Doppelbelastung Pflege und Beruf - Wie funktioniert das Familienpflegezeitgesetz?

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Das Familienpflegezeitgesetz gilt seit dem 1. Januar 2012. Einige Versicherer bieten inzwischen gezielt Policen zu der gesetzlichen Regelung an, die Arbeitnehmern die Pflege von Angehörigen neben der Berufstätigkeit ermöglichen soll. Aber wie funktioniert die Regelung genau? Wie sichern sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer ab? Wie kann man die Familienpflegezeit beantragen? Versicherungsbote hat die wichtigsten Fakten zum Familienpflegezeitgesetz zusammengestellt.

Ein Großteil der Bevölkerung möchte die Verantwortung für pflegebedürftige Eltern oder Lebenspartner lieber durch eigene Pflege übernehmen, als diese einer staatlichen Pflegeeinrichtung oder einem privaten Pflegeheim zu übergeben.
Doch wer als Arbeitnehmer zusätzlich zu seinem Berufsalltag einen Angehörigen pflegen muss, ist zeitlich und emotional enorm belastet. Gerade jene, die völlig neu mit dieser Situation konfrontiert werden, müssen in kürzester Zeit Wege finden, sich anders zu organisieren, zügig wichtige Entscheidungen treffen.

Eine nahestehende Person zu pflegen ist vielfach eine sehr persönliche, intime Aufgabe, die in den privaten, familiären Lebensbereich fällt. Es ist verständlich, dass Beschäftigte sich deshalb oftmals nicht trauen, dieses als sehr diskret empfundene Thema gegenüber Kollegen oder Vorgesetzten anzusprechen. Dennoch probieren die Pflegenden, Lösungen zu finden, die Beruf und Pflege miteinander vereinbaren – auch, wenn dies einen hohen zusätzlichen Aufwand und Stress für sie bedeutet. Rund ein Drittel pflegender Berufstätiger können dieser Doppelbelastung nicht standhalten und geben ihren Job auf. Die Folgen: Schwierigkeiten in der beruflichen Entwicklung und Probleme mit der Absicherung im Alter.

Das Familienpflegezeitgesetz - Pflege und Beruf vereinbaren

Der Gesetzgeber hat aus eben diesen Gründen das Familienpflegezeitgesetz (FPfZG) eingeführt: Es soll Arbeitnehmern erleichtern, sich um pflegebedürftige Angehörige zu kümmern, ohne den Arbeitsalltag zu stark zu strapazieren oder die Anstellung gar dafür aufgeben zu müssen. Die Regelung dient bei Verhandlungen mit dem Arbeitgeber als rechtliche Basis. Das Gesetz ist seit dem 1. Januar 2012 gültig.

Das Familienpflegezeitgesetz - So funktioniert’s:

Grundsätzlich lassen sich während der Geltungsdauer der Familienpflegezeit zwei Etappen bestimmen: Die Pflege- und die Nachpflegephase.
Das Schema verdeutlicht das Verhältnis von Arbeitszeit und Lohnzahlung währenddessen:




  • Die eigene Arbeitszeit darf für einen Zeitraum von zwei Jahren bis um die Hälfte reduziert werden, genauer auf bis zu 15 Stunden pro Woche. Die „gewonnene“ Zeit kann nun für die Pflegebedürftigen aufgewendet werden.
  • Damit bei halber Arbeitszeit keine Versorgungslücke entsteht, erhält man während der Pflegephase einen Lohnzuschuss: Ein Vollzeitbeschäftigter erhält ein Gehalt von 75 % des bisherigen regelmäßigen Bruttoeinkommens.
  • Zum Ausgleich muss nach der Pflegephase (= Nachpflegephase) wieder voll gearbeitet werden und der Arbeitnehmer erhält weiterhin nur 75 % des Gehalts, bis das Zeitkonto wieder ausgeglichen ist.
  • Sowohl die Pflegephase als auch die Nachpflegephase können bis zu zwei Jahre andauern. Bei befristeten Beschäftigungsverhältnissen bzw. Ausbildungsverhältnissen kann die Familienpflegezeit maximal für die Hälfte der Laufzeit dieser Verträge vereinbart werden, damit der Gehaltsvorschuss noch während der Restlaufzeit dieses Arbeitsverhältnisses ausgeglichen werden kann.

Wieviel Lohnzuschuss der einzelne erhält, lässt sich anhand einer Berechnungsformel nachvollziehen:


Das Antragsverfahren

Um die Familienpflegezeit in Anspruch nehmen zu können, müssen Arbeitnehmer und Arbeitgeber eine schriftliche Vereinbarung schließen. Den Antrag auf eine Familienpflegezeit stellt der Arbeitgeber beim Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben.

Notwendige Unterlagen dafür sind:

  • die Familienpflegezeitvereinbarung
  • eine Entgeltbescheinigung der letzten zwölf Monate
  • ein Nachweis über die Pflegebedürftigkeit der/des Angehörigen
  • ein Nachweis über den Abschluss einer Familienpflegezeitversicherung oder der Antrag auf Aufnahme in eine vom Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben (BAFzA) abgeschlossene Gruppenversicherung


Es gilt ein besonderer Kündigungschutz: Während der Familienpflegezeit kann dem Arbeitnehmer grundsätzlich nicht gekündigt werden. Eine Kündigung ist nur in besonderen Ausnahmefällen möglich – das Vorliegen der besonderen Ausnahme muss die für Arbeitsschutz zuständige Landesbehörde bestätigen.

Absicherung während der Familienpflegezeit

Die finanzielle Last, welche dem Arbeitgeber durch den Lohnzuschuss entsteht, kann dieser mit Hilfe eines zinslosen Bundesdarlehens abfedern. Dabei besteht für ihn weiterhin das Risiko, dass der Arbeitnehmer etwa durch Berufsunfähigkeit vorzeitig aus dem Betrieb austritt. Eine Familienpflegezeit-Versicherung kann einen Ausfall der Zuschuss-Rückzahlung abdecken. Der Arbeitnehmer ist (nach § 4 FPfZG) verpflichtet, für die maximal vierjährige Familienpflegezeit eine solche Versicherung abzuschließen. Die einzelnen Policen können hier variieren. Im allgemeinen gilt, dass der Beschäftigte für den Abschluss der Versicherung eine Bescheinigung von der Pflegekasse bzw. dem medizinischen Dienst über die Pflegebedürftigkeit des Angehörigen von mindestens Stufe I vorweisen muss.

Eine Familienpflegezeit-Versicherung kann vom Arbeitnehmer, aber auch vom Arbeitgeber bei einem selbst gewählten Versicherer abgeschlossen werden. Alternativ kann eine Aufnahme in die vom Bundesamt abgeschlossene Gruppenversicherung beantragt werden.


Weniger Arbeitszeit - Gehen Rentenansprüche dadurch verloren?

Neben der Absicherung während der Familienpflegezeit stellen sich viele Beschäftigte auch die Frage, inwieweit die eigene Altersvorsorge während der Zeit abgesichert ist. Wer sich in die Familienpflegezeit begibt, muss sich um seine Rentenansprüche nicht sorgen - im Gegenteil. Durch die Pflege können zusätzlich Rentenpunkte erworben werden und der Rentenanspruch wird trotz Familienpflegezeit erhalten bzw. gesteigert.


Innerhalb von den 24 Pflegezeit-Monaten können Rentenpunkte zusätzlich zu denen, die man durch beitragspflichtiges Einkommen erhält, erworben werden:

Die Gesamtzahl der Rentenpunkte ist dabei abhängig von der Höhe des Bruttogehaltes und der Pflegestufe des Pflegebedürftigen. Dies gilt aber lediglich dann, wenn während der Pflegezeit ein Pflegeaufwand von mindestens 14 Stunden vorhanden ist und die Erwerbstätigkeit höchstens 30 Stunden pro Woche beträgt.

Proportional zur Pflegestufe erhöhen sich auch die erworbenen Rentenansprüche. Damit besitzen pflegende Angehörige die Rentenansprüche, die sie auch bei einer Vollbeschäftigung hätten. Wer ein geringes Einkommen bezieht, bessert seine Rentenansprüche auf.

Kritik an der Regelung und Vorteile für den Arbeitgeber

Seitens des Arbeitgebers besteht keine Pflicht, die Familienpflegezeit zu vereinbaren. Sie kann nur in Absprache und mit Einwilligung des Arbeitgebers genommen werden. Das wird von vielen Sozialverbänden als großes Manko angesehen.

Neben der Frage der Dauer der Familienpflegezeit und dem entsprechend geringeren Einkommen wird insbesondere bemängelt, dass es keinen Rechtsanspruch, sondern lediglich eine Gesetzesgrundlage als rechtliche Absicherung für die Familienpflegezeit gibt. Kurzfristige Lösungen mit dem Arbeitgeber werden von den Betroffenen oftmals bevorzugt.

Eine Grundvoraussetzung dafür, dass dem Gesetz Taten folgen und tatsächlich eine Entlastung für pflegende Berufstätige geschaffen wird, ist, dass sich diese in geographischer Nähe zu den pflegebedürftigen Personen befinden. Doch es ist heute nicht mehr unbedingt selbstverständlich, dass etwa die Tochter bei den Eltern mit im Hause wohnt. Auch für die veränderten familiären Strukturen wäre eine angepasste Regelung daher oft wünschenswert.

Für den Arbeitgeber bietet das Anbieten der Familienpflegezeit dabei durchaus einige Vorteile:

  • Die erfahrene Arbeitskraft bleibt dem Unternehmer erhalten, da sich nur dessen wöchentliche Arbeitszeit reduziert.
  • Fachkräftebindung durch das Übernehmen von Verantwortung für den Angestellten.
  • Gehaltsaufstockungen können mittels zinsloser Darlehen staatlich refinanziert werden.
  • Rechtssicherheit über den Ausgleich des Lohnzuschusses durch gesetzliche Ausfallgarantien sowie eine private Familienpflegezeit-Versicherung.



Kunden rund um das Thema Pflege und die damit zusammenhängenden gesetzlichen Vorschriften und Möglichkeiten ausführlich zu informieren, ist für eine gute Beratung unerlässlich. Versicherungsbote hat daher in einem Themenheft "Vermögenssicherung im Alter - Ratgeber Pflege" wesentliche Aspekte aufbereitet - unter anderem auch zur Regelung des Familienpflegezeitgesetzes. Darüber hinaus werden etwa der Begriff der Pflegebedürftigkeit, die einzelnen Pflegestufen, Wohnformen im Alter und die jeweiligen Vorsorgemodelle anschaulich dargestellt.