Vorsorgen ist besser als heilen? Dem ist offenbar doch nicht so. Die gesetzlichen Krankenkassen haben ihre aktuellen Quartalszahlen vorgelegt, und man muss schon eine Weile suchen, um im Tortendiagramm die Ausgabenanteile für „Vorsorge- und Reha- Maßnahmen“ zu finden. Lediglich ein Prozent der Gesamtausgaben geben die Kassen für die Krankheitsvorsorge aus, so wenig wie für keine andere Leistung.

Die Vorsorge scheint auch die einzige Aufwendung zu sein, bei der die Krankenkassen im laufenden Jahr ein deutliches Einsparungspotential gesehen haben. Betrugen die Ausgaben für „Vorsorge- und Reha-Maßnahmen“ im Jahr 2009 noch 1,92 Milliarden Euro (Daten für das erste bis zum dritten Quartal), so sanken sie nun im Vergleich zum Vorjahr auf 1,85 Milliarden Euro. Auch bei den Maßnahmen für „Soziale Dienste/Prävention/Impfungen“ wurde gespart, hier ist sogar ein Minus von 410 Millionen Euro zu verbuchen. Zum Vergleich: allein die Netto-Verwaltungskosten der Krankenkassen stiegen im selben Zeitraum um 230 Millionen Euro, sie betrugen in den ersten drei Quartalen des Jahres 2010 somit 6,62 Milliarden Euro. Das meiste Geld gaben die gesetzlichen Kassen jedoch für die Krankenhausbehandlung aus: hierfür mussten 44,18 Milliarden aufgewendet werden. Auch die Ausgaben für Arzneimittel stiegen erneut und stehen nun mit stolzen 24,32 Milliarden Euro in den Büchern.

Sparen an der falschen Stelle

Ärgerlich sind die Einsparungen bei der Vorsorge gerade deshalb, weil Fachleute, Patienten- und Krankenhausverbände seit Jahren auf deren Wichtigkeit hinweisen und betonen, dass durch gezielte Maßnahmen die Kosten im Gesundheitssystem sogar dauerhaft gesenkt werden könnten. So hat eine Studie des Schweizer Forschungsinstitutes „Prognos AG“ ergeben, dass mit jedem Euro, der in die Vorsorge investiert wird, fünf Euro für die Volkswirtschaft zurück gewonnen werden. Folglich wird sogar eine Ausweitung der Vorsorgeangebote angeraten, so dass Krankenkassen auch Leistungen wie Tabakentzug oder die Ernährungsumstellung von Übergewichtigen finanzieren sollten.
Denn gerade ein ungesunder Lebenswandel zieht oftmals Folgekrankheiten nach sich, die später teuer therapiert werden müssen: Bluthochdruck, Diabetes oder Herzinfarkt seien nur als Beispiele genannt. Menschen, die ihren Lebenswandel umstellen wollen, müssen Therapien jedoch oft aus eigener Tasche zahlen.

Noch gravierender sind die Auswirkungen für Kinder. Das „Deutsche Ärzteblatt“ berichtete in einem Beitrag vom 17. Dezember 2010 („Armut macht Kinder krank“), dass Gesundheit stark an das Einkommen und die Bildung der Eltern gebunden sei. So sind Kinder aus armen Familien oftmals schlechter ernährt, verletzen sich häufiger und haben auch öfter Infektionskrankheiten als die Nachkommen aus finanziell besser gestellten Familien. Gerade hier gilt es, mit Aufklärungs- und Therapieangeboten die Gesundheit der Kinder dauerhaft zu fördern.

Von den Kürzungen betroffen sind jedoch auch sogenannte „Mutter-/Vater-Kind-Maßnahmen“, die es Eltern mit ihrem Nachwuchs ermöglichen sollen, gemeinsam an der Gesundheit der Kinder zu arbeiten. Häufig findet dies in Form einer Kur statt, wo unter ärztlicher Aufsicht umfangreiche Freizeit- und Beratungsangebote wahrgenommen werden können. Wichtig sind Eltern-Kind-Maßnahmen auch deshalb, weil Studien wie beispielsweise die nationale Kinder- und Jugendgesundheitsstudie („KiGGS“) gezeigt haben, dass die Zahl der physischen und psychischen Störungen im Kindesalter zugenommen hat. Doch gerade hier haben die Krankenkassen den Rotstift angesetzt und gaben im laufenden Jahr ungefähr zwanzig Prozent weniger aus als noch vor zwei Jahren.

Auch Kommunen und Gesundheitsministerium sparen an Vorsorgeleistungen

In das Bild passt, dass das Gesundheitsministerium ebenfalls bei der Prävention sparen will. Waren für den Aktionsplan „Gesundheitliche Prävention durch ausreichende Bewegung und ausgewogene Ernährung“ im laufenden Jahr noch 4,5 Millionen Euro vorgesehen, so steht für das Jahr 2011 nur noch eine knappe Million zur Verfügung.
Gern vernachlässigt wird auch die Rolle der Kommunen für die Gesundheitsvorsorge. Städte und Gemeinden leisten einen Beitrag zur Prävention, indem sie Sport- und Freizeitangebote zur Verfügung stellen oder deren Finanzierung unterstützen. Werden nun infolge eines fragwürdigen Sparprogramms und sinkender Steuereinnahmen Freibäder, Kindergärten und Nahverkehrsverbindungen zusammengestrichen, so könnte sich auch dies negativ auf die Gesundheitsentwicklung auswirken, stehen doch weniger sportliche Freizeitangebote zur Verfügung oder diese werden deutlich teurer. Auf der Kippe stehen ebenfalls kommunale Projekte für den Kinderschutz wie etwa das Konzept „Soziale Stadt“, bei dem sich Quartiersmanager und Stadtteilmütter in sozial schwierigen Vierteln engagieren. Im kommenden Jahr hat das Projekt rund 65 Millionen Euro weniger zur Verfügung.

Über die Gründe der Sparwut kann an dieser Stelle nicht umfassend Auskunft gegeben werden. Der Verdacht drängt sich jedoch auf, dass die Krankenkassen an Leistungen sparen, um keine Zusatzbeiträge erheben zu müssen: also streichen sie dort, wo am wenigsten Widerstand zu erwarten ist. Und im wohl mächtigsten Beschlussgremium des deutschen Gesundheitswesens, dem „Gemeinsamen Kontrollausschuss“ mit quasi gesetzgeberischer Gewalt, sitzen zwar Vertreter von Krankenkassen, Pharmaindustrie, Klinik- und Ärztevereinigungen. Nur die Patienten haben dort kein Stimmrecht: ihnen fehlt in Deutschland schlicht die Lobby.

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