Die Bundesregierung will Kundinnen und Kunden des insolventen Reiseveranstalters Thomas Cook finanziell unterstützen. Das berichtet die Webseite tagesschau.de am Mittwoch. Ein Regierungssprecher habe nach einer Kabinettssitzung entsprechende Recherchen des ARD Hauptstadtstudios bestätigt.

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Niedrige Haftungssumme in Deutschland

Für die geschädigten Pauschaltouristen ist das eine gute Nachricht: Sie wären ansonsten sehr wahrscheinlich auf einem Großteil ihrer Kosten sitzen geblieben. Zwar hat die EU im Jahr 2015 mit einer Richtlinie beschlossen, dass Pauschalreisende europäischer Touristikveranstalter zu entschädigen sind. Aber ganze 110 Millionen Euro müssen die Anbieter in Deutschland bisher für den Fall ihrer Insolvenz versichern. Im Gegensatz zu vielen anderen EU-Ländern ist die Haftungssumme gesetzlich gedeckelt: So sieht es Paragraph 651r des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) vor. Im Fall von Thomas Cook ist die Zurich der Insolvenzversicherer.

Zurich-Unternehmenssprecher Bernd Engelien hatte bereits kurz nach der Pleite des Touristik-Konzerns gewarnt, dass die Erstattungssumme sehr wahrscheinlich nicht ausreichen wird, um die Betroffenen angemessen zu entschädigen. Bis Anfang November hatte die Zurich Versicherung bereits einen Schaden von 250 Millionen Euro registriert, berichtet die ARD, allerdings war bis dahin auch nur ein Teil der Schadensmeldungen eingegangen.

Der tatsächliche Schaden dürfte noch weit höher liegen. Als Thomas Cook Ende September 2019 Insolvenz beantragen musste, bestanden zu diesem Zeitpunkt laut „Bild am Sonntag“ 660.000 Reise-Buchungen im Wert von rund 500 Millionen Euro. Viele Kundinnen und Kunden waren in Vorleistung gegangen und sahen sich nun mit der Tatsache konfrontiert, dass ihre Reise ersatzlos gestrichen worden war.

Weitere 140.000 Personen hatten zum Zeitpunkt der Pleite ihre Reise bereits angetreten, saßen nun am Urlaubsort fest und mussten zurückgeholt werden: allein hierfür ging ein Großteil der versicherten Summe drauf. Teils wurde den Reisenden Hotel sowie Rückreise doppelt in Rechnung gestellt, weil Thomas-Cook-Buchungen vor Ort nicht mehr akzeptiert waren. Diese Kundinnen und Kunden wurden zuerst entschädigt (der Versicherungsbote berichtete).

Bundesregierung sah sich Vorwürfen ausgesetzt

Die Differenz zwischen versicherter Summe und Fehlbetrag müssen nun also die Steuerzahler ausgleichen. Der ARD zufolge rechnen Experten mit einem Gesamtschaden von 300 bis 500 Millionen Euro. Anspruch auf Entschädigung haben nur Pauschalreisende, die einen entsprechenden Sicherungsschein besitzen. Wer einfach einen Flug bei Thomas Cook buchte, wird sehr wahrscheinlich nicht entschädigt.

Dass die Bundesregierung für den Fehlbetrag nun aufkommen will, ist aber möglicherweise nicht ganz freiwillig. Stichwort Deckelung: Hat der Gesetzgeber die EU-Richtlinie für Insolvenzschutz ungenügend in deutsches Recht übersetzt, muss der Staat haften. Und hier stellt sich die Frage, ob eine Höchstsumme von 110 Millionen Euro tatsächlich ausreichend war und ist. Ein im Auftrag der Zurich Versicherung erstelltes Rechtsgutachten kommt zu dem Ergebnis, dass in diesem Fall eine Staatshaftung denkbar sei. Zumal bereits der Bundesrat im Jahr 2016 gewarnt hatte, die Haftung für Pauschalreisen reiche nicht annähernd aus.

Auch der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) hatte sich bereits im November an Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) gewendet und Versäumnisse der Politik beklagt. In einem Brief heißt es, Scholz solle "entsprechende Finanzmittel im Haushalt zurückstellen und somit für eine vollständige Entschädigung der Thomas-Cook-Kunden sorgen". Es spricht also vieles dafür, dass die Regierung Verbraucherklagen zuvorgekommen ist.

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Ob nun die Haftungssumme für die Insolvenz von Reiseanbietern angehoben werden muss, dürfte weiterhin für Debatten sorgen. Im September hatten Linke und Grüne im Tourismus-Ausschuss des Bundestages gefordert, die Summe auf 300 Millionen Euro anzuheben. Der Vorstoß ist von den anderen Parteien abgeschmettert worden. Die Begründung: Eine höhere Haftungssumme würde Pauschalreisen verteuern und könne gerade kleine und mittelständische Anbieter überfordern (der Versicherungsbote berichtete).

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