Versicherungsbote: Sie vertreten Mandanten, die sich juristisch gegen Hate Speech wehren wollen. Wie sind Sie auf diesen Themenschwerpunkt gekommen bzw. gab es eine spezielle Motivation, sich mit dem Thema Hassrede im Netz zu beschäftigen?

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Hatespeech und Hetze nehmen in den sozialen Netzwerken extrem zu. Das betrifft nicht nur Prominente und Politiker, sondern zunehmend auch Privatpersonen. Gerade Menschen, die sonst nicht in der Öffentlichkeit stehen, sind häufig zurückhaltend und wehren sich selten. Wir unterstützen sie dabei, aktiv gegen Beleidigungen und Persönlichkeitsrechtsverletzungen vorzugehen. Denn klar ist auch: Im Internet gelten keine anderen Maßstäbe als draußen im „echten Leben“. Ich habe mich schon früh in meinem Studium auf das Äußerungs- und Presserecht festgelegt. Ausschlaggebend war damals die Caroline-von-Monaco-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte.

Das Urteil, auf das sie sich beziehen, besagt: Veröffentlichung bestimmter Fotos der Prinzessin und ihrer Familie verletzten ihre Privatsphäre. Sie selbst haben bereits prominente Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens wie Luisa Neubauer oder Igor Levit vertreten. Für manche Kreise sind das geradezu Feindbilder. Waren Sie selbst auch schon Ziel von Hate Speech?

Das kommt schon vor. Aber wir wissen damit umzugehen und gehen dann auch dagegen vor, wenn rechtliche Grenzen überschritten sind. Wir haben es uns als Kanzlei zum Ziel gesetzt, Menschen vor Rufschädigungen, Beleidigungen und Hatespeech zu schützen. Bei uns legen wir da keine anderen Maßstäbe an.

…nun ist Meinungsfreiheit ein hohes Gut. Wo fängt Hate Speech an, etwa in Abgrenzung zur freien Meinungsäußerung? Auf welche Gesetze kann man sich hierbei berufen?

Jeder ist frei, seine Meinung zu äußern – auch im Internet. Die Meinungsfreiheit ist aber nicht grenzenlos. Wer mit seinen Äußerungen die Grundrechte anderer verletzt, muss damit rechnen, dass ihm diese untersagt werden. Hatespeech fängt dort an, wo es darum geht, einen anderen Menschen als Person herabzuwürdigen. Manchmal sind die Grenzen fließend, häufig sind es aber ganz eklatante und menschenverachtende Verstöße. Dann überwiegt der Persönlichkeitsschutz der Betroffenen. Anknüpfungspunkte sind dann meistens Merkmale wie Herkunft, Hautfarbe, Geschlecht, Sexualität oder einfach das äußere Erscheinungsbild.

Ab wann sollte man sich gegen Beleidigungen bzw. Angriffe im Netz wehren? Sollte man jede beleidigende Äußerung verfolgen? Haben Sie da eine Empfehlung?

Wer Angriffen oder Beleidigungen im Netz ausgesetzt ist, sollte sich konsequent dagegen wehren oder zumindest überprüfen lassen, ob rechtlich relevante Äußerungen vorliegen. Relativ schnell kann man dann Unterlassungsansprüche und – je nach Schwere der Äußerung – auch Geldentschädigungen geltend machen.

Vielleicht ein konkretes Beispiel: Der Chefredakteur eines neuen Medien-Netzwerkes, früher für eine große Boulevardzeitung tätig, nannte die aktuelle Miss Niederlande, eine Transfrau, in einem Video einen „hässlichen Mann mit schiefen Zähnen und Clowngesicht“, der „offensichtlich psychisch gestört“ sei. Für mein Empfinden klingt das heftig. Muss man so etwas aushalten? Hätte eine Klage gegen solch eine Äußerung nach Ihrer Einschätzung Aussicht auf Erfolg?

Die Grenze des Zulässigen ist dort überschritten. Nach meinem Dafürhalten sind solche Äußerungen einzig darauf ausgerichtet, die andere Person in ihrer persönlichen Ehre zu verletzen. Das muss nicht hingenommen werden und dürfte auch von den allermeisten Gerichten so gesehen werden.

Viele Social-Media-Profile verbergen sich hinter falschen Namen oder die Akteure sitzen sogar im Ausland. Wird es dadurch schwieriger, rechtliche Ansprüche geltend zu machen? Und an wen kann man sich wenden, um die Identität zu ermitteln? Unterstützen hierbei auch Anwälte?

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Das ist in der Tat eines der Hauptprobleme. Auf den ersten Blick wirken die sozialen Netzwerke deshalb für viele auch ein bisschen wie ein rechtsfreier Raum. Das sind sie aber nicht. Wenn wir Mandate mit ähnlichen Konstellationen haben, stellen wir zunächst Strafanzeige. Die Staatsanwaltschaften ermitteln dann häufig die Klarnamen der Fake-Accounts, sodass wir zivilrechtlich gegen diese vorgehen können. Häufig ist es dann mit der vermeintlichen Anonymität schnell vorbei und die Accountinhaber wundern sich, warum sie Post vom Anwalt bekommen. Wir waren bei derartigen Fällen auch die erste und einzige Kanzlei, die einen Auskunftsanspruch nach dem NetzDG vor dem Bundesgerichtshof durchgesetzt hat.

"Wir gehen auch gegen die Betreiber sozialer Netzwerke vor"

Nun tritt Hate Speech oft nicht isoliert auf, so zumindest mein Eindruck, sondern wird oft auch von mehreren, vielleicht sogar vielen Profilen oder gar Organisationen orchestriert. Wie wehrt man sich gegen eine Welle von Anfeindungen?

Den Eindruck habe ich auch. Nicht selten ist es dann aber so, dass schon erste Abmahnungen ausreichen, um den Beteiligten deutlich zu machen, dass sie Grenzen überschritten haben.

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Haften auch soziale Netzwerke, wenn sie zur Verbreitung von Hassrede und Verleumdungen beitragen? Kann ich diese als Privatperson auch juristisch belangen, wenn sich zum Beispiel der Urheber von Hassposts nicht ermitteln lässt?

Niemand muss dulden, dass im Internet Beleidigungen oder persönlichkeitsrechtsverletzende Äußerungen über ihn stehen bleiben. Das gilt auch dann, wenn sich die Urheber ausnahmsweise nicht ermitteln lassen. Wir gehen dann auch ganz konsequent gegen die Betreiber der sozialen Netzwerke vor. Diese sind mittlerweile dazu verpflichtet, nach einem Hinweis die Rechtsverletzung zu prüfen und gegebenenfalls zu entfernen.

Wie verhalten sich Rechtsschutz-Versicherer, wenn man sich juristisch gegen Hate Speech wehren will? Haben Sie Erfahrungen, ob die Übernahme der Kosten problemlos gewährt wird?

Das ist immer von der jeweiligen Rechtsschutzversicherung abhängig. Gerade bei eklatanten Verstößen machen wir aber gute Erfahrungen.

Raten Sie grundsätzlich zum Abschluss einer Rechtsschutzversicherung mit Blick auf Netzdebatten – vielleicht auch, um sich gegen ungerechtfertigte Abmahnungen und Klagen zu wehren? Welche Kosten drohen hier?

In jedem Fall. Die Kosten können schnell in den vierstelligen Bereich gehen, eine Rechtsschutzversicherung dürfte sich in den meisten Fällen also lohnen. Wichtig ist dabei, dass die Versicherungsverträge Unterlassungsansprüche auf der Aktivseite nicht ausschließen.

Nun werden Debatten im Netz sehr emotional geführt, mitunter rutschen einem unüberlegte Äußerungen raus, die man im Nachhinein bedauert. Hat es aus juristischer Perspektive mildernde Wirkung, wenn man einen Beitrag oder einen Kommentar löscht und sich dafür entschuldigt? Oder spielt das keine Rolle?

Gerade das Nachtatverhalten kann manchmal kriegsentscheidend sein. Gerichte schauen sich ganz genau an, wie sich jemand im Internet verhält. Es macht einen Unterschied, ob wir über eine Person sprechen, der einmal eine üble Äußerung herausgerutscht ist, die später wieder gelöscht wird. Da sind auch die Gerichte milde. Anders sieht es bei Personen aus, die teilweise mit mehreren Accounts regelmäßig Hass und Hetze verbreiten und andere beleidigen. In diesen Fällen müssen die Verursacher auch mit empfindlichen Geldentschädigungszahlungen rechnen.

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Die Fragen stellte Mirko Wenig

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