Deutschland macht pleite? Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) am Mittwoch mitteilte, waren hierzulande 2023 bisher deutlich mehr Unternehmensinsolvenzen zu beklagen als im Vorjahreszeitraum. Im ersten Halbjahr stieg die Zahl der Insolvenzen um 20,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr, auch im August 2023 mussten 13,8 Prozent mehr Unternehmen Insolvenz beantragen als noch im August 2022. Im Juli 2023 hatte sie bereits um 23,8 Prozent gegenüber Juli 2022 zugenommen. Bei den Ergebnissen ist zu berücksichtigen, dass die Verfahren erst nach der ersten Entscheidung des Insolvenzgerichts in die Statistik einfließen. Der tatsächliche Zeitpunkt des Insolvenzantrags liegt in vielen Fällen annähernd drei Monate davor.

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Wie die Statistikbehörde weiter berichtet, haben die deutschen Amtsgerichte nach endgültigen Ergebnissen 8.571 beantragte Unternehmensinsolvenzen im ersten Halbjahr 2023 gemeldet. Die ausstehenden Forderungen der Gläubiger beziffert Destatis auf 13,9 Milliarden Euro, während sie im ersten Halbjahr 2022 noch bei rund 8,2 Milliarden Euro gelegen hatten (siehe Grafik).

Statistisches Bundesamt Wiesbaden 2023

Von staatlichen Hilfsmaßnahmen profitierten auch nicht wettbewerbsfähige Unternehmen

Bei den aktuellen Daten ist aber zu berücksichtigen, dass die Zahl der Unternehmens-Insolvenzen immer noch teils unter den Werten von vor 2016 liegen. Entsprechend sehen Marktbeobachter auch eine gewisse Normalisierung der Insolvenzzahlen. In Zeiten der Corona-Pandemie und der Rekordinflation hatte die Bundesregierung teilweise mit Sonderregeln und Staatshilfen der Wirtschaft unter die Arme gegriffen, um eine Pleitewelle abzuwenden. Viele Unternehmen haben diese genutzt - und sind nun mit Verzögerung in Schieflage geraten.

"Die Insolvenzzahlen waren im Zuge der Corona-Krise deutlich gesunken. Das hatte viel mit staatlichen Unterstützungsmaßnahmen zu tun, wie etwa Kurzarbeitergeld oder kurzfristige Kreditlinien für die Unternehmen", sagt Steffen Müller, Insolvenzexperte am am Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH), dem Mitteldeutschen Rundfunk (MDR). "Es sind damals eben auch viele schwache Unternehmen durch staatliche Hilfen am Leben erhalten worden. Und der derzeitige Anstieg der Insolvenzen hat dann auch damit zu tun, dass manche Insolvenzen von schwachen Unternehmen eben nachgeholt werden“, so der Experte.

Dennoch sehen Ökonomen die Entwicklung mit Sorge. Denn die wirtschaftliche Lage bleibt schwierig. „Für den Fall, dass die Insolvenzfrühindikatoren im September abermals stark erhöht ausfallen, rechnen wir mit spürbar steigenden Insolvenzzahlen im vierten Quartal des Jahres“, sagt Experte Müller vom Leibniz-Institut. Der IWH-Insolvenztrend gilt als verlässlicher Indikator zum bundesweiten Insolvenzgeschehen für Personen- und Kapitalgesellschaften, der in der Regel nur geringfügige Abweichungen zu den amtlichen Zahlen aufweist. Und es gibt einen weiteren besorgniserregenden Trend: Immer mehr große Unternehmen gehen pleite. Nach Schätzungen von Kreditreform waren im ersten Halbjahr 2023 rund 125.000 Beschäftigte von Firmenpleiten betroffen, während es im Jahr zuvor „nur“ 68.000 gewesen sind.

Auch wichtige Unternehmen geraten in Schieflage

Zudem geraten auch Unternehmen in Not, obwohl sie für ihre Branche wichtige Funktionen erfüllen. So verweist das ZDF auf die Schieflage der Project Immobilien GmbH: ein Projektentwickler der Baubranche, der in fast allen größeren deutschen Städten Baustellen unterhält. Und es ist nicht der einzige Projektentwickler auf dem Immobilienmarkt mit Problemen. Auch Centrum, Development Partners oder die Gerchgroup mussten zuvor schon in die Insolvenz. Infolge von steigenden Bauzinsen, Handwerkermangel und der Rekordinflation spürt die Baubranche derzeit die Zurückhaltung bei Immobilienprojekten: Die Aufträge brechen ein, geplante Vorhaben werden teilweise nicht mehr umgesetzt. Und dies trotz fehlendem Wohnraum speziell in einigen Großstädten.

Darüber hinaus gibt es Firmenpleiten, die vom Statistischen Bundesamt gar nicht erfasst werden: und dennoch spürbare Folgen haben. Beispiel Einzelhandel: "Hier muss man berücksichtigen, dass gerade im Handel viele Geschäfte einfach geschlossen werden, ohne dass die Geschäftsaufgaben in irgendeiner Insolvenzstatistik auftauchen", sagt René Glaser, Geschäftsführer des Handelsverbandes Sachsen, im Mitteldeutschen Rundfunk. Der Handel sterbe weitgehend still: Zwischen 2019 und 2022 seien in Deutschland 40.000 Einzelhandelsstandorte zugemacht worden. Ein Grund dafür ist neben steigenden Kosten durch Innenstadtmieten und Mindestlohn, der Konsumzurückhaltung durch Inflation sowie dem Fachkräftemangel auch die wachsende Konkurrenz durch den Onlinehandel.

Die Gründe für den Anstieg der Unternehmensinsolvenzen sind komplex - und werden vom Statistischen Bundesamt nicht ausgewiesen. Zuletzt hatten Ökonomen unter anderem die Konsumzurückhaltung infolge hoher Inflation und steigender Zinsen, steigende Kosten und die Verteuerung von Investitionen sowie den Fachkräftemangel als Ursachen ausgemacht. Hohe Energiepreise tragen dazu bei, dass exportorientierte Anbieter weniger wettbewerbsfähig gegenüber ausländischen Konkurrenten sind. Und auch die überbordende Bürokratie sei ein Grund, weshalb viele Unternehmen zusätzliche Kosten haben.

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