Die Deutschen gehen zu zeitig in Rente, was sich negativ auf den Fachkräftebedarf auswirke: Diese Klage ist derzeit häufig zu hören, vorgetragen in Talkshows oder auch in Studien von Ökonomen. Eine aktuelle Statistik zeigt aber, dass dies nur einen Ausschnitt der Realität abbildet. Denn tatsächlich nimmt die Zahl der Menschen, die auch im Alter arbeiten, hierzulande stetig zu. Und Deutschland liegt bei der Erwerbsquote Älterer sogar deutlich über dem Durchschnitt aller EU-Staaten.

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Wie das Statistische Bundesamt aktuell berichtet, ist die Erwerbstätigenquote der 55- bis 64-Jährigen in Deutschland binnen zehn Jahren deutlich gestiegen. Waren im Jahr 2012 noch 62 Prozent in dieser Altersklasse erwerbstätig, so erhöhte sich ihre Zahl auf knapp 72 Prozent im Jahr 2021. Und nicht nur das: Mit Blick auf die Europäische Union zählt Deutschland damit zu den Spitzenreitern. Lediglich in Schweden (77 Prozent) und Dänemark (72 Prozent) ist die Erwerbsquote in dieser Altersgruppe noch höher.

Blickt man auf dem EU-Durchschnitt, so toppt Deutschland diesen Wert schon deutlich. Denn EU-weit stieg der Erwerbstätigenquote der 55- bis 64-Jährigen im selben Zeitraum von 47 Prozent auf lediglich 60 Prozent. „Eine höhere Erwerbsbeteiligung älterer Menschen wird jedoch künftig kaum kompensieren können, dass die jüngere Bevölkerung abnimmt und es dadurch deutlich weniger Erwerbspersonen in diesen Altersgruppen gibt“, erklärt Frank Schüller, Arbeitsmarkt-Experte im Statistischen Bundesamt, mit Blick auf die aktuelle Fachkräftedebatte. Mit anderen Worten: Eine längere Lebensarbeitszeit kann das Problem fehlender Fachkräfte allein nicht ausgleichen.

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Auch Erwerbstätigkeit jenseits 64 Jahren über EU-Durchschnitt

Doch auch mit Blick auf die Menschen im Alter von 65 bis 69 Jahren liegt Deutschland über dem EU-Durchschnitt: wenn auch das Niveau hier weit geringer ist. Etwa jeder sechste Senior bzw. Jede sechste Seniorin (17 Prozent) sind in dieser Altersgruppe noch erwerbstätig. Der Schnitt der EU-Staaten liegt hier lediglich bei 13 Prozent. Ein Grund für den Anstieg in Deutschland ist die stufenweise Anhebung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre: im Jahr 2012 hatten nur elf Prozent der 65- bis 69jährigen Deutschen einen Job.

Spitzenreiter bei der Erwerbstätigenquoten der 65- bis 69-Jährigen sind nordeuropäische Staaten, die Deutschland weit abhängen. In Estland hat fast jeder Dritte in dieser Altersgruppe noch eine Erwerbsarbeit (32 Prozent), in Lettland 29 Prozent und in Schweden 28 Prozent.

Auch das zunehmende Bildungsniveau in vielen EU-Staaten ist ein Grund für den Verbleib älterer Menschen im Arbeitsmarkt: Höhere Bildungsabschlüsse gehen oft mit einer längeren Erwerbstätigkeit einher. In der Generation 65plus waren unter den Hochqualifizierten hierzulande 2021 noch 13 Prozent erwerbstätig, unter den Geringqualifizierten waren es 4,5 Prozent. EU-weit fällt der Unterschied ähnlich deutlich aus: 12 Prozent der Hochqualifizierten in der Altersgruppe 65plus waren hier im Schnitt noch ins Erwerbsleben integriert, bei den Geringqualifizierten waren es lediglich drei Prozent.

Viele Ältere in gefragten Fachkräfte-Berufen: Mangel droht sich zu verschärfen

Ein Problem deutet sich in Deutschland mit Blick auf jene Branchen an, in denen ohnehin ein Mangel an Fachkräften herrscht. So war beispielsweise von den Erwerbstätigen in naturwissenschaftlich-technischen MINT-Berufen 2021 fast ein Viertel (24 Prozent) 55 Jahre und älter. 2012 waren es noch 17 Prozent.

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Ein ähnliches Bild zeigt sich in der Pflege: Hier stieg der Anteil der Pflegekräfte in der Altersgruppe 55plus binnen zehn Jahren von 15 Prozent auf 23 Prozent. Fast jede vierte Pflegekraft dürfte folglich in den kommenden zehn Jahren aus dem Beruf ausscheiden, zumal die körperliche Belastung sehr hoch ist. Bei den Mechatronik-, Energie- und Elektroberufen nahm der Anteil der älteren Beschäftigten von 17 Prozent auf 22 Prozent zu. "In diesen Berufsgruppen spiegelt sich die Alterung der gesamten Gesellschaft deutlich wider", erklärt Frank Schüller.

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