Warum sollte man Kinder schon in jungen Jahren versichern? Versicherungsmakler Matthias Helberg erklärt, warum viele von ihnen später keine Berufsunfähigkeitsversicherung mehr bekommen – und welche Absicherung Eltern priorisieren sollten.
Versicherungsbote: Warum halten Sie es für notwendig, bereits Neugeborene oder sehr junge Kinder abzusichern?
Matthias Helberg: Weil wir eine zunehmende Anzahl von Anfragen haben, bei denen sich herausstellt, dass schon ältere Kinder und Jugendliche überhaupt nicht oder zumindest auf absehbare Zeit nicht versicherbar sind – zum Beispiel wegen Multiple Sklerose, ADHS oder anderer psychischen Erkrankungen. Sie wären aber vor solchen Diagnosen versicherbar gewesen.
Welche finanziellen Risiken drohen Eltern, wenn sie ihr Kind nicht frühzeitig absichern?
Zum einen wird der Nachwuchs, der krankheitsbedingt gar nicht erst selbst zum Geldverdienen kommt, weiterhin den Eltern auf der Tasche liegen. Zum anderen können auf die Eltern zusätzliche Kosten durch medizinische Behandlungen oder gar eine Pflegebedürftigkeit des Kindes zukommen.
Welche Bausteine halten Sie für besonders wichtig und in welcher Reihenfolge sollten Eltern diese angehen?
Zunächst sollte man sich bewusst machen, was das eigentliche Ziel ist und welche finanziellen Risiken am größten sind. Aus meiner Sicht sind das die Absicherung von Pflegebedürftigkeit und der (spätere) Verlust der Arbeitskraft des Kindes – und zwar in einer Form, bei der sich der Versicherer später nicht mehr vom Vertrag trennen kann. Dies kann durch eine Pflegetagegeld- und eine Berufsunfähigkeitsversicherung (BU) erfolgen. Unfallversicherungen, Kinderinvaliditätsversicherungen und Grundfähigkeitsversicherungen lassen sich früher als eine BU abschließen, sollten aber nur als Übergangslösung dienen.
Viele Eltern setzen auf die gesetzliche Absicherung, beispielsweise durch die Unfallversicherung der Schule oder Kita. Warum reicht diese Ihrer Meinung nach nicht aus?
Die Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung sind gering, schwer zu bekommen, gelten nicht für die Freizeit oder den Urlaub und leisten vor allem nicht bei krankheitsbedingten Einschränkungen.
Ein häufiger Kritikpunkt an Kinderabsicherungen ist, dass Eltern jahrelang Beiträge zahlen und am Ende nichts zurückbekommen, wenn das Kind gesund bleibt. Wie begegnen Sie dieser Kritik?
Bei einer Gebäudeversicherung gibt es auch kein Geld zurück, wenn das Haus nicht abbrennt. Hier geht es um die Absicherung von finanziellen Risiken, die man nicht selbst schultern kann. Es geht nicht darum, etwas für die Kinder anzusparen. Wenn dem Kind etwas passiert, ist die richtige Versicherung deutlich wertvoller als ein paar tausend Euro, die man bis dahin eventuell angespart haben könnte.
Wie sollte sich der Versicherungsschutz im Laufe der Kindheit anpassen – und welche Optionen gibt es, um bestehende Verträge flexibel weiterzuführen, wenn das Kind erwachsen wird?
Kinder sollten einfach so früh wie möglich eine Berufsunfähigkeitsversicherung bekommen. Das ist nach aktuellem Stand ab Alter 6 Jahre und Einschulung möglich. Schon viel früher, ab dem Alter von 6 Monaten, kann man eine Grundfähigkeitsversicherung mit BU-Wechseloption abschließen. Eine sehr gute BU kann später an nahezu alle Gegebenheiten angepasst werden. Das bedeutet, dass der Versicherungsschutz erhöht oder abgesenkt werden kann – unabhängig davon, welchen Beruf das Kind später ausübt. Die Kosten können sich durch einen gefährlichen Beruf nicht erhöhen, aber zum Beispiel bei einer akademischen Laufbahn sogar sinken.
Welche Leistungen sollte eine gute Kinder-Unfallversicherung aus Ihrer Sicht unbedingt enthalten, um wirklich umfassend zu schützen?
Ich finde, eine Unfallversicherung für Kinder ist die schlechteste der genannten Möglichkeiten: Weil sie nur nach Unfällen leistet. Sie kommt bei uns nur in Frage, wenn der Gesundheitszustand oder die Finanzen der Eltern keine andere Möglichkeit zulassen. Die besten Tarife für Kinder verstehen unter einem Unfall auch Ereignisse wie Vergiftungen (z.B. durch Giftpflanzen), Infektionen (z.B. Gürtelrose, Keuchhusten, Pfeiffersches Drüsenfieber) und Insektenbisse (z.B. Borreliose, Brucellose) und sogar Sonnenbrand und Sonnenstich. Sie übernehmen Kosten für Rooming-in, wenn das Kind nach einem Unfall im Krankenhaus liegt. Stirbt der Elternteil, der den Vertrag abschließt, bleibt das Kind bis 18 versichert, ohne dass man noch Beiträge zahlen muss.
Warum ist eine Pflegezusatzversicherung bereits für Kinder sinnvoll, obwohl man doch denkt, dass Pflegebedürftigkeit eher ein Thema im Alter ist?
Natürlich ist Pflegebedürftigkeit mehrheitlich ein Thema im Alter. Dennoch waren laut Destatis Ende 2023 fast 270.000 Kinder unter 15 Jahren pflegebedürftig. Es ist wie bei nahezu allen biometrischen Versicherungen: Sobald man merkt, dass man sie braucht, ist es für den Abschluss bereits zu spät.
Wie hoch sollte eine Pflegetagegeldversicherung idealerweise abgesichert sein, damit Eltern im Ernstfall wirklich entlastet werden?
Wir empfehlen, sich am Maximum zu orientieren – das sind etwa 70 Euro pro Tag. Entscheidend ist jedoch nicht nur die Höhe der Leistung, sondern auch, ob das Geld ausschließlich bei stationärer oder auch ambulanter Pflege ausgezahlt wird.
Eine Kinderinvaliditätsversicherung (KIV) deckt auch Behinderungen durch Krankheiten ab – was macht sie so wertvoll im Vergleich zur Unfallversicherung?
Genau aus diesem Grund ist sie so wertvoll: Sie deckt auch Behinderungen durch Krankheiten ab. Zudem gibt es bei der KIV Angebote, bei denen sich die Versicherer an der Einstufung durch das Versorgungsamt orientieren und nicht selbst den Grad der Einschränkung festlegen wollen, wie es bei der Unfallversicherung der Fall ist.
Welche Krankheiten oder Umstände könnten es einem Kind später erschweren, eine Berufsunfähigkeitsversicherung abzuschließen – und wie kann man dem vorbeugen?
Wie ich bereits erwähnte, gehören dazu z.B. Multiple Sklerose, ADHS, Magersucht, starkes Übergewicht, Psychotherapien, Krebs. Die Lösung besteht darin, dem Kind so früh wie möglich Versicherungsschutz zu besorgen – und das bedeutet aktuell, ab dem sechsten Lebensmonat.
Ab welchem Alter empfehlen Sie eine Schüler-Berufsunfähigkeitsversicherung und was sind dabei die wichtigsten Kriterien für eine gute Absicherung?
Ab einem Alter von sechs Jahren, weil das Kind dann schon Versicherungsschutz bekommt, den ihm niemand mehr nehmen kann. Die wichtigsten Kriterien sind gute Versicherungsbedingungen – egal ob das Kind später Schüler, Student, Arbeitnehmer wird, selbstständig ist oder eventuell in Elternzeit geht. Die BU-Rente sollte über Jahrzehnte mitwachsen. Und der Beitrag sollte auch reduziert werden können, wenn das Kind in einen weniger risikoreichen Beruf wechselt. Es kommt aber nicht nur auf möglichst gute Versicherungsbedingungen an, sondern auch auf eine möglichst gute Betreuung eines solchen langlaufenden Vertrags mit seinen vielfältigen Anpassungs- und Optimierungsmöglichkeiten.
Hintergrund: Das Interview ist zuerst in der Ausgabe 01/2025 des Fachmagazins Versicherungsbote erschienen; die Fragen stellte Björn Bergfeld. Das Magazin kann auf der Versicherungsbote- Webseite kostenfrei abonniert werden.