Pflegeversicherung am Abgrund – Wenn Solidarität zur Renditemaschine wird

Quelle: DALL-E

Wer reich ist, kauft sich bessere Pflege. Wer mittlere Einkommen hat, sieht sein Vermögen in Heimplätzen verschwinden. Wer arm ist, fällt ins Netz der Sozialhilfe. Frauen tragen die Hauptlast häuslicher Pflege und sind im Alter überproportional betroffen. Auch der Wohnort entscheidet: In Städten explodieren die Kosten, auf dem Land fehlen Heimplätze. Pflege, einst als Ausdruck gesellschaftlicher Solidarität gedacht, ist längst zur Klassenfrage geworden.

Politisches Dilemma und verpasste Chancen

Die Politik reagiert mit Flickwerk. Pflegestärkungsgesetze, Zuschüsse, kleine Korrekturen – doch an die Wurzeln wagt sich niemand. Lobbyismus der Betreiber, föderale Zersplitterung und parteipolitische Grabenkämpfe blockieren echte Reformen. Mutige Entscheidungen, wie die Einbeziehung von Kapital in die Finanzierung oder die Deckelung von Eigenanteilen, werden systematisch vermieden.

In diesem Vakuum hätte die private Versicherungswirtschaft eine historische Chance gehabt. Sie hätte Druck machen können, intelligente Produkte entwickeln können, Eigenanteile absichern und die Politik zu Reformen zwingen können. Doch sie hat diese Chance verschlafen. Statt zukunftsfähiger Konzepte bietet sie Zusatzversicherungen an, die teuer, kompliziert und unattraktiv sind. Sie bleibt im Schatten, anstatt Gestalter zu sein – und verschenkt nicht nur ein Geschäftsfeld, sondern auch Glaubwürdigkeit.

Ausblick – Es geht um Würde

Die Pflegeversicherung ist reformpflichtig, nicht reformbedürftig. Ohne eine grundlegende Neuordnung – Finanzierung aus breiter Basis, Deckelung der Eigenanteile, Begrenzung von Renditen, Stärkung der Pflegekräfte und echte Kontrolle – wird das System kollabieren. Politik und Gesellschaft tragen Verantwortung, aber auch die private Versicherungswirtschaft. Wer weiterhin nur zuschaut, riskiert nicht nur die eigene Legitimität, sondern auch das Vertrauen in eine der zentralen Errungenschaften des Sozialstaats.

Pflege ist kein Markt wie jeder andere. Sie ist die Frage, wie wir mit den Schwächsten umgehen. Heute zeigt dieses System mehr Brüche als Halt. Wenn wir nicht handeln, droht es endgültig zu zerbrechen. Politik und Versicherungswirtschaft stehen gleichermaßen in der Pflicht – und sie dürfen sich nicht länger wegducken.