2023 - was für ein Jahr für die Technologie! Die für die Meisten überraschende Veröffentlichung eines neuen Sprachmodells (ChatGPT3), und deren ständig wachsende Fähigkeiten sorgten dafür, dass der nächste „Winter der Künstlichen Intelligenz“ wohl noch ein paar Jahre auf sich warten lässt (und Microsoft endlich einen kompetenten Nachfolger von Karl Klammer gefunden hat). Die virtuellen Metawelten wurden größer (Meta Quest 3, Ray-ban) und in Deutschland können wir nun auch papierlos in zwei Minuten ein Konto eröffnen. Hat uns nach dem Internet, der Cloud, dem Smartphone die nächste Technologierevolution erreicht? Und falls ja, was fangen wir mit ihr an?

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Jetzt erwarten Sie, liebe Leserinnen und Leser, vermutlich beruhigende Managementsätze, dass das alles ja noch unsicher ist, wir generell abwarten müssen (auf die Regulierung und andere Themen) und es im Allgemeinen sowie so nicht weitergehen kann, wie man ja in den USA sieht (Skandale um Ex-Twitter, OpenAI und andere). Kurz, dass die Entwicklung zwar im wahrsten Sinne aufregend, aber nicht handlungsleitend sei. Eine Haltung, die wir in unserer Branche vor einigen Jahren schon einmal so gesehen haben, und die schon einmal zu lange zögern ließ.

Damals ging es um den Einsatz von Cloudtechnologien. Vor lauter Diskussionen, ob das nun billiger oder sicherer wäre, wurde verpasst, was wirklich passiert ist: Es wurde möglich, komplett andere Systeme zu bauen, beliebig zu skalieren, Funktionen binnen Sekunden zur Verfügung zu stellen. Und das unterbrechungsfrei, rund um die Uhr. Wir hatten die technologische Basis, um uns effektiver, und vor allem kundenzentrierter zu organisieren. Spätestens seitdem die BaFin im November 2018 ihr Merkblatt zur Cloudnutzung veröffentlichte, hatten wir auch regulatorisch Klarheit, wie die bestehenden Vorgaben auf diese Technologie anzuwenden sind. Und nun, fünf Jahre später, liegt der Cloudanteil an den IT-Kosten der Branche noch immer unter 10% (GDV IT-Benchmark 2022). Nach wie vor warten die meisten Kundinnen und Kunden, Fachbereiche sowie Entwicklungsabteilungen gleichermaßen darauf, dass sie dies einmal ausprobieren und damit arbeiten können.

Eine Revolution ist ein grundlegender und nachhaltiger struktureller Wandel, der meist abrupt oder in relativ kurzer Zeit erfolgt. Er kann friedlich oder gewaltsam vor sich gehen. In diesem Sinne erleben wir, wenn wir uns auch in einem rasanten Wandel befinden, derzeit sicher keine Technologierevolution. Das meiste wird nicht abrupt passieren, und glücklicherweise auch nicht gewaltsam. Es wird daher aber auch keine Demonstrationen geben, die das Management drängen und darauf hinweisen, dass mehr Konsequenz von Nöten ist. Stattdessen wird Kundschaft ebenso wie Mitarbeitende still, leise und langsam gehen, wenn wir nicht mit Vehemenz und Kraft die Möglichkeiten nutzen und unsere Unternehmen vorbereiten. Vorbereiten auf eine Zeit, in der technologische Möglichkeiten definieren, wie uns die Kunden wahrnehmen und wo sie kaufen. Dass es dabei gilt, den Datenschutz genauso zu beachten, wie das Risikomanagement und andere regulatorische Anforderungen, ist selbstredend – ohne dabei jedoch in Starre zu verfallen über einen (nutzlosen) Disput der Extreme.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Aufsichtsgremien, Entscheidende, die Kluft wird größer. Andere Branchen zeigen mittlerweile seit Jahrzehnten, was möglich ist, und nur wer mit maximaler Geschwindigkeit die Organisation auf Wandel und Nutzung der genannten neuen Technologien einschwört, hat eine Chance, im Rennen zu bleiben. Und dafür braucht es vor allem eines, eine Unternehmenskultur die dies ermöglicht. Doch dazu mehr beim nächsten Mal.

Über den Autor:

Ralf Oestereich ist Mitglied der Vorstände der Süddeutschen Versicherungsgruppe (SDK-Gruppe), zuständig für die IT und Betriebsorganisation. Seit über 25 Jahren begleitet der studierte Wirtschaftsinformatiker komplexe Transformationen und die damit verbundenen technologischen und organisatorischen Herausforderungen in Unternehmen – mit und für Menschen.

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