In den Rechtsstreiten um Prämienkalkulationen in der privaten Krankenversicherung muss die Axa erneut eine Niederlage erleiden. Demnach hat das Oberlandesgericht Stuttgart entschieden, dass der Versicherer rund 2.000 Euro an einen Kunden zurückzahlen muss, weil Prämienerhöhungen für unwirksam erklärt wurden. Zudem muss der Versicherer rund 8.500 Euro an Verfahrens- und Anwaltskosten erstatten (OLG Stuttgart, Aktenzeichen: 7 U 237/18). Zuerst hat versicherungswirtschaft-heute.de auf das Urteil aufmerksam gemacht. Dem Versicherungsboten liegt eine Kopie des Urteilstextes vor.

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Treuhänderstreit beschäftigt Gerichte

Zum Hintergrund: Seit 1994 schreibt der Gesetzgeber vor, dass unabhängige Aktuare den Versicherern auf die Finger schauen müssen, ob Beitragsanhebungen in den einzelnen Tarifen der Krankenvollversicherung auch gerechtfertigt sind. Sie haben eine Watchdog-Funktion für die Versicherten. Ob sie diese erfüllen können und wollen, ist seit gut drei Jahren Gegenstand zahlreicher Rechtsstreite.

Die Krux: Wird den Treuhändern nachgewiesen, dass sie nicht unabhängig agieren, ist dies aus Sicht der Kundinnen und Kunden noch kein Grund, eine Prämienanpassung in Frage zu stellen. Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden: Stattdessen müssen die Betroffenen für jede einzelne Prämienanpassung nachweisen, dass sie ungerechtfertigt oder falsch kalkuliert ist.

Und es gibt gute Gründe, an der Unabhängigkeit zu zweifeln: Ganze 16 Aktuare sind in Deutschland damit beauftragt, Prämienanpassungen zu kontrollieren. Sie erhalten oft ihr Geld von lediglich ein oder zwei Gesellschaften, die sechsstellige Beträge pro Jahr zahlen. Die Treuhänder werden also von jenen gut entlohnt, die sie eigentlich überwachen sollen: ein Interessenkonflikt? Doch die Unabhängigkeit zu überprüfen, sei kein Fall für Zivilgerichte, hob der BGH hervor: Es reiche aus, wenn die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) die Bestellung der Treuhänder geprüft habe.

Prämienanpassung nur bei auslösenden Faktoren

Ein privater Krankenversicherer darf die Prämien -stark vereinfacht- nur in zwei Fällen anheben: Wenn die Ausgaben die einkalkulierten Kosten um mindestens zehn Prozent übersteigen. Und wenn die Lebenserwartung der Versicherten stärker steigt als kalkuliert, weil dann im Schnitt auch die Gesundheitskosten steigen. Hierbei spricht man von sogenannten auslösenden Faktoren. Und: Die Versicherer müssen ihren Kundinnen und Kunden mitteilen, auf welcher Basis sie den Beitrag in einem Tarif raufsetzen. Hierfür seien „maßgebliche Gründe“ anzugeben, so geht aus § 203 Abs.5 des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) hervor. Auch hier sind die Versicherer keineswegs verpflichtet, Details der Tarifkalkulation preiszugeben. Sie müssen nur angeben, bei welcher der Rechnungsgrundlagen (Versicherungsleistung oder Sterbewahrscheinlichkeit oder beide) eine nicht nur vorübergehende Veränderung eingetreten ist.

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Die Axa und andere Versicherer mussten bisher dennoch bereits Niederlagen vor Gericht erleiden und Prämienanpassungen zurücknehmen: in der Regel deshalb, weil sie diese formalen Kriterien nicht erfüllt hatten. Sie hatten gegenüber Kundinnen und Kunden einfach in den Anschreiben formuliert, auf welcher Gesetzgrundlage sie die Beiträge anhoben: jedoch nicht, welcher auslösende Faktor konkret vorlag (u.a. BGH, Urteil vom 14.04.2021, Az.: IV ZR 36/20). Umso mehr lässt nun das aktuelle Urteil aufhorchen. Denn die Stuttgarter Richter hoben hervor, dass die Axa die formalen Grundlagen erfüllt habe. Stattdessen konnte der Versicherer nicht ausreichend nachweisen, welche Limitierungsmittel er eingesetzt hat, um die Prämien zugunsten des Kunden in dem jeweiligen Tarif abzufedern.

Streitpunkt: Limitierungsmittel

Sogenannte Limitierungsmittel werden nach einem festgelegten Verfahren eingesetzt, damit Beitragsanpassungen in der PKV abgemildert oder gar ganz vermieden werden. Verwendet werden hierfür zum Beispiel Überschüsse aus Zinserträgen gem. § 150 VAG, die der Versicherer erwirtschaftet hat. Oder aus Beitragsteilen, die der Versicherer nicht benötigt, weil er seinen Tarif vorsichtig kalkulierte. Sie werden der Rückstellung für Beitragsrückerstattungen (RfB) zugeführt und als Einmalbeitrag entnommen, wenn eine Prämienanpassung ansteht. Treuhänder müssen zustimmen, ob und wie sie eingesetzt werden dürfen.

Hier hatte nach Auffassung des Gerichts der prüfende Treuhänder nicht die Gelegenheit zu prüfen, ob die Limitierungsmaßnahmen entsprechend § 155 Abs. 2 VAG ordnungsgemäß eingesetzt wurden. Ihm lagen schlicht keine ausreichenden Unterlagen vor, wie der 7. Senat des OLG Stuttgart hervorhob. Das habe die Beweisaufnahme durch einen Sachverständigen ergeben. Das Gericht ließ auch nicht gelten, dass der Versicherer nachträglich weitere Unterlagen und Ergänzungen vorgelegt habe.

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Stark vereinfacht geht es hier um die Frage, ob die Limitierungsmittel gerecht auf die jeweiligen Tarife der Axa verteilt wurden sind. Um die Beitragsanpassungen zu überprüfen, hatte der Treuhänder eine Tabelle bekommen, in der gut 160 Tarife aufgeführt waren. Hier sei es dem Treuhänder mitunter nicht möglich gewesen zu erkennen, um welche Art Versicherung (Krankenvollversicherung, Krankentagegeld etc.) es sich handle, bemängelte das Gericht. Auch habe er nicht feststellen können, wie hoch das durchschnittliche Prämienniveau oder die Altersverteilung der Tarife aussähe. Folglich habe er auch nicht beurteilen können, ob die Verteilungsgrundsätze hinsichtlich der limitierenden Maßnahmen eingehalten worden seien.

Verdacht: Neugeschäft durch Gelder von Bestandskunden quersubventioniert

Warum es aber wichtig ist, aus Sicht der Versicherten solche Grundsätze zu beachten, erklärt Verbraucheranwalt Knut Pilz gegenüber Versicherungswirtschaft Heute: Er hat den Klagenden vertreten. Demnach können Versicherer einzelne Tarife nach ihren Vorstellungen “stützen” und andere Tarife benachteiligen. Dies würden Versicherer zum Beispiel machen, um die Prämien für aktuelle Tarife, die noch verkauft werden, möglichst auf Kosten von alten und geschlossenen Tarifen niedrig zu halten. Es besteht also der Verdacht, dass mit Rückstellungen für langjährige Kunden das Neugeschäft gepäppelt wird. Es bestehe dann aber die Gefahr, “dass geschlossene Tarife mit zumeist alten Versicherten die aktuellen Tarife mit zumeist jungen Versicherten subventionieren”, sagt Pilz dem Fachportal.

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Die Axa hingegen zeigt sich überrascht vom Urteil. Die Korrektheit der Prämienkalkulation sei "überhaupt nicht in Frage gestellt worden", teilt der Versicherer ebenfalls Versicherungswirtschaft Heute mit. Es handle sich um eine Einzelfallentscheidung und um einen kleinen Teil der Prämienkalkulation. Dem entgegen sieht Verbraucheranwalt Pilz gute Chancen, mit Verweis auf Limitierungsmittel auch weitere Tariferhöhungen anzufechten. Das Urteil ist rechtskräftig.

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