Krankenhaushaftpflicht auf Claims-made-Basis: Unterschätztes Modell mit Potenzial

Quelle: Dirk Bednarek@Relyens_Deutschland

In Deutschland dominiert in der Krankenhaus-Haftpflicht weiterhin das klassische Occurrence-Modell. In vielen europäischen Ländern hingegen ist das Claims-made-Prinzip längst etabliert – teils sogar als einzig zulässiges Modell. Welche Vorteile Claims-made bietet und warum gängige Vorbehalte unbegründet sind, erläutert Dirk Bednarek von Relyens Deutschland in seinem Gastbeitrag.

Während in Deutschland Claims-made-Versicherungen bislang eher die Ausnahme sind – und etwa auf den Bereich der Directors & Officers (D&O) Versicherung beschränkt –, ist dieses Modell in Ländern wie Großbritannien, Italien, Spanien und Frankreich seit Jahren gängige Praxis. Das Prinzip von Claims-made (wörtlich: „Anspruch geltend gemacht“) bezieht sich auf den Zeitpunkt der Anspruchserhebung – im Gegensatz zum Occurrence-Modell, das auf das eigentliche Schadenereignis abstellt. Das bedeutet: Entscheidend für die Deckung ist, wann ein Schaden gemeldet wird, nicht, wann er passiert ist.

Klare Zuständigkeiten und aktueller Versicherungsschutz

Im Claims-made-Modell sind alle Vorfälle versichert, die innerhalb der Vertragslaufzeit eintreten und auch in dieser Zeit gemeldet werden. Kritisch betrachtet wird oft der Wechsel zwischen verschiedenen Versicherern oder Versicherungsmodellen – wie wird in diesem Fall die Kontinuität des Versicherungsschutzes sichergestellt? In der Praxis sind solche Übergänge aber versicherungstechnischer Standard. Mithilfe etablierter Vertragsbausteine wie einem Retroactive Date (Rückwärtsdeckung) oder einer Extended Reporting Period (Nachhaftungsfrist) lässt sich der Versicherungsschutz lückenlos gestalten.

Ein wesentlicher Vorteil: Auch solche Schäden, die in der Vergangenheit verursacht wurden, aber erst später gemeldet werden, werden im Rahmen des aktuellen Claims-made-Vertrags bearbeitet – sofern sie in den festgelegten Rückwirkungszeitraum fallen. Die Verantwortung liegt dann beim aktuellen Versicherer – mit dem Vorteil, dass stets die gegenwärtige Deckungssumme gilt.

Quelle: Dirk Bednarek@Relyens_Deutschland

Damit wird verhindert, dass veraltete Versicherungssummen herangezogen werden, die unter Umständen nicht mehr dem heutigen Kostenniveau entsprechen. Gerade bei Großschäden oder länger zurückliegenden Behandlungsfehlern ist dieser Aspekt von hoher Relevanz, da sich medizinische, rechtliche und wirtschaftliche Rahmenbedingungen oft innerhalb weniger Jahre erheblich verändern.

Frühzeitige Schadenmeldung als Teil eines systemischen Risikomanagements

Das Claims-made-Modell bringt strukturelle Anreize für ein systematisches Risikomanagement mit sich: Die Methodik der Umstandsmeldung fördert eine frühzeitige und klare Kommunikation im Schadensfall. Auch wenn es sich hierbei originär um ein versicherungstechnisches Werkzeug handelt, entfaltet es so auch Wirkung bei der Verbesserung der Sicherheitskultur. Das medizinische Personal wird ermutigt, Risiken und Verdachtsfälle zeitnah zu melden – was sowohl der Patientensicherheit als auch einer konstruktiven Fehlerkultur zugutekommt.

Eine frühzeitige Meldung schafft die Basis für einen offenen Umgang mit kritischen Ereignissen und kann dazu beitragen, die Auswirkungen des Schadens zu begrenzen. Gleichzeitig stärkt das Modell die organisationsinterne Auseinandersetzung mit Risiken. Kliniken, die Claims-made nutzen, berichten von positiven Effekten auf Transparenz, Verantwortungsbewusstsein und Handlungssicherheit innerhalb ihrer Teams. Durch die klare Verantwortungskette und den zeitnahen Dialog mit dem Versicherer kann in vielen Fällen eine außergerichtliche Einigung erzielt werden – ein Faktor, der im medizinischen Kontext nicht nur finanzielle, sondern für alle Betroffenen auch emotionale Bedeutung hat.

Finanzielle Perspektiven: Liquiditätseffekte durch Modellwechsel

Auch aus ökonomischer Sicht kann sich der Wechsel von einem Occurrence- zu einem Claims-made-Modell auszahlen. Insbesondere in der Übergangszeit sind die Prämien in der Regel niedriger, da etwaige Altschäden durch den Vorversicherer gedeckt werden. Die damit einhergehende geringere Versicherungssteuer auf die Prämie (19 Prozent auf Haftpflichtversicherungen) erhöht den kurzfristig verfügbaren finanziellen Spielraum. In Kombination mit vereinbarten Selbstbehalten kann dieser Effekt verstärkt werden – wodurch wiederum die Eigenverantwortung im Risikomanagement wächst. Diese finanziellen Effekte sind in wirtschaftlich angespannten Zeiten ein wichtiges Argument. Ein Wechsel auf das Claims-made-Modell kann für frische Liquidität sorgen, die akut an anderer Stelle gebraucht wird.

Gerade vor dem Hintergrund wachsender Anforderungen an Qualität, Transparenz und Risikomanagement verdient das Claims-made-Modell mehr Aufmerksamkeit in der hiesigen Krankenhauslandschaft. Es bietet nicht nur versicherungstechnische Vorteile, sondern kann auch als Impulsgeber für eine moderne, vorausschauende Sicherheitskultur im Gesundheitswesen verstanden werden. Für Krankenhäuser, die bereit sind, bestehende Strukturen zu hinterfragen und neue Wege zu gehen, eröffnet es eine praxisnahe und zukunftsfähige Alternative.

Hintergrund: Der Text erschien zuerst im neuen kostenfreien Versicherungsbote Fachmagazin 02-2025. Das Magazin kann auf der Webseite des Versicherungsbote bestellt werden.