Wie hoch ist die Durchschnittsrente? Ricarda Lang, Co-Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, blamierte sich vor vierzehn Tagen in der Talkshow von Markus Lanz, weil sie den Betrag viel zu hoch schätzte. „Ich würde davon ausgehen, dass wir bei ungefähr 2.000 Euro liegen“, antwortete sie nach mehrmaligem Nachfragen des Moderators. Die Durchschnittsrente liegt derzeit aber bei 1.543 Euro brutto. Doch schon diese statistische Größe könnte ein Zerrbild zeigen, denn sie gibt wieder, was besonders langjährig Versicherte, die mindestens 45 Jahre rentenversichert waren, im Durchschnitt erhalten. Diese Voraussetzung erfüllt aber nicht einmal jeder dritte Ruheständler. Eine andere Zahl: Rund 3,4 Millionen Rentnerinnen und Rentner erhalten derzeit weniger als 500 Euro Nettorente im Monat.

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Mit ihrer Fehleinschätzung handelte sich Lang einen veritablen Shitstorm ein, zumal sie den Eindruck erweckte, die politischen Entscheidungsträger wüssten nicht um die Sorgen und Nöte der Bevölkerung. Laut einer repräsentativen Sirius-Campus-Umfrage fürchten sechs von zehn Bürgerinnen und Bürgern, dass sie einmal in Altersarmut leben müssen. Nun hat sich Ricarda Lang in einem Interview mit der Berliner Morgenpost zum Thema Rente und ihrem Fauxpas geäußert. Und kann ihrer Fehleinschätzung sogar etwas Positives abgewinnen: nämlich, dass es das Thema Altersarmut damit wieder in die Schlagzeilen schaffte.

“Viele Menschen kommen im Alter kaum über die Runden“

Im Interview wird Lang gefragt, wie nah sie an der Lebenswirklichkeit der Menschen dran sei, wenn sie nicht einmal einschätzen könne, was Rentner in Deutschland bekommen. „Ich hatte die Zahl nicht parat, und natürlich ist das ärgerlich. Aber daraus ist eine Debatte über die Situation der Rentnerinnen und Rentner entstanden. Als Politikerin schaue ich selbstverständlich, was wir daraus machen können“, antwortet Lang.

Sie gibt zu, dass viele Menschen mit ihrer Rente kaum über die Runden kommen - „auch solche, die gar nicht schlecht verdient haben“, räumt sie ein. Als einen wichtigen Grund macht sie die Pflegekosten aus, „die teils so in die Höhe schießen, dass in vielen Fällen kaum etwas übrig bleibt von der Rente“. Hier würden gute Pflegekonzepte Entlastung bringen - ohne dass sie dies konkret ausführt.

Tatsächlich hat die Pflegereform, die bereits vom früheren Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) angestoßen und unter Karl Lauterbach (SPD) nachgebessert wurde, bisher kaum finanzielle Entlastung gebracht. Das gilt vor allem für Menschen, die in einem Pflegeheim betreut werden. Zwar gibt es, abhängig von der Aufenthaltsdauer, Zuschüsse zu den „reinen“ Pflegeleistungen im Heim. Aber der monatlich zu zahlende Eigenanteil liegt zum 1. Januar 2024 im Bundesschnitt zwischen 2.576 Euro im ersten Pflegeheim-Jahr und 1.750 Euro ab einer Aufenthaltsdauer von 36 Monaten, wie Zahlen der Ersatzkassen zeigen. Welche weiteren Reformen hier geplant sind und ob überhaupt, geht aus Langs Antworten nicht hervor.

"Rentenpaket II" soll in diesem Jahr kommen

Mit Blick auf die Rente verweist die Grünen-Politikerin auf das „Rentenpaket II“, ein Reformpaket, das soeben auf den Weg gebracht werde. „Wir wollen ein Rentenniveau von mindestens 48 Prozent des Durchschnittseinkommens gesetzlich verankern - und mit einem Generationenkapital eine neue Säule der Finanzierung einfügen“, sagt sie. Das Reformpaket soll noch in diesem Jahr kommen, wie sie auf Nachfrage bestätigt.

Zum Hintergrund: Mit dem Generationenkapital soll ein zusätzlicher Kapitalstock für die gesetzliche Rente aufgebaut werden, um das Umlageverfahren zu entlasten. Im Bundeshaushalt 2024 sind dafür 12 Milliarden Euro vorgesehen. Ein staatlicher Fonds soll dafür Geld, das ihm der Bund leiht, gewinnbringend am Aktienmarkt anlegen: Ab Mitte der 2030er Jahre sollen die Renditen dann genutzt werden, um einen Anstieg des Rentenbeitrags zu verhindern. Allerdings kritisieren die Wirtschaftsweisen in ihrem aktuellen Jahresgutachten, dass die geplante Anlagesumme kaum ausreichen wird, um das Rentensystem zu entlasten. Zudem lasse die Finanzierung auf Pump fragwürdig erscheinen, ob die erwünschten Renditen tatsächlich erwirtschaftet werden können: schließlich muss auch der Schuldendienst bedient werden.

Von anderen empfohlenen Reformschritten will Ricarda Lang aber Abstand nehmen. So positioniert sie sich, dass das reguläre Renteneintrittsalter nach 2031 nicht weiter angehoben werden soll: Bis dahin steigt es ohnehin auf 67 Jahre. „Eine Erhöhung über 67 hinaus würde zu einer Rentenkürzung für Berufsgruppen wie beispielsweise Bauarbeiter führen, die körperlich hart arbeiten und deswegen häufiger in Frührente gehen. Deshalb haben wir im Koalitionsvertrag weitere Erhöhungen des Renteneintrittsalters ausgeschlossen“, sagt Lang.

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Auch an der sogenannten Rente mit 63 will Lang festhalten. Ökonomen hatten kritisiert, dass diese vor allem von gut verdienenden Fachkräften genutzt werde, um sich vorzeitig in den Ruhestand zu verabschieden. Das kostet nicht nur rund 63 Milliarden Euro pro Jahr, sondern verschärfe auch den Fachkräftemangel. „Dabei bleibt es, denn sie ist Ausdruck von Respekt für die Lebensleistung", verteidigt nun Lang den Status Quo. Und sieht doch die Notwendigkeit für weitere Reformen: „Gleichzeitig halte ich es für sinnvoll, Anreize für die zu schaffen, die länger arbeiten können und wollen. Zum Beispiel hat die Ampel ja schon Hinzuverdienstgrenzen aufgehoben. Es braucht flexible Modelle, die zur neuen Lebenssituation passen“, so die 30jährige.

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