Autonomes Fahren: Warum die Großen stärker werden

Quelle: Dall-E

Autonomes Fahren dürfte den Kfz-Versicherungsmarkt tiefgreifend verändern. Analysten rechnen mit weniger Unfällen und einer teilweisen Verlagerung der Haftung auf die Hersteller. Dennoch deuten aktuelle Einschätzungen der Bank of America darauf hin, dass große Versicherer ihren Marktanteil eher ausbauen könnten. Versicherungsbote stellt Ergebnisse vor.

Seit Jahren wird spekuliert, wie sich die zunehmende Verbreitung autonomer Fahrzeuge auf die Kfz-Versicherungsbranche auswirken wird. Skeptiker prophezeien ihr einen schleichenden Niedergang: weniger Unfälle, sinkende Prämien, der Bedeutungsverlust der klassischen Fahrerhaftpflicht. Doch eine aktuelle Analyse der Bank of America zeichnet ein anderes Bild. Sie kommt zu dem Schluss: Die großen Anbieter in den USA werden nicht geschwächt, sondern gestärkt aus dem Wandel hervorgehen.

Mit dem technischen Fortschritt dürften Verkehrsunfälle in den kommenden Jahren weiter abnehmen. Sensoren, Notbremsassistenten und Fahrspurhalte-Systeme reduzieren schon heute die Unfallzahlen, selbstfahrende Autos könnten diesen Trend noch verstärken. Damit verliert die Fahrerhaftpflichtversicherung, die traditionell den Löwenanteil des Kfz-Geschäfts ausmacht, an Bedeutung. Auf lange Sicht sinkt der Bedarf sogar auf null.

Risiken verschwinden nicht

Doch damit verschwindet das Geschäft nicht. Risiken wie Hagel, Sturm oder Diebstahl bleiben auch für ein selbstfahrendes Auto bestehen. Ebenso schützt modernste Technik nicht vor einem unversicherten Unfallgegner. Versicherungen gegen Naturgefahren, Vandalismus oder Kollisionen mit nicht versicherten Fahrzeugen behalten also ihren Stellenwert.

Die Analysten betonen indes, dass die sinkende Bedeutung der Haftpflicht sogar Vorteile bringen kann. Denn gerade die klassische Fahrerhaftpflicht gilt als defizitäres Geschäft, das Versicherer zwingt, erhebliche Kapitalreserven vorzuhalten. Fällt dieses Geschäft perspektivisch kleiner aus, bedeutet das auch, dass weniger Kapital gebunden ist. Dadurch entstehen wiederum Ressourcen für profitablere Bereiche.

Statt Rückzug könnten Versicherer ihr Profil also neu schärfen. So könnte die Assekuranz verstärkt Policen für Fahrzeugschutz oder Zusatzleistungen anbieten.

Versicherer als Service- und Logistikpartner

Ein weiterer Aspekt ist die Rolle der Versicherer als Organisatoren und Dienstleister im Schadenmanagement. Denn das Geschäft der Autoversicherer besteht heute aus viel mehr als der bloßen Übernahme von Risiken. Große Anbieter verfügen über enge Partnerschaften mit Werkstätten, optimieren Reparaturkosten und steuern komplexe Prozesse, wenn es doch einmal kracht. Mit zunehmender Technik im Auto steigen die Kosten für einzelne Schäden. Das reicht von Sensoren über Batterien bis hin zu Speziallackierungen. Versicherer, die diese Prozesse effizient steuern, sichern sich Wettbewerbsvorteile.

Auf lange Sicht könnten sie sich zu umfassenden Serviceanbietern entwickeln. Einhergehend damit wären sie weniger Risikoträger, mehr Logistiker und Prozessmanager. Welche neuen Geschäftsfelder dabei erschlossen werden können, hatte zuletzt unter anderem die R+V gezeigt. Das Wiesbadener Unternehmen verkauft Autos. Das geschieht in Zusammenarbeit mit den Plattformbetreibern Carsale24 und Onpier. Über einen Online-Dienst können Autobesitzer ihre Fahrzeuge zum Verkauf stellen.

Große Anbieter im Vorteil

Besonders profitieren dürften die Marktführer. Die fünf größten US-Versicherer – Progressive, Geico, Allstate, State Farm und USAA – kontrollieren schon heute rund 66 Prozent des Marktes. Laut der Analyse haben sie die besten Voraussetzungen, ihre Marktanteile noch auszubauen.

Im Allgemeinen sind wir optimistisch, dass alle fünf Spieler das Potenzial haben, ihre Marke und Reichweite in Wachstum umzumünzen, indem sie das verbliebene Drittel des Marktes defragmentieren, das aus unserer Sicht von Nicht-Skalen-Anbietern kontrolliert wird“, schreiben die Analysten. Für kleinere Gesellschaften dagegen sieht es düster aus. Rund 200 kleinere Versicherer, die derzeit etwa 20 Prozent des US-Marktes bedienen, werden sich im Wettbewerb mit den Großen schwertun. Ohne Skalenvorteile, starke Marken und effiziente Prozesse droht ihnen langfristig der Rückzug oder die Übernahme.

Reparaturen werden immer teurer

Die Bank of America verweist außerdem auf die aktuellen Schadentrends: Zwar habe die Häufigkeit von Unfällen in den vergangenen Jahren weiter abgenommen, gleichzeitig sei die durchschnittliche Schadenhöhe deutlich gestiegen. Autonome und teilautonome Systeme verhindern zwar viele Unfälle, führen aber auch dazu, dass Reparaturen bei einem Crash erheblich teurer werden. Vor allem Hightech-Sensoren und Spezialteile treiben die Kosten in die Höhe.

Grundlegend lasse sich feststellen, dass die steigende Schadenhöhe den Rückgang der Schadenfrequenz zwischen 2022 und 2024 mehr als aufgehoben habe, heißt es in der Analyse. Damit bleibt das Geschäft trotz weniger Unfälle anspruchsvoll – bietet großen Anbietern mit entsprechender Kostenkontrolle jedoch weiterhin ein lukratives Ertragspotenzial.

Hintergrund: Der Text erschien zuerst im neuen kostenfreien Versicherungsbote Fachmagazin 02-2025. Das Magazin kann auf der Webseite des Versicherungsbote bestellt werden.