Rentenversicherung: ifo-Studie zeigt Renten-Kollaps und mögliche Lösungen auf

Quelle: DALL-E

Deutschland steht vor einer Rentenkrise. Das zeigt ein neues Gutachten des ifo Instituts für die Friedrich-Naumann-Stiftung. Ohne tiefgreifende Reformen droht der Beitragssatz zur gesetzlichen Rentenversicherung bis 2050 drastisch zu steigen. Die Experten fordern mutige Schritte, um das System zukunftssicher zu machen.

Die Altersvorsorge in Deutschland und damit konkret gemeint und verbunden die gesetzliche Rentenversicherung stehen unter massivem Druck. Das zeigt ein umfassendes Gutachten des ifo Instituts im Auftrag der Friedrich-Naumann-Stiftung. Die Wissenschaftler sprechen von einer drohenden „dramatischen demografischen Herausforderung“ und warnen zugleich. Ohne Reformen könnte der Beitragssatz zur gesetzlichen Rentenversicherung von derzeit 18,6 Prozent auf bis zu 22 Prozent im Jahr 2050 steigen. Der Anteil des Bundeshaushalts, der in die Rentenkasse fließt, würde sich dabei ebenfalls massiv erhöhen und so andere Staatsaufgaben gefährden.

Die zentralen Treiber dieser Entwicklung sind bekannt: Die Menschen leben länger, während die geburtenstarken Jahrgänge der Babyboomer-Generation aus dem Erwerbsleben ausscheiden und von den deutlich kleineren Jahrgängen abgelöst werden. „Die Lebenserwartung der Deutschen ist angestiegen und die jüngeren Kohorten sind deutlich dünner besetzt als die Babyboomer-Generation. Die Kosten der Alterung dürfen aber nicht einseitig den jüngeren Menschen zugeschoben werden.“, mahnt Marcel Thum, Geschäftsführer der ifo-Niederlassung Dresden und Ko-Autor des Gutachtens.

Alte Lösungen reichen nicht mehr aus

Die Forscher analysieren eine Vielzahl von Maßnahmen zur Stabilisierung des Rentensystems. Viele aktuelle Maßnahmen wie die Mütterrente oder die sogenannte Haltelinie beim Rentenniveau sehen sie dabei kritisch. Diese Entwicklungen würden langfristig das System überfordern und vor allem die jüngeren Generationen unverhältnismäßig belasten.

Daher fordern sie eine Rückbesinnung auf bewährte Instrumente wie den sogenannten Nachhaltigkeitsfaktor. Dieser war ursprünglich eingeführt worden, um die Rentenanpassungen an das Verhältnis zwischen Beitragszahlern und Rentenempfängern zu koppeln. Dieser Mechanismus wurde jedoch ausgesetzt. Seine Wiedereinführung könne laut Gutachten die Rentenausgaben dämpfen und damit zur Entlastung beitragen.

Besonders weitreichend sei die Kopplung des Renteneintrittsalters an die Lebenserwartung. Diese Maßnahme könnte den Anstieg der Beitragssätze signifikant bremsen. Auch eine Indexierung der Bestandsrenten an die Inflationsrate – statt der Lohnentwicklung – könnte das System stabilisieren.

Darüber hinaus identifizieren die Autoren weitere Optionen wie die Abschaffung der abschlagsfreien Rente mit 63 oder eine stärkere Kapitaldeckung als Ergänzung der gesetzlichen Rente. Letztere wird im Gutachten nicht direkt quantifiziert, aber als strategisch sinnvoller Baustein für ein resilienteres Rentensystem bezeichnet .

Laut den Berechnungen würde der Zuschuss des Bundes zur Rentenversicherung von rund 100 Milliarden Euro im Jahr 2019 auf etwa 154 Milliarden Euro im Jahr 2050 ansteigen, sofern keine Reformen greifen. Dieser Wert könnte sogar noch höher liegen, wenn das Rentenniveau weiterhin garantiert und das Renteneintrittsalter nicht angepasst wird. Eine solche Entwicklung wäre aus Sicht der Autoren nicht tragbar – weder für den Staatshaushalt noch für die soziale Gerechtigkeit zwischen den Generationen.

Diese Reformvorschläge sollen die Rentenversicherung stabilisieren

Die Studienmacher schlagen verschiedene Schritte zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung vor, um deren langfristige Finanzierung zu sichern und eine generationengerechte Aufteilung der Alterungskosten zu gewährleisten.

  • Abschaffung der "Rente ab 63": Diese Maßnahme wird als doppelt nachteilig für die Finanzierung des Rentensystems beschrieben, da die Zahl der Beitragszahler sinkt und die Zahl der Rentenempfänger steigt. Die Abschaffung würde die Finanzierungslast etwas absenken und zu höheren Einnahmen sowie niedrigeren Ausgaben führen. Sie wird als relativ kleine, aber wirksame Entlastung beschrieben.
  • Verstärkung des Nachhaltigkeitsfaktors: Der Nachhaltigkeitsfaktor berücksichtigt das Verhältnis von Rentnern zu Beitragszahlern und dämpft bei Verschlechterung dieses Verhältnisses den Rentenanstieg. Eine Erhöhung des Faktors (z.B. auf 1/2 statt 1/4) würde die Rentenerhöhungen stärker dämpfen und das Rentensystem entlasten. Dies hätte eine bedeutend stärkere Entlastungswirkung auf die Ausgaben.
  • Kopplung des Renteneintrittsalters an die Lebenserwartung: Dieser Vorschlag wird als zentrale Stellschraube für eine nachhaltige Rentenfinanzierung erachtet und existiert bereits in Ländern wie den Niederlanden und Finnland. Der quantifizierte Vorschlag sieht vor, das Renteneintrittsalter für je drei zusätzliche Jahre Lebenserwartung um zwei Jahre anzuheben (2:1-Regel). Dies würde regelbasiert erfolgen, um die Debatte zu entpolitisieren. Diese Maßnahme würde die Ausgaben bzw. den Beitragssatz senken und das Sicherungsniveau erhöhen
  • Inflationsorientierte Anpassung der Bestandsrenten: Statt die Renten an die Lohnentwicklung zu koppeln, wäre ein reiner Inflationsausgleich denkbar, wie er beispielsweise in Österreich praktiziert wird. Dies würde das Rentensystem erheblich entlasten, da die Bestandsrenten langsamer steigen. Die Entlastungswirkung auf den Beitragssatz wäre im Vergleich zu allen anderen diskutierten Reformoptionen am höchsten. Allerdings würde dies zu Einbußen für Bestandsrentner mit überdurchschnittlicher Rentenlaufzeit führen

Das Gutachten schnürt insgesamt zwei Reformpakete, um die nachhaltige Finanzierung des Rentensystems sicherzustellen. Während Reformpaket I eine Minimallösung darstellt, bildet das Reformpaket II einen sehr umfangreichen Maßnahmenkatalog ab.

Reformpaket I (Minimallösung):

  • Verzicht auf beide Haltelinien (für Sicherungsniveau und Beitragssatz)
  • Abschaffung der "Rente ab 63"
  • Kopplung des Renteneintrittsalters an die Lebenserwartung (nach der 2:1-Regel ab 2032)

Dieses Paket würde das Bruttoinlandsprodukt (BIP) erhöhen, was zu höheren Löhnen und Renten führt. Der Anteil der Rentenausgaben am Sozialprodukt würde dadurch sinken und der Beitragssatz sich auf einem geringeren Niveau stabilisieren. Auch das Rentenniveau würde höher ausfallen als im Basisszenario. Die Studie betont jedoch, dass Reformpaket I allein nicht ausreicht, um die Rentenausgaben als Anteil am Sozialprodukt langfristig zu stabilisieren.

Reformpaket II (Umfassendes Maßnahmenpaket):

  • Beinhaltet alle Elemente des Reformpakets I
  • Zusätzlich: Verstärkung des Nachhaltigkeitsfaktors
  • Zusätzlich: Reine inflationsorientierte Anpassung der Bestandsrenten

Dieses umfassende Paket zielt darauf ab, die Ausgaben für die gesetzliche Rentenversicherung langfristig zu reduzieren, den Beitragssatz zu senken und dennoch zu real höheren Renten zu führen. Der Ausgabenanteil am BIP würde deutlich zurückgehen und bis 2050 bei rund 10 Prozent stabilisiert werden. Der Beitragssatz ließe sich nahezu konstant halten. Die Einsparungen wären erheblich, wobei die inflationsorientierte Anpassung der Bestandsrenten zu Einbußen für durchschnittliche Bestandsrentner mit steigender Rentenlaufzeit führen würde.

Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass umfassende Reformen unausweichlich sind, da ein "Weiter so" in der Rentenpolitik langfristig nicht tragbar ist und selbst positive demografische Entwicklungen den massiven Anstieg der Bundeszuschüsse nicht verhindern könnten. „Deutschland steht vor einer dramatischen demografischen Herausforderung. Ohne Reformen droht der Beitragssatz in der gesetzlichen Rentenversicherung bis 2050 von 18,6 Prozent auf 22 Prozent zu steigen – mit gravierenden Folgen für Beschäftigte und Unternehmen“, warnt Marcel Thum, Geschäftsführer der ifo Niederlassung Dresden und Ko-Autor des Gutachtens.