Versicherungsbote: Wie definieren Sie persönlich „Disruption“ im Kontext der Altersvorsorge, und inwiefern erwarten Sie, dass FIDA eine solche Disruption bewirkt?


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Patrick Dahmen: Disruption bezieht sich nach meinem Verständnis auf Innovationen, die bestehende Geschäftsmodelle oder Technologien verdrängen. Im vorliegenden Fall stellt sich somit die Frage, ob FIDA die bestehenden Beratungsansätze in der Altersvorsorge und gerade auch im digitalen Wealth Management vollständig ersetzen wird. Die von uns befragten Experten sind sich einig, dass FIDA alleine zu keiner Disruption führt, allerdings einen entscheidenden Beitrag in diese Richtung leistet. Daneben ist es entscheidend, dass das Finanzwissen der Kunden deutlich gestärkt wird, um dadurch die Voraussetzungen zu schaffen, dass optimal aufbereitete und stark personalisierte Vermögensübersichten auch wirklich von Kunden verstanden und genutzt werden. Somit müssen einige Faktoren, wie beispielsweise FIDA, Finanzwissen der Kunden und eine weitere Verbreiterung digitaler Plattformen, zusammenkommen, damit sich neue disruptive Geschäftsmodelle entwickeln werden.


Welche konkreten Anpassungen müssen Finanzdienstleister an ihren Geschäftsmodellen vornehmen, um die Vorteile von FIDA vollständig zu heben?

Aus meiner Sicht ist es zentral, FIDA als Chance für das eigene Geschäft zu betrachten und nicht als eine reine Compliance Aufgabe. Es ist in erster Linie eine Frage des Mindset. In unserer Studie sprechen wir von „Active Data Leader“, die konsequent ihre Daten verknüpfen, in der Regel auf digitalen Plattformen operieren oder diese gar auf- und ausbauen (z.B. wie Check24) und sich vollständig einer 100% Kundenzentrierung verpflichtet fühlen. Diese Unternehmen verfügen zudem über eine starke Data Analytics Plattform, eingebettet in eine übergreifende Data Governance.

Auf Basis welcher Erkenntnisse schließen Sie, dass Kunden bereit sind, ihre Daten für bessere Finanzprodukte zu teilen, und wie stellen Sie sicher, dass diese Bereitschaft nachhaltig ist?

In den letzten Jahren gibt es eine Vielzahl von Befragungen von Kunden, die eindeutig belegen, dass Kunden auch in Deutschland bereit sind, Daten gegen klare Mehrwerte zu teilen. Als Beispiel ist die von Sollers im Jahr 2023 durchgeführte Befragung zu erwähnen, die bestätigt, dass 1/3 der Deutschen bereit sind, auch Gesundheitsdaten im Gegenzug für konkrete Mehrwerte zu teilen. Eine von Capco in 2021 durchgeführte Studie bestätigt diese Bereitschaft auch mit Blick auf Finanzapps, in denen Kunden durch das Teilen von Daten einen umfassenden Überblick über ihren Vermögensstatus erhalten.


Welche technologischen Herausforderungen sehen Sie bei der Implementierung von FIDA und wie können diese gelöst werden?

Um diese Daten zu nutzen, müssen sogenannte „Financial Data Sharing Schemes“ (FDSS) gebildet werden. Hierbei sind klare Datenstandards und technische Schnittstellen (APIs) entscheidend, um eine nahtlose Interoperabilität zwischen den Mitgliedern zu ermöglichen.

Wir sollten die Erfahrungen aus anderen Ländern, nicht zuletzt aus Singapore mit der Singapore Financial Data Exchange, nutzen. Die technologische Bereitschaft für den Beitritt zu einer offenen Finanzplattform, eine starke, übergreifende Governance sowie einen auf Zusammenarbeit ausgerichtetes mind-set waren dort beispielsweise wichtige Erfolgsfaktoren. Mit Blick auf FIDA bedeutet dieses, dass wir in der Versicherungswirtschaft konkret prüfen sollten, welche technologischen Voraussetzungen schon existieren und wie man diese zum Wohle der Kunden zu einem solchen FIDA Scheme gemeinsam weiterentwickeln kann. Ich denke hier an ein enges Zusammenspiel des GDV mit der TGIC (trusted German insurance cloud), dem gerade im Aufbau befindlichen BiPRO Hub sowie der Frida Initiative. Mit TGIC sind bereits wesentliche Technologien und Authentifizierungsfragen geklärt, die sicherlich für FIDA angewandt und weiterentwickelt werden könnten.


Welche Kosten erwarten Finanzdienstleister bei der Implementierung der FIDA-konformen Technologien und Prozesse, und wie stehen diese im Verhältnis zu den erwarteten Erträgen?

Zum aktuellen Zeitpunkt lassen sich die Kosten nur schwer erfassen. Wichtig ist es, sich schnell auf gemeinsame, möglichst länderübergreifende Standards zu einigen, um somit die technologische, prozessuale und datensichere Basis für die weitere Umsetzung zu schaffen.

Die Ertragspotentiale sind aus meiner Sicht klar gegeben – da braucht man sich nur die Finanzergebnisse digitaler Plattformen, wie beispielsweise Google, Amazon oder auch Check 24, anzuschauen, die ihren Profit durch die konsequente Analyse der Daten generieren, die sie von ihren Kunden direkt oder indirekt erhalten haben.

Welche spezifischen Wettbewerbsvorteile erwarten Sie für Unternehmen, die FIDA schnell und effektiv implementieren?

Je besser ein Unternehmen in der Lage ist, die vom Kunden dank FIDA erhaltenen Daten zu analysieren und sodann personalisierte Ansprachen für cross- und up-selling oder auch für Umdeckungsaktionen zu nutzen, desto stärker werden diese Unternehmen schneller und stärker wachsen. Die Weiterentwicklung solcher datengetriebener Ansätze braucht allerdings Zeit und Ressourcen, so dass wahrscheinlich Unternehmen mit entsprechender Kapitalkraft die Nase vorne haben werden. Allerdings wird es auch den ein oder anderen kleineren Versicherer geben, der dank seiner Flexibilität und Schnelligkeit in einzelnen Bereichen sich sehr wohl positionieren können.

Welche Auswirkungen erwarten Sie durch FIDA auf kleinere Finanzdienstleister und wie können diese sich anpassen, um konkurrenzfähig zu bleiben?

Kleinere Unternehmen sollten sich stark an den übergreifenden Standards ausrichten und prüfen, wie eine Zusammenarbeit – natürlich unter strikter Beachtung kartellrechtlicher Restriktionen – möglich erscheint. Deshalb erscheint es mir in Deutschland so wichtig, dass die bestehenden Brancheninitiativen, wie die TGIC des GDV, der BiPRO Hub und die Frida Initiative, genutzt werden, um hieraus FIDA Schemes zu entwickeln –aber auch konkrete use case gemeinsam auf diesen Standards zu entwickeln. Zudem werden sich eine Vielzahl von InsurTechs in diesem Bereich positionieren, so dass über die Zusammenarbeit mit diesen Unternehmen auch kleinere Versicherer sehr konkret von FIDA profieren können und konkurrenzfähig bleiben.


Wie sehen Sie die langfristigen Auswirkungen von FIDA auf die Altersvorsorgebranche in den nächsten 5 bis 10 Jahren?

Langfristig wird FIDA zu einer noch stärkeren Individualisierung in der Altersvorsorge und im Wealth Management führen. Auch die digitale Ansprache im Bereich Altersvorsorge könnte dazu führen, dass rein digitale Vertriebs- und Kundenansprachen sich stärker entwickeln werden. Dominant werden aber auch in 5-10 Jahren Omni-Kanalansätze sein, wo diejenigen Unternehmen gewinnen, die digitale und persönliche Kundenkontaktpunkte eng miteinander verknüpfen, um hierdurch kontinuierlich entsprechende Kontaktanlässe zu entwickeln.

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