In der Lebensversicherung platzte vor Jahren eine Bombe: Der Bundesgerichtshof hatte in zwei Urteilen 2014 und 2015 festgestellt, dass Verträge nach dem sogenannten Policenmodell rückabgewickelt werden können, wenn die Widerrufsbelehrung fehlerhaft war. Die Versicherer mussten dann nicht nur den Rückkaufswert der Verträge erstatten, sondern auch Vertriebskosten und Zinsen. Die Kundinnen und Kunden mussten so gestellt werden, als wäre der Vertrag nie abgeschlossen worden. Die Folge waren zahlreiche Gerichtsverfahren gegen Versicherer und Abmahnungen von Verbraucherschützern, weil sich die Anbieter angeblich querstellten. Damit einher ging ein massiver Imageschaden.

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"Ewiges Widerrufsrecht" nun auch bei Basisrente?

Ein solcher Widerrufsjoker könnte der Branche nach Ansicht von Branchenbeobachtern nun auch bei der Rürup-Rente drohen, folglich bei staatlich geförderten Altersvorsorge-Produkten für Selbstständige. In zwei Urteilen hat der Bundesgerichtshof festgestellt, dass die Allianz (Az. IV ZR 40/22) und die Generali (Az. IV ZR 306/22) fehlerhafte Widerrufsbelehrungen verwendet hat. Konkret geht es um Vertragsklauseln, die zwischen 2008 und Mitte 2010 verwendet wurden. Nach Ansicht von Fachanwälten könnte dies aber auch Widerrufe aus anderen Zeiträumen betreffen.

Die fehlerhaften Belehrungen führen dazu, dass die Verträge auch heute noch, Jahre nach dem Vertragsabschluss, widerrufen werden können, denn aufgrund der Fehler wurde die Belehrung -und somit der Vertrag- nicht wirksam. Auf die beiden Rechtsstreite macht das „Handelsblatt“ am Freitag aufmerksam.

Konkret wurde in den Urteilen festgestellt, dass ein Widerruf nur wirksam wird, wenn der Versicherer auch über die Rechtsfolgen eines Widerrufs umfassend aufklärt. Dazu gehöre auch, dass der Versicherer im Falle eines erfolgreichen Widerrufs nicht nur die gezahlten Prämien zurückerstatten, sondern auch die gezogenen Nutzungen herausgeben muss. Stark vereinfacht handelt es sich dabei unter anderem um die Zinserträge, die der Versicherer auf die eingezahlten Beiträge erwirtschaftet hat.

Der BGH stellte klar, dass es sich keineswegs nur um einen geringfügigen Belehrungsfehler handelt, wenn nicht über den Nutzungsherausgabeanspruch aufgeklärt wurde. „Die fehlende Belehrung über den möglichen Nutzungsherausgabeanspruch ist nicht belanglos, sondern betrifft mit den finanziellen Folgen eines Widerrufs einen für die Ausübung des Widerrufsrechts wesentlichen Punkt“, heißt es in einem Urteilstext. Und weiter: „Es stellt ein Hemmnis für die Ausübung des Widerrufsrechts dar, wenn der Versicherungsnehmer über seine damit verbundenen Ansprüche gegen den Versicherer im Unklaren ist. Die Kenntnis davon ist unerlässlich, um zu beurteilen, ob ein Widerruf im Ergebnis seinen Interessen entspricht“.

Steuervorteile teilweise futsch

Ob mit diesen Urteilen den Versicherern eine Klagewelle droht, bleibt aber abzuwarten. Aktuell bestehen rund 2,6 Millionen Basisrente-Verträge, doch anders als bei Riester-Verträgen zahlt der Staat keinen Zuschuss, sondern gewährt lediglich Steuervorteile. Im Jahr 2024 können insgesamt 27.565 Euro als Vorsorgeaufwendungen in der Steuererklärung geltend gemacht werden.

Hier liegt ein Problem, das insbesondere Selbständige ohne finanzielles Polster hart treffen kann. Denn ein Widerruf hat zur Folge, dass die Steuervorteile zumindest für einen bestimmten Zeitraum zurückgezahlt werden müssen. Laut einem Urteil des Finanzgerichts Düsseldorfs betrifft dies zumindest die Steuervorteile für die letzten vier Jahre - ein höchstrichterliches Urteil fehlt (Az. 1 K 292/19). Hier drohen Steuernachzahlungen in fünfstelliger Höhe.

Zudem muss jeder Streitfall einzeln vor Gericht ausgefochten werden: und hier drohen komplexe Rechtsstreite über einen langen Zeitraum, in denen bittere Niederlagen drohen. So mussten Verbraucherinnen und Verbraucher in Streitfällen um das Policenmodell bereits Niederlagen einstecken, weil das Gericht einen Rechtsmissbrauch feststellte.

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Ähnliche Urteile könnten nun wieder für lange Gesichter bei den Sparerinnen und Sparern sorgen. Ein Beispiel: „Wer seinen Basisrentenvertrag vor Jahren unbefristet beitragsfrei gestellt hat und ihn dann wieder aufgenommen hat, hat nach einer Rechtsansicht schlechte Chancen, seinen Vertrag erfolgreich zu widerrufen“, sagt Malgorzata Roszak, Fachanwältin für Versicherungsrecht bei der Kanzlei Decker & Böse, dem „Handelsblatt“. Im Zweifel drohen sogar aufreibende Rechtsstreite an mehreren Fronten: gegenüber dem Versicherer und dem Finanzamt.

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