Im verhandelten Rechtsstreit, auf den aktuell die Kanzlei Jöhnke & Reichow aufmerksam macht, hatte der Inhaber einer Kfz-Werkstatt 2003 eine Berufsunfähigkeitsversicherung abgeschlossen. Sie sah zunächst eine monatliche Rente von 2.250 Euro und eine Dynamik vor. Auch eine Beitragsbefreiung war mitversichert. Im Juni 2016 musste sich der Unternehmer aufgrund einer schweren psychischen Erkrankung in Behandlung begeben. Zu diesem Zeitpunkt betrug die monatliche Berufsunfähigkeitsrente 3.823,12 Euro und der zu zahlende Beitrag 301,46 Euro.

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BU-Versicherer will trotz dreier psychiatrischer Gutachten nicht zahlen

Seine psychische Erkrankung konnte der Mann zunächst mit einem psychiatrisch/psychotherapeutischen Gutachten von Dezember 2016 nachweisen. Im Auftrag der DKV als Krankentagegeldversicherer des Klagenden kam das Gutachten zu dem Ergebnis, dass der Kläger wegen „völliger Erschöpfung“ „- auch teilzeitig – nicht arbeitsfähig“ sei. Eine „Langzeitpsychotherapie“ sei „in diesem Fall medizinisch notwendig“. Im Februar 2017 machte der Mann schließlich Leistungen bei seinem BU-Versicherer geltend. Dabei konnte er sich auf ein weiteres Gutachten stützen, in dem es hieß: „… Die psychische Erkrankung ist in ihrem Verlauf inzwischen chronifiziert, die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit ist gegenwärtig nicht absehbar. Der Versicherte ist - auch teilzeitig – nicht arbeitsfähig“. Darüber hinaus sei der Versicherte im bisher ausgeübten Beruf auf nicht absehbare Zeit zu mehr als 50 Prozent erwerbsunfähig.

Zwischen Mai und Juni 2017 musste sich der Versicherte schließlich in eine psychiatrische Klinik begeben. Hierbei erhielt er einen weiteren Behandlungs- und Befundbericht einer Psychiaterin, die unter anderem eine mittlere depressive Episode mit somatischen Syndrom und Panikstörungen feststellen konnte. All diese Gutachten, teilweise auch von einem privaten Krankenversicherer erstellt, waren für den Berufsunfähigkeitsversicherer aber kein Anlass, die Leistungen auf Berufsunfähigkeitsrente zu bewilligen. Stattdessen forderte der Versicherer mehrfach weitere Unterlagen ein. Nachdem der Kläger die Versicherung aufgefordert hatte, bis zum 23.04.2018 eine Leistungsentscheidung zu fällen, lieferte der Versicherer nicht. Stattdessen schickte er an den Erkrankten ein Schreiben, in dem es hieß:

vielen Dank für (…) die übersandten Unterlagen. Wir haben diese inzwischen eingehend geprüft und auch Rücksprache mit unserem hausinternen ärztlichen Dienst gehalten. Dennoch können wir nicht beurteilen, ob eine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit vorliegt. Das liegt in erster Linie daran, dass wir keine Informationen zum aktuellen Befinden von Herrn…haben“. Der Versicherer zweifelte die Berufsunfähigkeit aus zwei Gründen an: Seitdem der frühere Werkstattinhaber die Klinik verlassen habe, seien weitere neun Monate vergangen, ohne dass weitere Behandlungen der Erkrankung ersichtlich seien. Zudem würden die internistischen Befunde mit dem somatischen Syndrom nicht darauf schließen lassen, dass der Mann wirklich berufsunfähig sei. „Zusammenfassend sind der medizinische und der außermedizinische Sachverhalt für uns noch nicht ausreichend deutlich, um über das weitere Vorgehen entscheiden zu können.“, schrieb der Versicherer.

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Als Folge forderte der BU-Versicherer den Unternehmer auf, bei der Prüfung des Leistungsfalls weiter mitzuwirken. Er verlangte die Abgabe einer „pauschalen Schweigepflichtentbindungserklärung“, um weitere ärztliche Unterlagen einzuholen. Dem entgegen forderte der Erkrankte die Zahlung der BU-Renten rückwirkend für die Zeit von September 2016 bis Juni 2018 einschließlich Zinsen - also für den Zeitraum, in dem er sich in Behandlung befand und die Gutachten eine Berufsunfähigkeit feststellten.

“Pauschale Schweigepflichtentbindungserklärung“ unwirksam

Mit seiner Klage hatte der frühere Unternehmer überwiegend Erfolg. Nach einem weiteren Gutachten im Jahr 2020 hatte auch der Versicherer seine Leistungspflicht bereits anerkannt und die BU-Rente rückwirkend gezahlt, sodass nun nur noch über die Zinsen und die Beitragsrückzahlung zu entscheiden war: In der veranschlagten Zeit hatte der Versicherer auch weiterhin Beiträge für seine BU-Rente zahlen müssen. Dem wurde zum Großteil stattgegeben, sodass der Versicherer den Mann entsprechend auszahlen muss.

Die Richter des Landgerichtes hoben hervor, dass der klagende Unternehmer bereits zu dem früheren Zeitpunkt -also ab Einreichen des Antrages und der ersten Gutachten- Anspruch auf Leistungen gehabt hätte, „da ein sachgerecht prüfender Versicherer nach Maßgabe von § 14 Abs. 1 VVG seine notwendigen Erhebungen bereits vorprozessual abgeschlossen hätte“. Notwendige Erhebungen seien alle Maßnahmen, „die ein durchschnittlich sorgfältiger Versicherer des entsprechenden Versicherungszweiges anstellen muss, um das Bestehen und den Umfang seiner Leistungspflicht abschließend zu ermitteln. Maßgeblich ist allerdings weder, ob der Versicherer subjektiv weiteren Aufklärungsbedarf sah noch, ob er objektiv tatsächlich vorlag“, heißt es. Vielmehr komme es darauf an, ob eine solche Notwendigkeit bei einer ex-ante-Betrachtung aus der Sicht verständiger Vertragsparteien vertretbar erscheinen durfte. Hierbei stehe dem Versicherer im Anschluss an seine Recherchen eine kurze, regelmäßig auf zwei bis maximal drei Wochen zu bemessende Überlegungs- und Entscheidungsfrist zu, um über den Leistungsantrag zu entscheiden.

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Mit anderen Worten: Der klagende Unternehmer hatte bereits seine Mitwirkungspflichten erfüllt, als er die Leistungen beantragte und die entsprechenden Gutachten eingereicht hatte: Damit hätte der Versicherer den Leistungsfall prüfen können. Dass der Versicherer aber pauschal verlangt hat, dass der Versicherte seine Ärzte von der Schweigepflicht entbindet, sei rechtswidrig, zumal der Versicherer auch nicht begründen konnte, weshalb das notwendig ist. An einer wirksamen Einwilligung des Versicherungsnehmers habe es gefehlt.

“Nicht jede vom Betroffenen gegebene Einwilligung berechtigt den Versicherer, Gesundheitsdaten zu erheben; dies kann nur eine freiwillig gegebene Einwilligung. Freiwilligkeit bedeutet in diesem Zusammenhang nicht nur die Abwesenheit von Zwang, sondern setzt voraus, dass dem Betroffenen vom Versicherer die Möglichkeit gegeben wird, zu erkennen, wie und in welchem Umfang er bei der Datenerhebung mitwirken muss. Nur wer um seine Rechte und Pflichten weiß (bzw. wissen kann), kann sich dieser freiwillig – sehenden Auges – begeben“, heißt es hierzu. Laut einem Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) muss ein Versicherer demnach darauf hinweisen, dass er ein Recht auf Selbstbeschaffung der erforderlichen Daten habe und dem Versicherer die Erhebung von Daten bei Dritten verweigern kann - selbst dann, wenn diese Daten für die Leistungsprüfung erforderlich seien.

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Hierzu führen Jöhnke & Reichow aus: „Das Bundesverfassungsgericht hat in einem Fall ausgeführt, dass das Recht auf informationelle Selbstbestimmung es gebiete dafür Sorge zu tragen, dass ein informationeller Selbstschutz für Einzelne tatsächlich möglich ist. Das Gericht regte in dem Verfahren Pflichten an, die sicherstellen, dass Versicherte und Versicherungen im Dialog entwickeln, welche Daten zur Leistungsprüfung erforderlich sind“. Hingegen würde eine vorformulierte Schweigepflichtentbindung es der Versicherung ermöglichen, auch über das für die Abwicklung des Versicherungsfalls erforderliche Maß hinaus in weitem Umfang sensible Informationen über seine Versicherungsnehmer einzuholen, was mit dem Datenschutz und dem Recht auf informelle Selbstbestimmung in Konflikt steht (BVerfG, Beschluss v. 17.07.2013 – 1 BvR 3167/08).

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