Durchhaltevermögen mitbringt.

…und was sind die Nachteile des Unternehmertums? Haben Sie vielleicht auch schon mal gedacht: „Jetzt ein Angestelltenverhältnis: das würde vieles erleichtern“?

Nein, zu keinem einzigen Zeitpunkt. Die Schönheit der Selbständigkeit liegt auch darin, dass ich selbst bestimmen kann, was ich mache und womit ich mein Geld verdiene. Wenn mir mein aktuelles Geschäftsmodell nicht mehr zusagt, kann ich es auch verändern, anpassen und so gestalten, dass es mir wieder Freude bereitet. Das war in meinem damaligen Job niemals möglich.

Angestellt zu sein, mag für viele Menschen vielleicht entspannter sein und wirken, aber ich möchte kein entspanntes Leben. Ich möchte ein spannendes und erfülltes Leben - und da führt für mich kein Weg an der Selbständigkeit vorbei.

Wenn wir über Finanzen berichten, zeigen sich die Expertinnen und Experten auf Fotos gerne in einfarbigen Anzügen oder Business-Kostümen. Ihr Auftreten hingegen ist farbenfroh, lebensbejahend und modisch. Muss die Branche weg von Ihrem „grauen“ Image? Beobachten Sie hier ein neues Selbstverständnis in der Außendarstellung, vielleicht auch generationsbedingt?

Ich würde nicht unbedingt behaupten, dass die Branche weg muss von ihrem „grauen“ Image, aber ich empfinde es als zutiefst befremdlich zu beobachten, wie viele Menschen sich dort Tag für Tag verkleiden müssen. Anders kann man es nicht mehr bezeichnen, denn es werden sicherlich nicht all diese Menschen gerne jeden Tag im Anzug durch die Gegend laufen, insbesondere, wenn die Temperaturen mal wieder sommerliche Tendenzen annehmen.

Witzigerweise hatte mal eine Frau unter ein Bild von mir bei Xing geschrieben: „Wenn ich damals so zur Arbeit gegangen wäre, hätte mein Chef mich entlassen.“ Ich musste in diesem Moment erst schmunzeln und dachte nur: Gott sei Dank bin ich meine eigene Chefin. In der nächsten Sekunde tat sie mir aber unglaublich leid. Ich hatte mal genau dazu einen Beitrag geschrieben mit dem Titel: „Kompetenz hat nichts mit Äußerlichkeiten zu tun.“ Genau da müssen wir meiner Meinung nach hinkommen.

Es sollte keine Rolle spielen, wie mein Gegenüber gekleidet ist, zumindest nicht in meiner Beurteilung über seine Kompetenz. Ich bin mir aber dennoch durchaus bewusst, dass ein gepflegtes Auftreten Pflicht sein sollte und eine gewisse Kleiderordnung immer noch bei unglaublich vielen Menschen Assoziationen auslöst, die sowohl geschäftsschädigend wie auch -fördernd sein können.

Deswegen ist mein Impuls hier einfach, etwas mehr Freiraum zu geben und nicht alles bis ins letzte Detail vorzuschreiben. Stattdessen gilt es mehr darauf zu achten, dass das Auftreten an sich nach außen ein stimmiges Bild ergibt und nicht aufgesetzt daherkommt. Meine Generation nimmt da sicherlich eine Vorreiterrolle ein. Mir ist es komplett egal, ob meine Geschäftspartner Hemd, Anzug und Krawatte tragen oder nicht. Hauptsache, sie liefern ab und sind authentisch.

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Die Fragen stellte Mirko Wenig

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