Vier Millionen Pflegebedürftige in 2035 erwartet - und massiver Pflegenotstand

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Bis zum Jahr 2035 könnte es in Deutschland vier Millionen Menschen geben, die auf Pflege angewiesen sind. Zu diesem Ergebnis kommt das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft in Köln in einer aktuellen Studie. Die Forscher warnen vor einem drastischen Pflegenotstand. Doch ausgerechnet einige private Pflegeeinrichtungen knausern bei den Löhnen.

Bis zum Jahr 2035 sind nach einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) Köln bereits vier Millionen Menschen auf Pflege angewiesen, in der Mehrheit Senioren. Das berichten die arbeitgebernahen Wirtschaftsforscher am Montag in einem Pressetext. Die Folge wäre ein massiver Mangel an Pflegekräften, warnt das Institut. Der Pflegenotstand in den Betreuungseinrichtungen könnte sich massiv verstärken.

Schon heute viele Stellen unbesetzt

Schon heute herrscht in der Pflege ein massiver Notstand, wie Statistiken der Bundesagentur für Arbeit zeigen. Derzeit kommen laut IW auf 100 bei der Bundesagentur für Arbeit (BA) gemeldete Stellen für Altenpfleger nur 22 arbeitslose Fachkräfte. Und das sei nur die Spitze des Eisbergs, denn jede zweite unbesetzte Stelle in Alten- und Pflegeheimen werde gar nicht an die Arbeitsagentur gemeldet.

„Die Lücke wird stetig größer“, mahnt IW-Expertin Susanna Kochskämpfer. Als Altenpfleger arbeiten derzeit 244.000 Beschäftigte, zusätzlich gesellen sich 228.700 Altenpflegehelfer hinzu. Die Pflegehelfer haben nur eine ein- bis zweijährige Berufsausbildung absolviert, während für den Altenpfleger eine dreijährige Ausbildung erforderlich ist. Sie unterstützen die Senioren unter anderem beim Ankleiden, Essen oder durch das Bereitstellen kultureller Angebote.

Wie soll der Bedarf an Pflegekräften aber gedeckt werden, wenn bald ein Drittel mehr Pflegebedürftige zu betreuen sind? Bis zum Jahr 2035 wären 44 Prozent Pflegekräfte zusätzlich erforderlich, um den Bedarf auf jetzigem Niveau zu decken, rechnet IW-Expertin Kochskämper vor. Um einen Kollaps des Pflegesystems zu verhindern, müsse der Pflegeberuf attraktiver werden, appelliert sie an Politik und Arbeitgeber. Altenpfleger würden mit 2.621 Euro monatlich im Schnitt 19 Prozent weniger als Gesundheits- und Krankenpfleger verdienen, auch wenn die Löhne zuletzt gestiegen seien.

Pflegemindestlohn Ost: 10,05 Euro pro Stunde

Hier sei zusätzlich daran erinnert, dass der Lohn einer Pflegekraft stark von der Region und Einrichtung abhängt. Ein Beispiel: Laut Bundesagentur für Arbeit liegt das mittlere Einkommen einer Altenpflegefachkraft in Sachsen aktuell bei 2.050 Euro brutto im Monat, so berichtet der MDR. Das sind 571 Euro weniger als ihre Kollegen in den alten Bundesländern monatlich bekommen. Drastischer noch die Bezahlung in Sachsen-Anhalt: Hier können Pfleger im Schnitt nur auf ein Bruttogehalt von knapp 1.930 Euro hoffen.

Ein einheitliches Einkommen für Pfleger nach Tätigkeit und Qualifikation gibt es nach den Recherchen des MDR nicht. Das Gehalt hänge stark davon ab, bei welchem Träger man unterkomme. Und gerade die privaten Einrichtungen würden bei der Bezahlung knausern. So würden Pfleger in öffentlichen Einrichtungen rund 100 bis 300 Euro brutto mehr verdienen als bei den kirchlichen Wohlfahrtsverbänden Diakonie und Caritas, die eigene Haustarife haben und zu den privaten Trägern gehören.

Als verbindliches Kriterium gilt immerhin ein Pflegemindestlohn in Deutschland. Auf bescheidenem Niveau: Seit Januar 2018 liegt er bei 10,55 Euro im Westen und Berlin und bei 10,05 Euro in Ostdeutschland. Im Jahr 2019 und 2020 soll er erneut leicht erhöht werden.

mehr politisches Engagement gefordert

Angesichts der schwierigen Situation fordern die Experten des Instituts der deutschen Wirtschaft auch von der Politik mehr Anstrengungen, den Pflegenotstand in den Griff zu bekommen. So sei das Pflegepersonal-Stärkungsgesetz von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) unzureichend. Es bringe viel Bürokratie mit sich und das Budget, um mehr Pfleger zu gewinnen, sei zudem zeitlich gedeckelt. Jens Spahn will unter anderem Mindeststandards für Personal in Pflegeeinrichtungen gesetzlich festschreiben. In seinem Gesetzentwurf sind jetzt 13.000 zusätzliche Stellen für Pflegeheime vorgesehen. Es bliebe die Frage, wo die erforderlichen Fachkräfte überhaupt hergenommen werden sollen.

Darüber hinaus regt das IW Köln an, Pflegehelfer besser weiterzubilden, um die Pflegekräfte noch stärker entlasten zu können. Mit digitalen Mitteln könnten in der Pflege zudem Arbeitsabläufe optimiert und so Pfleger entlastet werden. Kritisch wertet das Institut die von der Bundesregierung geplante Zusammenlegung der Ausbildungen der Alten-, Kranken- und Kinderkrankenpflege. Es sei zu erwarten, dass viele in die besser bezahlte Krankenpflege gehen. Hier bliebe anzumerken: Auch in diesen Berufen bleiben laut Bundesarbeitsagentur viele Stellen unbesetzt.