Seit diesem Jahr gelten mit der CSRD neue Berichtstandards. Wessen Arbeit wird dadurch erleichtert?
Wagner: Zuerst einmal wird viel Arbeit geschaffen. Die Versicherer stöhnen sehr über dieses Instrument. Die Informationsmenge, die dort abgefordert wird, ist immens. Über alle Elemente der Wertschöpfungskette hinweg sind Daten zu liefern - und das in einer Granularität, die ihresgleichen sucht. Schon mehrfach habe ich in diesem Zusammenhang den Begriff ‚Berichterstattungsmonster‘ gehört.
Lassen Sie uns kurz auf den Prozess schauen: Zunächst muss eine Wesentlichkeitsanalyse vorgenommen werden. Die gibt Auskunft darüber, welche Nachhaltigkeitsbereiche für den Versicherer aufgrund seines Geschäftsmodells relevant sind. In einem weiteren Schritt ist zu klären und darüber zu berichten, welche Nachhaltigkeitsposition der Versicherer in jenen Bereichen innehat, die als wesentlich erachtet wurden. Das allein wird schon dazu führen, dass es am Ende gar keine Standardisierung geben wird. Denn für verschiedene Versicherer sind unterschiedliche Themen von hoher Relevanz. Hinzu kommen die kleinteiligen Informationsanforderungen.
Ich höre die Versicherer sehr stark darüber klagen, wie komplex die regulatorischen Anforderungen geworden sind. Das gilt übrigens nicht nur für die Nachhaltigkeitsfrage. Für die Erfüllung der Gesamtheit alles regulatorischen Anforderungen, die allerdings keinen Cent mehr Umsatz bringen, ist viel Kapazität und Personal bereitzustellen. Es drängt sich ernsthaft die Frage auf, ob die Kosten noch im Verhältnis zum Nutzen stehen. Letztendlich zahlt dafür der Kunde mit seinen Versicherungsprämien. Die Aufsicht spricht in letzter Zeit gern über Value for Money für den Kunden. Man wird auch fragen müssen, wie es um den Value of Regulation bestellt ist.
Was verstehen Sie unter ‚nachhaltige Transformation‘? Und ist das nicht auch schon ein Begriff, der viel zu groß ist, als dass man sich dahinter versammeln könnte?
Wagner: Der Begriff kann gar nicht groß genug sein. Wie gesagt: Nachhaltigkeit ist kein Projekt, sondern eine dauerhafte Anforderung. Und zwar weltweit - für unsere gesamte Gesellschaft, für Politik und Regulierung und damit auch für die Wirtschaft und für jedes einzelne Unternehmen. Es ist notwendig, alle Aktivitäten umweltschonender zu gestalten. Und die Sozialkriterien kommen erst noch hinzu. Nein, für zu groß halte ich den Begriff nicht. Allerdings kann die Komplexität auch abschrecken und Ohnmachtsgefühle erzeugen. Wichtig ist bei den politischen Entscheidungen, dass die Bevölkerung ‚mitgenommen‘ wird. Ohne die Akzeptanz der Menschen wird ‚Nachhaltige Transformation‘ nicht funktionieren.
Jost: Tatsächlich ist es ein komplexes Thema, das die Unternehmen erst einmal in kleine Häppchen unterteilen und für sich greifbar machen mussten. Wie wirkt sich die ‚nachhaltige Transformation’ auf das eigene Geschäftsmodell aus? In welchen Bereichen besteht Handlungsbedarf? Das zu identifizieren war für viele Unternehmen eine Herausforderung.
Und genau dafür haben wir das German Sustainability Network gegründet. Dort bemühen wir uns, die Themen in Fokusgruppen handhabbar zu machen und arbeiten intensiv mit den Fachverantwortlichen der Unternehmen.
Wird Nachhaltigkeit im Schadenmanagement unterschätzt? Welche Einsatzmöglichkeiten sehen Sie in diesem Bereich?
Wagner: Bis zum Sturmtief ‚Bernd‘ gab es ein klares Geschäftsmodell in der Versicherungswirtschaft: Ein Schaden tritt ein und wird in Geld erstattet. Unter Nachhaltigkeitsaspekten wird das allein in Zukunft nicht mehr ausreichen. Wir werden uns fragen müssen, ob das weggeschwemmte Haus wieder aufgebaut werden muss und wenn, ob das an gleicher Stelle geschehen soll. Welche Materialien kommen zum Einsatz und woher stammen die? Was ist mit Wärmedämmung und Trittschalldämmung? Auch soziale Aspekte der ESG-Kriterien werden hier zum Tragen kommen.
Eine weitere wichtige Frage, die zukünftig im Schadenmanagement eine größere Rolle spielen dürfte, lautet: ‚Muss es neu für alt sein?‘. Es muss viel mehr über Reparaturen nachgedacht werden, die regelmäßig weniger Ressourcen als ein Neuersatz verbrauchen - und zwar nicht nur in der Gebäudeversicherung, sondern auch in der gesamten Sachversicherung.
Und noch ein Schritt weiter: Muss sich der Schaden überhaupt ereignen? Die Versicherungswirtschaft sollte auch Wege suchen und finden, Schadenprävention als ein Geschäftsmodell zu etablieren, das auch monetarisierbar ist. Gelingt das den Versicherern nicht, werden es andere tun.
Jost: Vielleicht noch als Ergänzung. Warum ist das Thema unterrepräsentiert bei den Versicherern? Zum einen könnte es damit zusammenhängen, dass die Regulatorik noch keinen Fokus auf Schadenmanagement setzt und die Versicherer mit den regulatorischen Aufgaben beschäftigt sind. Zum anderen muss man der Versicherungswirtschaft anrechnen, dass in der Vergangenheit bereits viel in dieser Hinsicht unternommen wurde - allerdings nicht unbedingt unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten. Das wären zwei mögliche Erklärungsansätze, warum das Thema nicht ganz oben auf der Nachhaltigkeits-Agenda in den Unternehmen steht. Ein weiterer Aspekt ist sicher auf die Akzeptanz des Kunden, die ebenfalls da sein muss; denken wir bspw. an den Austausch gebrauchter statt neuer Kfz-Teile.