Das Finanzamt Kassel schickt Bürgern künftig einen Vorschlag für ihre Einkommensteuerveranlagung. Dabei handelt es sich um ein Pilotprojekt des hessischen Finanzministeriums. Die Vereinigte Lohnsteuerhilfe begrüßt das Pilotprojekt, mahnt aber: Ohne zusätzliche Angaben der Bürger droht eine „versteckte Steuererhöhung“.
Unter dem Motto „Die Steuer macht jetzt das Amt“ hat das Hessische Finanzministerium ein bundesweit einzigartiges Pilotprojekt gestartet. Ausgewählte Bürger, die ihre Einkommensteuererklärung trotz Abgabepflicht nicht bis zum 31. Juli eingereicht haben, erhalten vom Finanzamt Kassel automatisch einen Vorschlag für ihre Veranlagung. Sie müssen also zunächst nicht selbst aktiv werden.
Grundsätzlich sei diese Initiative positiv zu bewerten, meint die Vereinigte Lohnsteuerhilfe (VLH). „Gerade bei Arbeitnehmern und Rentnern verfügt das Finanzamt bereits über viele relevante Informationen wie Lohndaten, Sozialleistungen, Rentenbezüge oder Versicherungsbeiträge“, erklärt Uwe Rauhöft, Vorstandsmitglied der VLH. „Es ist daher naheliegend, dass die Finanzverwaltung in einfachen Fällen die Steuererklärung gleich selbst erstellt – und dieses Angebot ist durchaus zu begrüßen.“
Ganz neu sei der Ansatz allerdings nicht. Bereits seit Jahren gibt es die Möglichkeit der „vorausgefüllten Steuererklärung“, bei der vorhandene Daten direkt übernommen werden. Auch in Mecklenburg-Vorpommern lief vor einigen Jahren ein ähnliches Pilotprojekt, damals für Rentner.
Der Unterschied liegt in der Umsetzung. Denn wer bisher keine Steuererklärung abgegeben hatte, bekam vom Finanzamt eine Schätzung. Diese war oft verbunden mit Mahnungen, Zwangsgeld oder Verspätungszuschlägen. „Das Verfahren in Kassel ist im Kern ähnlich, nur eben bürgerfreundlicher: Statt Mahnung, Zwangsgeld und Zuschlägen gibt es jetzt einen konkreten Vorschlag des Finanzamts – und den kann man annehmen oder noch korrigieren beziehungsweise durch weitere Angaben zu absetzungsfähigen Ausgaben ergänzen“, so Rauhöft.
Im Grunde passt dieser Ansatz für viele Arbeitnehmer. Denn sie haben in der Regel keine zusätzlichen Einnahmen. Überdies kann das Finanzamt nur die Daten berücksichtigen, die ihm vorliegen. „Die Möglichkeit, weitere Angaben zu machen, ist für eine gerechte Besteuerung unverzichtbar. Denn sonst könnte das Ganze für viele eine versteckte Steuererhöhung bedeuten“, betont VLH-Vorstandschef Jörg Strötzel.
Wer zusätzliche Ausgaben wie Werbungskosten, Krankheitskosten oder Spenden geltend machen möchte, muss diese selbst ergänzen. „Und diese Möglichkeit darf auf keinen Fall wegfallen“, so Strötzel weiter. Zwar gebe es bereits Pauschalen, etwa für die Fahrt zur Arbeit, doch individuelle Unterschiede würden sonst unter den Tisch fallen.
Auch wenn das Finanzamt Daten von Arbeitgebern, Versicherungen oder Rentenstellen automatisch vorliegen hat, bleibt die Verantwortung für die Richtigkeit der Steuererklärung beim Bürger. „Diese müssen dem Finanzamt auch weiterhin korrekt angegeben werden“, mahnt Strötzel. Insbesondere bei weiteren Einkünften aus Vermietung oder ausländischen Quellen ist das relevant.