Letzte Woche konnte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) einen Gesetzesentwurf für die Grundrente auf den Weg bringen. Wer lange Beitragsjahre in der Rentenversicherung aufweisen kann, soll seine Rente über Grundsicherungs-Niveau gehebelt bekommen. Vorausgesetzt, er oder sie verdienten im Schnitt nicht unter 30 Prozent des jährlichen Durchschnittseinkommen aller Versicherten. Vollen Anspruch soll haben, wer mindestens 35 Jahre lang in die Rentenkasse einzahlte. Zwischen 33 und 35 Beitragsjahren ist eine Übergangsfrist geplant, die monatlich zu höheren Ansprüchen führt.

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Heil hat seinen Gesetzentwurf letzte Woche zur Abstimmung in die anderen Ressorts geschickt, Anfang 2021 sollten die ersten Altersrentnerinnen- und Rentner bereits profitieren. Nun aber kommt Widerstand aus ungewohnter Richtung. Ausgerechnet die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV) selbst lässt in einer Stellungnahme an den Plänen kaum ein gutes Haar. Und meldet sogar grundsätzliche Zweifel an der Grundrente an. Banal ist das nicht: Es ist genau jene Körperschaft, die Heils Pläne in die Praxis umsetzen soll. Über die Stellungnahme berichten aktuell mehrere Medien.

Rechtzeitiger Start: 1.000 zusätzliche Mitarbeiter benötigt

Ein Kritikpunkt der DRV bezieht sich darauf, dass die Rentenkassen schlicht nicht Personal und digitale Infrastruktur haben, um das Projekt umzusetzen: diese folglich noch zu etablieren sind. So ist laut Gesetzentwurf eine Einkommensprüfung geplant, für das die Rententräger sich mit den Finanzämtern austauschen sollen: und zwar vollautomatisch. Es ist klar, dass hierfür auch die notwendige IT vorhanden sein muss.

Ist sie aber nicht. Schon im Sommer 2020 müsse diese Infrastruktur funktionieren, berichtet die Rentenkasse, wenn die Grundrente wie geplant starten soll. Ein Problem ist hierbei bereits, dass die Daten gar nicht alle in elektronischer Form vorliegen, sondern händisch aus Aktenordnern herausgesucht werden müssen. Um einen rechtzeitigen Start zu gewährleisten, seien 1.000 zusätzliche Stellen notwendig. So müssten von 26 Millionen Rentnern all jene herausgesucht werden, die mindestens 33 Beitragsjahre vorweisen.

Doch damit nicht genug. Grundsätzlich werde die Rentenkasse durch die Grundrente „außerordentlich stark belastet“, heißt es weiter. Allein die Verwaltungskosten im ersten Jahr würden zusätzlich mehrere 100 Millionen Euro verschlingen, prognositiziert die DRV Bund: 25 Prozent der gesamten Leistungsausgaben.

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Entsprechend meldet die Rentenkasse auch Zweifel an, ob der geplante Steuerzuschuss die Kosten decken kann. Mit anderen Worten: Die Renten-Beitragszahler werden für Ausgaben belastet, die als gesamtgesellschaftliche Aufgabe definiert sind: eben die Bekämpfung von Altersarmut. Genau so sollte die Grundrente nicht gestaltet sein.

grundsätzliche Kritik: Sozialpolitische Begründung fragwürdig

Die Kritik der DRV an Heils Entwurf zielt bereits darauf, dass die Grundrente als Instrument ungeeignet sei, Altersarmut in Breite zu bekämpfen. Und das liegt am sich wandelnden Arbeitsmarkt. Viele Menschen wechseln nicht nur häufig ihren Job, müssen sich infolge des digitalen Wandels neu aus- und weiterbilden lassen, sogar nach Zeiten der Arbeitslosigkeit einen neuen Beruf erlernen. Sie wechseln auch zwischen abhängiger Beschäftigung und Selbstständigkeit hin und her.

Heißt es im Gesetzentwurf des Bundesarbeitsministeriums, die Grundrente sei Antwort auf einen „postindustriellen Arbeitsmarkt“ mit heterogenen Erwerbsbiographien, so stellt die DRV gerade das infrage. Weil sie lange Pflichtversicherungs-Zeiten vorsieht, können sie gerade jene Menschen nicht in Anspruch nehmen, die häufig zwischen freiem Unternehmertum und versicherungspflichtiger Beschäftigung wechseln.

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Sehr wahrscheinlich leer gehen auch viele Menschen aus, die mehr als fünf Jahre arbeitslos waren. Ausgerechnet jene sind es jedoch, die am stärksten von der Altersarmut bedroht sind. Die DRV schreibt: "Langjährige Beschäftigung als Geringverdiener, immer wieder unterbrochen durch Zeiten der Arbeitslosigkeit, ist eine durchaus typische Versicherungsbiografie, insbesondere in den 1990er Jahren in den neuen Bundesländern."

Vorschlag: Wochenarbeitszeit stärker berücksichtigen

“Es ist erkennbar, dass die sozialpolitische Begründung der vorgesehenen Regelungen zum Teil widersprüchlich und in der Zielstellung nicht eindeutig ist“, heißt es folglich in einer Einleitung zur Stellungnahme. Zudem solle beim Grundrentenanspruch stärker unterschieden werden, ob die geringe Rente auf Teilzeitarbeit oder auf niedrigen Lohn beruhe. Die Wochenarbeitszeit solle künftig mit erfasst werden, so ein Vorschlag: Soll heißen, wer länger Vollzeit arbeitet, soll eher einen Anspruch haben.

Verlierer des Rentenkasse-Vorschlages, Vollzeitarbeit eher zu belohnen, wären vermutlich viele Frauen. Zwar werden auch Zeiten der Kindererziehung und der Pflege bei der Grundrente berücksichtigt: pro Kind bis zu drei Jahre Kindererziehungszeit und bis zu sechs Jahre Kinderberücksichtigungszeiten. Aber gerade Frauen sind es, die am ehesten in Teilzeitarbeit arbeiten, um eben Kinder zu erziehen oder Angehörige zu pflegen: verbunden mit einem entsprechend niedrigen Lohn. Hier sei darauf hingewiesen, dass eine Person im Schnitt mindestens 30 Prozent des jährlichen Durchschnittseinkommens in seiner Erwerbsbiographie nachweisen muss, um das Rentenplus zu erhalten.

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Sogar verfassungsrechtliche Bedenken

Darüber hinaus äußert die DRV sogar verfassungsrechtliche Bedenken. So solle etwa bei der Einkommensprüfung geprüft werden, ob das Einkommen bei verheirateten Paaren und Lebenspartnern nicht höher als 1950 Euro ist: beide werden steuerlich gemeinsam belangt, bei Unverheirateten ist das nicht der Fall. Hierzu schreibt der Bund der Arbeitgeber (BDA): "Nach dem Referentenentwurf werden Verheiratete gegenüber Unverheirateten benachteiligt". Auch bei der Anrechnung von Auslandseinkommen gebe es Bedenken.

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