BdV-Chef Kleinlein schießt gegen Lebensversicherer und verstrickt sich in Widersprüche

Quelle: succo/pixabay

Halten Lebensversicherer den Kunden garantierte Leistungen vor? Das könnte man denken, liest man die aktuelle Polemik von Axel Kleinlein, Vorstandssprecher beim Bund der Versicherten (BdV). Lautet doch die Überschrift: „Garantien in der Lebensversicherung? Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern…“. In Wirklichkeit aber zielt Kleinleins Kritik auf schrumpfende Überschussbeteiligungen. Da er aber zugleich einen Rundumschlag zu bezwecken scheint und viele Vorwürfe in seine "Klartext" packt, verheddert er sich in Widersprüche. Ein Kommentar.

Wie schon häufiger attackiert der Verbraucherschutz- Funktionär Axel Kleinlein auch in seinem neuesten Kommentar die Lebensversicherer. Und was steckt nicht alles drin an Vorwürfen in seinem neuen "Klartext"! Hätten sich die Versicherer doch „massiv verkalkuliert“. Mehr noch: Einige Versicherer hätten wohl kurz vor der Pleite gestanden. Schreibt doch Kleinlein: „Nur mit einer Hauruckaktion und Lockerung bei der Zinszusatzreserve konnten im letzten Jahr vermutlich Pleiten verhindert werden.“ Die Überschussbeteiligungen hingegen, die Lebensversicherer den Kunden zahlen? Aus Sicht des Verbraucherschutz-Funktionärs sind diese „unangemessen“, also unangemessen niedrig.

Ohne Rechentricks einige Versicherer längst vor Gericht angeklagt

Verbergen jedoch lässt sich die unangemessene Beteiligung aus Kleinleins Sicht aufgrund von „Rechentricks“, die sich ebenfalls durch die Zinszusatzreserve, zudem durch weitere Posten der Nachreservierung wie „Sicherungsbedarf“ und „kollektiver RfB“ ergeben. Das Fazit könnte härter kaum sein: „Gäbe es diese Rechentricks nicht“, so schreibt Kleinlein, „dann wäre die Versicherungsbranche längst kollektiv vor Gericht angeklagt - wegen Nichteinhalten der versprochenen Überschussgarantie.“ Doch was ist dran an den Vorwürfen? Leider bringt Kleinlein in seinem Beitrag zusammen, was nicht so recht zusammenpassen will.

Haben sich die Lebensversicherer tatsächlich "massiv verkalkuliert"? Die Behauptung Kleinleins ist kaum von der Hand zu weisen. Fakt jedenfalls ist: Hohe Garantien der alten Verträge stellen derzeit eine erhebliche Belastung für die Branche dar. Denn die Garantien lassen sich durch niedrige Zinsen kaum noch erwirtschaften. So ergab eine Analyse des Zweitmarkt-Anbieters Policen Direkt: Bei 39 von 84 deutschen Lebensversicherern reichten 2017 die erwirtschafteten Erträge aus Kapitalanlagen nicht aus, um alle Garantiepflichten zu erfüllen und die gesetzlich vorgeschriebene Reserve zu bedienen (der Versicherungsbote berichtete). Kleinleins Vorwurf, bei den Garantiezinsen wäre etwas „besonders schief“ gegangen, ist nicht von der Hand zu weisen.

Zinszusatzreserve: Einführung auch Folge zu hoher Garantien

In diesem Kontext darf nicht vergessen werden: Vorgeschriebene Reserven und strenge regulatorische Vorgaben des Gesetzgebers sind ebenfalls eine direkte Folge der Fehlkalkulation. So wurde 2011 durch den Gesetzgeber die sogenannte Zinszusatzreserve als obligatorischer Sicherheitspuffer für die Branche eingeführt, damit auch weiterhin Altverträge bedient werden können.

Die Anforderungen für die Reserven waren zunächst hoch und bürdeten den Versicherern eine zusätzliche Last auf – 60 Milliarden Euro und damit fast das gesamte bilanzielle Eigenkapital der Unternehmen wurde bis 2017 in diesem Reserveposten angehäuft, wie die Ratingagentur Assekurata analysierte. Bei einigen Unternehmen lagen bereits mehr als 90 Prozent der Bestände in der Nachreservierung. Die Aussichten für die Zukunft waren düster: Bis 2023 hätte die ZZR auf 130 Milliarden Euro bis 180 Milliarden Euro ansteigen müssen, wie der GDV warnte. Ob alle Versicherer in Zukunft weiterhin hätten derart hohe Reserven bedienen können, darf durchaus angezweifelt werden (der Versicherungsbote berichtete).

Neue Rechenformel könnte tatsächlich Pleiten verhindert haben

Die Frage wurde laut, wie lange die Versicherer noch durchhalten können mit der doppelten Last aus hohen Garantien und hohen Reserven. Lobby-Verbände wie der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) forderten eine Anpassung der Regeln und damit eine Lockerung der regulatorischen Fesseln bei der Reserve (der Versicherungsbote berichtete). Mit Erfolg: Im Herbst 2018 unterschrieb Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) tatsächlich eine Verordnung, die Versicherer wesentlich entlastete. Wie geschätzt wurde, ermöglichte eine veränderte Rechenformel den Gesellschaften Ersparnisse in Höhe von rund zwei Dritteln.

Auch in diesem Punkt also kann man Kleinlein durchaus Recht geben, wenn er schreibt: "Nur mit einer Hauruckaktion und Lockerung bei der Zinszusatzreserve konnten im letzten Jahr vermutlich Pleiten verhindert werden". Vielleicht war die Gefahr für Pleiten weniger akut, als Kleinlein behauptet. Zumindest aber für die Zukunft wären diese Pleiten nicht unwahrscheinlich gewesen – sogar der GDV hatte damit seine Forderungen nach einer veränderten Regelung bei den Reserven begründet.

Jedoch darf auch etwas anderes nicht übersehen werden. Denn hinterher ist man immer schlauer – im Niedrigzinsumfeld kann man leicht den Versicherern vorwerfen, die Nullzinsen nicht vorausgesehen zu haben. Jedoch stellt sich zugleich die Frage, mit welcher Wahrscheinlichkeit die Versicherer noch vor Jahren hätten jene Nullzinsen vorhersehen können, die nun Gewinnmargen und Überschussbeteiligungen auf ein Minimum schrumpfen lassen. Hätte ein Unternehmen damals mit einem Szenario "vorsichtig" kalkuliert, das heute Realität ist, hätte es sich in der Vergangenheit wohl kaum am Markt behaupten können.


Kleinlein will den Rundumschlag – und verstrickt sich in der eigenen Argumentation

Trotz des Einwands, dass Nullzinsen vor Jahren wenig wahrscheinlich schienen, ist Kleinleins Kritik überzogener Versprechen und zu hoher Garantien berechtigt. Er könnte es nun darin bewenden lassen: Die Versicherer hatten sich in der Vergangenheit verkalkuliert und lockten aus diesem Grund die Kunden mit zu hohen Garantien, die nun auch in Form hoher nötiger Reserven die Versicherer belasten. Die doppelte Last hoher Garantien und hoher Reserven schränkt dabei den Spielraum für eine Überschussbeteiligung auf ein Minimum ein. Das mündet in seine Kritik, Versicherer hätten in der Vergangenheit mit unrealistischen Überschussbeteiligungen um Kunden geworben.

Für diesen Kritikpunkt ist jedoch ebenfalls eine Relativierung nötig: Selbst im Gabler Versicherungslexikon (mit Stand von 2017) ist, bezugnehmend auf den „Rohüberschuss“, zu lesen: Aufsichtsrechtliche Rahmenbedingungen zwingen Lebensversicherungsunternehmen zu einer sehr vorsichtigen Kalkulation, so dass der Rohüberschuss mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit deutlich positiv ist. Laut gesetzlicher Mindestzuführungsverordnung (MindZV) sind Kunden mit vorgeschriebenen Quoten zudem an Überschüssen und Gewinnen zu beteiligen. Was lag da näher, als mit hohen Überschüssen um Kunden zu werben?

Kleinlein aber scheint mehr zu wollen, als den Versicherern im Nachhinein unrealistische Versprechen vorzuwerfen. So hätten sich die Unternehmen aus seiner Sicht davon verabschiedet, „eine angemessene Überschussbeteiligung zu gewähren“. Wenn aber die Kalkulation gewaltig schief ging, was ist dann „angemessen“? Nimmt man den Vorwurf wörtlich, dürfte nämlich nichts mehr an Überschüssen zu holen sein. Kleinlein aber kann sich nicht entscheiden, ob er den Versicherern ihre Fehlkalkulation vorwerfen will, oder ob er der Meinung ist, die Versicherer drücken sich um eine angemessene Überschussbeteiligung.

Werden Kunden angemessen an den Überschüssen beteiligt?

Der zweite Vorwurf zielt nämlich in eine andere Richtung: Die Bilanzen der Lebensversicherer werden als eine Art Black Box dargestellt. Für die Kunden ist in diesem Sinne nicht mehr ersichtlich, ob sie gemäß Mindestzuführungsverordnung angemessen beteiligt werden oder nicht. Und in der Tat greift Kleinlein diesen Vorwurf auf, wenn er meint: "Es wäre an der Zeit, dass die Versicherer endlich wirklich an dem gemessen würden, was sie früher garantiert haben - und das ohne die Rechentricks, wie sie sich aus Nachreservierungen, „Zinszusatzreserve“, „Sicherungsbedarf“ und „kollektiver RfB“ ergeben". Die Nachreservierungen dienen in dieser Vorstellung den Versicherern als Versteck für Gelder, die sonst an die Kunden zu zahlen wären.

Auch dafür ließen sich durchaus Indizien finden. So äußerte sogar Allianz-Vorstandschef Oliver Bäte, Bezug nehmend auf die Lebensversicherung, jüngst im Interview mit der Süddeutschen: Es gäbe „immer noch Produkte, die der Kunde kaum verstehen kann und bei denen wir als Unternehmen ehrlich gesagt den Kundennutzen auch nicht richtig verstehen.“ Dass solch komplexe Produkte in hochkomplexen Bilanzen der Lebensversicherer Schlupflöcher bieten, um Überschüsse kleinzurechnen, ist denkbar. Allerdings liegt gerade in der Komplexität der Bilanzen ein Problem: Der Beweis für diese "Rechentricks" lässt sich nur schwer erbringen. Für Außenstehende sind die Bilanzen der Lebensversicherer oft ein Buch mit sieben Siegeln. Auch das könnte man aus Verbraucher-Perspektive mit gutem Recht kritisieren. Kleinlein aber versucht, seinen Vorwurf, die Versicherer halten dem Kunden Gelder vor, mit einem rhetorischen Trick zu begründen.

„Versprechen“ werden zu „Garantien“

Statt nämlich zu erklären, wie denn solche "Rechentricks" funktionieren, definiert Kleinlein die unrealistischen Versprechen auf hohe Überschussbeteiligungen einfach in garantierte Leistungen um. So hätte man zwar nicht die Höhe der Überschussbeteiligung garantieren können. Dass es aber überhaupt eine Überschussbeteiligung gibt, wäre „schon garantiert“.

In der folgenden Argumentation behandelt Kleinlein nun die unrealistischen Versprechen tatsächlich, als wären es garantierte Leistungen, für die man die Versicherer sogar haftbar machen kann. Denn gäbe es Rechentricks bei den Reserven nicht, dann wäre die Versicherungsbranche längst kollektiv vor Gericht angeklagt - wegen Nichteinhalten der versprochenen Überschussgarantie. Überschüsse und Garantien finden hier in einem Wort zusammen und Kleinleins Polemik verliert jede Trennschärfe. Der Verbraucherschützer macht es sich, mit seiner Verurteilung, bei dem schweren und komplexen Thema "Lebensversicherungen" zu leicht.

Das Wichtigste aber bleibt Kleinlein in seiner Argumentation dem Leser schuldig: Den Beweis nämlich, dass Versicherer tatsächlich in Reserven Überschüsse verbergen, die an die Kunden auszuzahlen sind. Und so fällt ihm auch ein Widerspruch nicht auf, wenn er die Nachreservierungs- Posten geradezu als Erfindung der Versicherungswirtschaft verkauft, um mit "Rückendeckung" der Politik Kundengelder zu unterschlagen: Die Versicherer nämlich hätten sich mit ihrem Engagement um gelockerte Regeln bei der Zinszusatzreserve selber um dankbare "Rechentricks" gebracht, den Kunden Gelder vorzuenthalten.