Sparkassen trennen sich von mindestens 280.000 Sparverträgen

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Die Sparkassen kündigen weiterhin lukrative Sparverträge. Welches Ausmaß die Kündigungen haben, zeigen aktuelle Zahlen eines Online-Portales. Demnach setzten bereits 109 regionale Institute ihre Kundinnen und Kunden vor die Tür. Bisher verloren mindestens 280.000 Betroffene ihre Altersvorsorge - und müssen sich nach Alternativen umschauen.

Die Sparkassen setzen auch im Jahr 2020 weiter Kundinnen und Kunden vor die Tür, die einen Sparvertrag nach dem Modell „Prämiensparen flexibel“ oder ähnliche Staffelsparverträge abgeschlossen haben. Das berichtet aktuell das Onlineportal biallo.de. Und nennt Zahlen: mindestens 280.000 Verträge seien mittlerweile gekündigt worden. Zudem hätten bundesweit 190 regionale Sparkassen das Aus für diese Form des Sparens verkündet.

Die tatsächliche Zahl der Kündigungen sei sogar noch höher, so schreibt das Onlineportal, da nicht jedes Institut genaue Angaben dazu mache, wie viele Sparerinnen und Sparer betroffen seien. Doch nachdem bereits im Geschäftsjahr 2019 rund 200.000 Kundinnen und Kunden einseitig aus ihren Verträgen gedrängt wurden, halte die Kündigungswelle unvermindert an. So hätten bereits weitere Sparkassen bekannt gegeben, sich von hochverzinsten Verträgen trennen zu wollen.

Aktuellste Beispiele: Die Sparkasse Duisburg trennt sich zum 30. Juni von 11.500 der insgesamt gut 50.000 Prämiensparverträge. Gleiches gilt für die Sparkasse Krefeld, die 12.500 Sparverträge zum 30. März loswerden will.

Kunden wird gekündigt, wenn höchste Sparstufe erreicht

Bei den Verträgen handelt es sich um das Modell „Prämiensparen flexibel“ oder ähnlich funktionierende Policen, die vor allem von den Volksbanken und Sparkassen vertrieben wurden. Und sich als echter Renner entpuppten. Speziell in den 90er Jahren waren die Verträge gut nachgefragt — und wurden von den Sparkassen offensiv beworben.

Das Problem: Diese Verträge sehen neben einem niedrigen Basiszins, der aktuell nahe Null liegt, eine gestaffelte Extraprämie vor. Diese orientiert sich an der Vertragslaufzeit mit dem Grundgedanken, dass der Kunde für seine Treue belohnt werden soll. Zunächst sehr niedrig verzinst, kann die höchste Sparstufe erst nach 15 Jahren Vertragslaufzeit erreicht werden.

Doch genau wenn diese Sparstufe erstmals ausgeschöpft wurde, setzen nun die Sparkassen die Kundinnen und Kunden einseitig vor die Tür. Die Banken selbst haben in Zeiten niedriger Zinsen Probleme, das Prämienextra zu erwirtschaften.

Wie die Extraprämie funktioniert, soll ein einfaches Beispiel zeigen: Legt der Kunde monatlich 100 Euro an, summiert sich dies auf 1.200 Euro im Jahr. Nach drei Jahren gibt es drei Prozent Zinsen auf das im dritten Jahr eingezahlte Geld als Extra obendrauf: 36 Euro für mittlerweile 3.600 Euro Sparguthaben. Das ist erstmal nicht viel, weil effektiv nur ein Prozent Zins als Extrabonbon berechnet wird.

Dann aber steigt dieser Bonus in mehreren Stufen weiter an, je länger der Kunde den Vertrag hält. Nach 15 Jahren erreicht er schließlich die höchste Sparstufe: 50 Prozent der Sparsumme, die im laufenden Jahr an Beitrag eingezahlt wurde. 600 Euro werden nun als Prämie gutgeschrieben, während 20.000 Euro auf dem Konto liegen.

Umstrittenes BGH-Urteil

Ein umstrittenes Urteil des Bundesgerichtshofes (BGH) gestattet es aber, die Sparkassen-Kundinnen und Kunden tatsächlich aus dem Vertrag zu drängen, sobald nach 15 Jahren erstmals die höchste Sparstufe erreicht wurde (AZ: XI ZR 345/18). Umstritten auch deshalb, weil die Sparkassen die Verträge in Prospekten und Beratungsgesprächen mit weit längeren Laufzeiten beworben hatten (der Versicherungsbote berichtete):

„Von wenigen Ausnahmen abge­sehen, haben die beteiligten Sparkassen Lauf­zeiten von 25 oder 30 Jahren angegeben“, berichtet das Magazin Finanztest, das die Sparverträge seit Anfang der Nullerjahre beobachtet und wiederholt darüber berichtete. „Sie allein bestimmen, wie lange Sie sparen wollen“, hieß es zudem in vielen Prospekten.

Vertragsklausel: Niedrigzins als "sachgerechter Grund"

Dennoch sind die Kündigungen rechtskräftig, entschied der BGH. Und verwies auf eine Klausel in den Allgemeinen Vertragsbedingungen der Sparkassen. Darin heißt es: Soweit weder eine Laufzeit noch eine abweichende Kündigungsregelung vereinbart sind, können der Kunde und bei Vorliegen eines sachgerechten Grundes auch die Sparkasse die gesamte Geschäftsbeziehung oder einzelne Geschäftszweige jederzeit ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist kündigen“.

Ein sachgerechter Grund liege vor, sobald die Kündigung aus kaufmännischer Sicht nachvollziehbar sei, schreibt das Finanz Colloquium Heidelberg (FCH) mit Blick auf das Urteil. Umstritten ist der Richterspruch dennoch, weil die Sparkassen ja explizit mit längeren Laufzeiten von 25 Jahren aufwärts geworben und diese auch in Prospekten genannt hatten. Aussagen in den Broschüren seien "lediglich werbende Anpreisungen" und eben kein Vertragsbestandteil gewesen, entschied der BGH. Ein Urteil, das anderen Entscheidungen der letzten Jahre zu Prospekt- und Beratungshaftung zuwider läuft.

Trotz des Urteils raten sowohl die Verbraucherzentralen als auch die Stiftung Warentest den Kunden, die Kündigungen nicht einfach zu akzeptieren. Stattdessen empfehle es sich, diese genau zu prüfen. Zum einen gibt es Policen, bei denen tatsächlich eine längere Vertragslaufzeit festgelegt ist: Diese dürfen eben nicht ohne weiteres von den Instituten abgestoßen werden. Zum anderen muss die höchste Sparstufe wenigstens einmal ausgeschöpft wurde. Wenn die letzte Prämienstufe noch nicht erreicht ist, dürfen Banken den Vertrag ebenfalls nicht kündigen, wie mehrere Urteile belegen (OLG Dresden, Az. 8 U 1770/18 und Land­gericht Stendal Az. 22 S 104/18).

Rechtsstreit um falsch berechnete Zinsen

Weiterhin für Ärger sorgen auch vermeintlich falsch berechnete Zinsen bei diesen Sparverträgen, viele frustrierte Kunden ziehen vor Gericht. Kein Einzelfall, wie der Versicherungsbote bereits berichtete: zehntausende Sparer dürften zu wenig Zins erhalten haben. Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) listet aktuell knapp 140 Institute auf, die den Kunden mutmaßlich einen zu geringen Zinssatz berechnet haben. Darüber hinaus führt die Verbraucherzentrale Sachsen aktuell Musterfeststellungsklagen gegen die Erzgebirgs-Sparkasse und die Sparkasse Leipzig. Bei einer Stichprobe von 350 untersuchten Verträgen stellten die Verbraucherschützer einen durchschnittlichen Fehlbetrag von 6.000 Euro fest.

Das Problem: Die Sparkassen beriefen sich bei den Sparverträgen auf eine Klausel, die es erlaubt, fallende Zinsen schneller an den Kunden weiterzugeben: zu dessen Nachteil. Der Bundesgerichtshof (BGH) erklärte die Klausel in mehreren Urteilen für unwirksam (u.a. BGH-Urteil vom 17.02.2004, AZ: XI ZR 140/03 sowie BGH-Urteil vom 14.03.2017, XI ZR 508/15). Sie sei nicht nur intransparent, sondern orientiere sich zudem am falschen Referenzzins: statt langjährigen Anleihen wie vom Gesetzgeber vorgegeben rechneten die Geldhäuser auch kurzfristige Papiere ein (der Versicherungsbote berichtete).