Regulierung trifft alle Versicherer - aber nicht alle Versicherer sind gleich. Sehen Sie da Verwerfungen innerhalb der Versichererlandschaft?
Wagner: Eindeutig ja. Und das ist auch ein schwieriges Thema. Natürlich spielt es eine Rolle, wieviel Kapazität sich ein Versicherer mit seinem Geschäftsmodell und seinem Geschäftsvolumen leisten kann. Reicht die vorhandene Personaldecke, um die ganzen Anforderungen zu erfüllen? Ich erkenne kein Proportionalitätsprinzip in Sachen Nachhaltigkeit. Die einzige Ausnahme ist, dass ‚kleine‘ Versicherer ein Jahr länger Zeit für die Umsetzung haben.
Für Versicherer mit einem immensen Geschäftsvolumen ist es natürlich einfacher, jene Kapazitäten zu schaffen, die nötig sind, um alle Anforderungen zu erfüllen. Kleinere Versicherer haben hingegen nur zwei, drei oder vier Menschen, um das alles zu bewältigen. Das ist schon eine Verwerfung. Neben Nachhaltigkeit gibt es auch noch die Digitalisierung und viele weitere Themen bis hin zum Solvency-II-Review. All diese administrativen Anforderungen jenseits des eigentlichen Kerngeschäfts belasten kleine Versicherungsunternehmen sehr viel stärker als größere.
… und das gipfelt dann in sogenannten ‚Konsolidierungsprozessen‘. Bleiben am Ende nur die großen Versicherer übrig?
Wagner: Ich hoffe nicht, dass kleine und mittelgroße Versicherer zunehmend verschwinden. Das würde dem Markt nicht guttun. Die eine oder andere Fusionsüberlegung, die es derzeit gibt, wird vermutlich auch von der Frage beeinflusst sein, wie in Zukunft eine funktionsfähige, dynamische und performante IT überhaupt finanziert werden kann. Die übrigen Themen kommen hinzu. Der steigende Effizienzdruck hemmt die Konsolidierung nicht gerade.
Jost: Das ist alles richtig. Trotzdem merke ich an, dass wir im GSN beobachten konnten, dass die Fähigkeit, Nachhaltigkeit umzusetzen und sich nachhaltig zu positionieren und sich entsprechend mit den regulatorischen Anforderungen auseinanderzusetzen, nicht proportional zur Größe ist. Es gibt also durchaus auch kleinere Häuser, die bei dem Thema gut aufgestellt sind. Einen Automatismus, dass Größe über die Qualität der Nachhaltigkeitsumsetzung entscheidet, gibt es nicht. Wir sehen vielmehr, dass die unterschiedlichen Häuser unterschiedliche Schwerpunkte setzen.
Wagner: Die Ausführungen von Frau Jost lassen sich mit einem Blick in das Nachhaltigkeits-Ranking von Dr. Zielke belegen. Auch dort finden Sie unter den Top 5 einen eher kleinen Versicherer. Dennoch dürfte für kleinere Versicherer die Belastung durch die Regulatorik, auch was die Nachhaltigkeitsanforderungen betrifft, relativ größer sein. Umso beachtlicher ist der Fortschritt, den wir im GSN auch bei kleineren Häusern sehen.
In welchem Verhältnis stehen Nachhaltigkeit und Unternehmenserfolg?
Wagner: Eine eindeutige Antwort dazu gibt es nicht und wird es vermutlich auch nicht geben. Die Frage stellt sich auch nur bedingt.
Nachhaltigkeit ist zumindest ein ‚Hygienefaktor‘ - und nicht zu umgehen. Die nachhaltige Transformation kostet uns alle erstmal Geld; denken Sie nur an die Energiepreise. Versicherer müssen die Transformation administrieren; auch das kostet Geld. Und dann stellt sich die Frage: Gibt es einen Return of Invest? Bis heute gibt es widersprüchliche, nicht eindeutige Studien dazu. Es gibt gute Gründe zu sagen, nachhaltige Kapitalanlagen bringen eine höhere Rendite. Warum? Weil alle da rein müssen und es viel Nachfrage gibt. Frau Dr. Jost sprach zudem eben davon, dass es noch gar nicht so viele Angebote nachhaltiger Geldanlagen gibt. Wenn die Nachfrage hoch ist, das Angebot aber begrenzt, steigen die Preise. Ob das auf Dauer so bleibt, ob die Investments auch die Produktivität haben, die in sie gesetzten Gelder ‚einzuspielen‘… das wird Ihnen niemand sagen können. Offen ist auch, wie Kunden und Geschäftspartner auf Nachhaltigkeit in der Produktentwicklung oder im Schadenmanagement reagieren. Das wird sich alles zeigen. Eine eindeutige Aussage dazu ist nicht möglich.
Aber: das Argument, Nachhaltigkeit zu unterlassen, weil zu befürchten sei, dass sie nicht genug Rendite bringt, das ist keine Option.
Das Interview führte Michael Fiedler