Die Zahl pflegebedürftiger Menschen wird nach der jüngsten Pflegevorausberechnung des Statistischen Bundesamtes (Destatis) in den kommenden Jahren stark ansteigen. Bereits für das Jahr 2035 rechnet die Statistikbehörde mit rund 5,6 Millionen Pflegebedürftigen (+14,0 Prozent), für das Jahr 2055 werden sogar rund 6,8 Millionen Pflegebedürftige (+38,0 Prozent) erwartet. Das teilten die Wiesbadener am Donnerstag mit.

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Ende 2021 zählte das Statistische Bundesamt bereits 5,0 Millionen Pflegebedürftige - und damit mehr, als frühere Vorausberechnungen erwartet hatten. Dies ist auch auf die Erweiterung des Pflegebegriffs zurückzuführen. Seit der Pflegereform 2017 haben erstmals auch Menschen Anspruch auf Pflegeleistungen, die zuvor durch das soziale Netz fielen - zum Beispiel mit einer geistigen Beeinträchtigung durch Demenz.

Besonders Hochbetagte betroffen

Mit einem weiteren Anstieg über den berechneten Zeitraum hinaus rechnen die Statistiker nicht. “Nach 2055 sind keine starken Veränderungen mehr zu erwarten, da die geburtenstarken Jahrgänge aus den 1950er und 1960er Jahren, die sogenannten Babyboomer, dann durch geburtenschwächere Jahrgänge im höheren Alter abgelöst werden", heißt es in der Mitteilung. So werde die Zahl der Pflegebedürftigen im Jahr 2070 voraussichtlich bei rund 6,9 Millionen liegen.

Die steigende Zahl der Pflegebedürftigen dürfte die Gesellschaft dennoch vor Probleme stellen. Denn es könnte noch schlimmer kommen. So hat das Statistische Bundesamt nicht nur die Pflegequote berechnet, also den Anteil der Pflegebedürftigen an der Bevölkerung nach Alter und Geschlecht. Darüber hinaus wurde in einem zweiten Modell auch geschaut, wie sich Pflegequoten geändert haben. Die Pflegequoten dürften demnach bis 2027 leicht steigen: auch das ist eine Folge der Pflegereformen, mit denen der Pflegebedürftigkeitsbegriff erweitert wurde.

In diesem Modell der sich verändernden Pflegequoten ergibt sich eine noch höhere Zahl an Betroffenen im Vergleich zu den Status-Quo-Varianten. Die Zahl der Pflegebedürftigen liegt dann im Jahr 2035 bereits bei 6,3 Millionen Pflegebedürftigen (+27 Prozent gegenüber 2021) und 2055 bei 7,6 Millionen (+53 Prozent).

Zeitgleich werden immer mehr hochbetagte Menschen auf Pflege angewiesen sein. Die Alterung der Bevölkerung dürfte demnach auch zu einer deutlich höheren Zahl und einem deutlich höheren Anteil älterer Pflegebedürftiger führen. „Während Ende 2021 etwa 2,7 Millionen oder 55 Prozent der gesamten Pflegebedürftigen 80 Jahre und älter waren, können es bei konstanten Pflegequoten im Jahr 2055 rund 4,4 Millionen oder 65 Prozent sein. Dieser Anstieg wird sich vor allem zwischen 2035 (3,0 Millionen) und 2055 vollziehen“, heißt es hierzu im Pressetext.

Destatis 2023

Fehlende Pflegekräfte - und steigender Pflegebeitrag erwartet

Wie herausfordernd die steigende Zahl an Pflegebedürftigen ist, zeigt eine aktuelle Studie des Wissenschaftlichen Instituts der PKV (WIP). Demnach habe schon der bisherige Leistungsumfang der Pfle­geversicherung in dieser Wahlperiode bis 2025 ein Defizit von fast 7 Milliarden Euro verursacht. In der nächsten Wahlperiode von 2026 bis 2029 beträgt dieses Defizit gemäß der Studie bereits mehr als 46 Milliarden Euro. Um das aktuelle Leistungsniveau der sozialen Pflegeversicherung zu halten, müsste sich der zu zahlende Pflegebeitrag in den kommenden Jahren verdoppeln. Selbst wenn die Ausgaben nur um zwei Prozentpunkte stärker als die Einnahmen wachsen würden, wäre im Jahr 2030 bereits ein Beitragssatz von 4,6 Prozent und im Jahr 2040 von 6,3 Prozent notwendig, warnen die Experten.

Ein weiteres Problem: Deutschland mangelt es an qualifiziertem Pflegepersonal. Mindestens 35.000 Fachkräfte fehlen bundesweit bereits in der Pflege, wie das Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung (KOFA) am Institut der Deutschen Wirtschaft Köln im Jahr 2021 berechnet hat. Und laut dem Pflegereport der BARMER aus demselben Jahr werden bis zum Jahr 2030 in der Langzeitpflege bis zu 182.000 Pflege- und Assistenzkräfte fehlen. Es müssten folglich mehr Fachkräfte für diesen Beruf gewonnen und diese auch ansprechend bezahlt werden - was das Ausgabeproblem auf Seiten der Pflegeversicherung weiter verschärft.

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Methodische Hinweise: In der Pflegevorausberechnung 2023 des Statistischen Bundesamtes werden Annahmen über die zukünftige Bevölkerungsentwicklung und Annahmen zur Pflegequote der nächsten Jahrzehnte kombiniert. Dazu werden Ergebnisse der 15. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung mit Daten der Pflegestatistik 2017-2021 zusammengespielt. Langfristige Bevölkerungsvorausberechnungen sind keine Prognosen. Sie liefern „Wenn-Dann-Aussagen“ und zeigen, wie sich die Bevölkerung und deren Struktur unter bestimmten Annahmen verändern würden.

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