Sozialversicherung: 'Die Frage ist, wann die Beitragssätze 50 Prozent erreichen'

Quelle: Sachverständigenrat Wirtschaft

Wie bedrohlich die Lage ist, hatte eine Studie des Wissenschaftlichen Instituts der PKV (WIP) im Mai 2025 mit Zahlen unterlegt. Diese wurde von Martin Werding, Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, verfasst. Im Kern sieht die Studie einen deutlichen Anstieg der Beitragssätze in den kommenden Jahrzehnten. Unter den derzeitigen gesetzlichen Rahmenbedingungen und auf Basis mittlerer Annahmen zur wirtschaftlichen Entwicklung werde der Gesamtbeitrag zur Sozialversicherung von aktuell knapp 42 Prozent bis 2035 auf 47,5 Prozent steigen. Bis 2080 werde sogar ein Anstieg auf 58,4 Prozent erwartet. Diese Entwicklung hat nicht nur negative Auswirkungen auf die Beschäftigungsentwicklung und das gesamtwirtschaftliche Wachstum, sondern führt auch zu einer erheblichen Belastungsverschiebung zulasten der jüngeren Generationen.

Während ein im Jahr 1940 geborener Mensch im Durchschnitt 34,2 Prozent seines Erwerbseinkommens an Sozialbeiträgen entrichtete, werden es für den Jahrgang 2020 voraussichtlich 55,6 Prozent sein. Besonders deutlich zeigt sich die Belastungsverschiebung in der Pflegeversicherung, deren Beitragssatz sich seit ihrer Einführung 1995 vervielfacht hat. Auch die Renten- und Krankenversicherung tragen erheblich zum Anstieg bei.

Der Wirtschaftsweise betont die Notwendigkeit grundlegender Reformen, um die Generationengerechtigkeit zu erhalten. Der sogenannte „Generationenvertrag“ sei kein juristisch bindender Vertrag, sondern müsse politisch so gestaltet werden, dass er für alle beteiligten Generationen zustimmungsfähig bleibt. Die Studie liefert somit eine empirische Grundlage für eine faktenbasierte Debatte über die Zukunft der Sozialversicherungssysteme in Deutschland.

„Die Analyse von Professor Werding belegt mit klaren Zahlen, wie stark das umlagefinanzierte Sozialversicherungssystem junge Generationen belastet“, sagt Dr. Frank Wild, Institutsleiter des WIP. „Wenn künftige Erwerbstätige über die Hälfte ihres Einkommens für Sozialbeiträge aufbringen müssen, ist das kein tragfähiger Generationenvertrag mehr – sondern eine Schieflage mit sozialen und ökonomischen Risiken. Die Analyse liefert die empirische Grundlage, um diese Debatte faktenbasiert zu führen.“

Zu ähnlich alarmierenden Zahlen war im vergangenen Jahr eine Projektion des Berliner IGES Instituts im Auftrag der DAK-Gesundheit gekommen. Denn bis zum Jahr 2035 könnte der Gesamtbeitrag der Sozialversicherung um 7,5 Beitragspunkte auf 48,6 Prozent ansteigen. Allein in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) mit 73 Millionen Versicherten droht in den nächsten zehn Jahren ein Beitragssprung von 16,3 auf 19,3 Prozent. Das zeigt eine neue Projektion des Berliner IGES Instituts im Auftrag der DAK-Gesundheit. Die Wissenschaftler hatten in dieser Form erstmals eine Gesamtprognose für alle Zweige der Sozialversicherung (Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung) mit der zu erwartenden Beitragsentwicklung bis 2035 berechnet. Grundlage dafür waren verfügbare Daten der zuständigen Bundesministerien und der beteiligten Sozialversicherungsträger.

„Die IGES-Projektion zeigt, dass die Sozialabgaben in Deutschland entgegen bisherigen politischen Vorgaben realistisch nicht auf 40 Prozent gedeckelt werden können“, sagte DAK-Vorstandschef Andreas Storm damals. „Wir müssen vielmehr verhindern, dass die Gesamtbelastung in den nächsten zehn Jahren in Richtung 50 Prozent klettert und so Versicherte und Arbeitgeber überfordert.“