Abschaffung der Praxisgebühr - nur ein Wahlgeschenk?

Die Praxisgebühr hätte für niemanden einen effektiven Nutzen gehabt, ihre Abschaffung sei richtig und erzeuge Gerechtigkeit. Die positiven Stimmen zum Beschluss der Abschaffung der Gebühr überwiegen - nicht nur bei den Verbrauchern, sondern auch bei einzelnen Versicherern und Vereinigungen. Doch könnte man ihre Abschaffung auch als „Wahlgeschenk“ verstehen, so der IKK e.V.

In der Nacht von Sonntag zu Montag hatte der Koalitionsausschuss die Abschaffung der Gebühr beschlossen. Viele Versicherer, darunter TK, KKH-Allianz oder HEK, hatten vielfach die Abschaffung der Praxisgebühr gefordert und die Gebühr zum Teil an Versicherungsnehmer zurückgezahlt. Dennoch war die Praxisgebühr als sinnvoll verteidigt worden, weil sie die hohe Anzahl der Arztbesuche regulieren sollte. Doch „als Steuerungsinstrument war die Praxisgebühr nie geeignet, die Zahl der Arztbesuche in Deutschland sind dadurch nicht weniger geworden“, erläutert der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Versicherte und Patienten (DGVP) e.V., Wolfram-Arnim Candidus. Außerdem stellte die „Zwangsabgabe“ stets einen hohen Verwaltungs- sowie Zeitaufwand in den Arztpraxen und eine finanzielle Belastung der Patienten dar, meint der DGVP. Gerade im zahnärztlichen Bereich sei die Annahme einer Steuerung der Arztbesuche durch die Gebühr völlig fehl am Platz, bekräftigt Dr. Jürgen Fedderwitz, Vorsitzender des Vorstandes der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV). Er wertet die Abschaffung für den Bereich der vertragszahnärztlichen Versorgung vielmehr als überfälligen Schritt: „Das Phänomen des doctor hopping, das man durch die Gebühr einzudämmen gehofft hatte, hat es im zahnärztlichen Sektor nie gegeben. Die Gebühr hat außerdem eine präventionspolitisch negative Steuerungswirkung entfaltet. Sie hat einen Teil der Patienten von kontrollorientierten Zahnarztbesuchen abgehalten. Das ist kontraproduktiv, denn Zahnmedizin ist Vorsorgemedizin.“

Die Gebühr war vor allem auch ungerecht: Kranke Versicherte wurden durch sie zusätzlich belastet, findet KKH-Allianz Vorstandsmitglied Rudolf Hauke. Innerhalb der solidarischen Krankenversicherung bringt die Entscheidung zur Abschaffung ein Stückchen mehr Gerechtigkeit. Gleichzeitig entfällt in den Arztpraxen ein Teil der Bürokratie. Dabei seien die Einnahmeausfälle bei den Krankenkassen angesichts der guten wirtschaftlichen Situation derzeit zu verkraften. Die KKH-Allianz hatte bereits Anfang Oktober angekündigt, als erste bundesweite Kasse ihren Versicherten künftig die Praxisgebühr zu erstatten, wenn sie sich gesundheitsbewusst verhalten. „In Zukunft gilt natürlich weiterhin, dass die Politik für eine solide Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung über den zentralen Gesundheitsfonds sorgen muss“, so Hauke.

Grundlegende Finanzierungsreform statt wahltaktischer Geschenke

Die Innungskrankenkassen sehen bei den künftigen Finanzierung ebenfalls die Politik noch stark gefordert. Die aktuellen Entscheidungen des Koalitionsauschusses greifen zu kurz, eine ersatzlose Streichung der Gebühr sei der „falsche Weg“ so Hans Peter Wollseifer, Vorstandsvorsitzender des IKK e.V. Eine Ablösung wäre erst dann sinnvoll, wenn eine Alternative, die Versicherte und Leistungserbringer gleichermaßen in die Verantwortung nimmt, gefunden werde. Durch die Beschlüsse der Koalition werden der GKV in den Jahren 2013 und 2014 Finanzmittel in Höhe von rund sechs Milliarden Euro entzogen, die zum Teil für die Finanzierung gesamtgesellschaftlicher Aufgaben - wie zum Beispiel das Mutterschaftsgeld - fest zugesagt waren, kritisiert der IKK e.V. Man würde von Nachhaltigkeit sprechen, jedoch im konkreten Fall Wahlgeschenke verteilen. "Statt eines wahltaktischen Geschenks brauchen wir eine grundlegende Finanzierungsreform. Eine Erweiterung der Finanzierungsbasis sowie eine Solidarabgabe von nicht personal-intensiven, umsatz- und ertragsstarken Unternehmen würde die Versicherten und Arbeitgeber wirklich entlasten" betont IKK-Vorstandsvorsitzender Hans-Jürgen Müller. Die gesetzliche Krankenversicherung benötige eine planbare und verlässliche Finanzierung. "Daher ist die Wiedereinführung der Beitragssatzautonomie wichtiger denn je", so die IKK-Vorstandsvorsitzenden.

Auch die DGVP e.V. sieht zusätzlichen politischen Handlungsbedarf. Die Gesellschaft fordert vor allem auch die grundsätzliche Überarbeitung des Vergütungssystems für Ärzte: „Jede medizinisch notwendig erbrachte Leistung angemessen muss entsprechend honoriert werden“, erläutert DGVP-Präsident Candidus. „Außerdem brauchen Patienten mehr Transparenz über die Kosten für die ärztlichen Leistungen.“