Jeder Dritte Deutsche fürchtet sich vor Pflegebedürftigkeit

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Mehr als jeder Dritte (37 Prozent) fürchtet sich vor Pflegebedürftigkeit im Alter - ohnehin verbindet die Mehrzahl der Deutschen mit dem Alter Krankheit und Schmerzen (55 Prozent). Ein knappes Viertel (23 Prozent) fürchtet sich vor Armut und sozialem Abstieg im Alter. Zu diesen Ergebnissen kommt eine repräsentative Studie der Allianz Privaten Krankenversicherung und dem Marktforschungsinstitut Produkt+Markt, die dem Umgang der Deutschen mit Pflege und Pflegebedürftigkeit auf den Grund geht.

Pflege kein Tabuthema – Mit dem Alter schwindet die Angst

Die Studie zeigt deutlich: Pflege ist kein Tabuthema mehr. Das lässt sich am Wissen und der Einstellung der Menschen ablesen. Mehr als die Hälfte (54%) glaubt, sich gut oder sehr gut mit Pflege auszukennen. Ein Drittel der Männer (33%) und 41 Prozent der Frauen bezeichnen das Thema Pflege und Pflegevorsorge für sich persönlich sogar als extrem wichtig. Dabei ist den Menschen klar, dass Pflege „jeden treffen kann“: Nur jeweils 12 Prozent aller Befragten schätzen das Risiko, dass Angehörige oder sie selbst einmal pflegebedürftig werden, für gering ein. Und das zurecht – laut Statistiken des Bundesgesundheitsministeriums ist bereits jeder dritte über 80- Jährige auf Pflege angewiesen.
Die Studie zeigt aber auch, dass beide Geschlechter mit steigendem Alter die Angst vor der Pflege verlieren. Sie sehen diesem näher rückenden möglichen Teil ihres Lebens erfahrener und damit ein Stück gelassener entgegen.

Geschätzte monatliche „Pflegelücke“ 1.300 € – „Pflege-Bahr“ weitgehend unbekannt

Insgesamt legen die meisten Befragten ein bemerkenswertes Faktenwissen in Sachen Pflege an den Tag. So ist allgemein bekannt, dass die Zahlungen der Pflegepflichtversicherung von der Schwere der Pflegegebedürftigkeit abhängen (88%). Kaum jemand (2%) glaubt allerdings noch daran, dass die Pflegepflichtversicherung alle Kosten auffangen kann, die auf die Betroffenen zukommen. Auf im Schnitt rund 1.300 Euro wird die monatliche Kostenlücke geschätzt, die zwischen dem tatsächlichen Bedarf und der Abdeckung durch die Pflegepflichtversicherung liegt. Diese Schätzung ist sehr gut. Auch in Wirklichkeit liegt der entsprechende Betrag zwischen etwa 1.050 und 1.650 Euro, je nach Schwere des Pflegefalls (Pflegestufe II oder III) und je nachdem, ob die Betroffenen ambulant zu Hause oder in einem Heim gepflegt werden.
Fast allen Befragten ist auch klar, wer im Ernstfall für diese Lücke aufkommen muss: Die zu pflegende Person selbst (87%) oder deren Familienangehörige (86%) – sie sind dazu sogar gesetzlich verpflichtet. „Unsere Studie zeigt, dass die Menschen in Deutschland eine ziemlich genaue Vorstellung davon haben, welche Belastungen im Pflegefall auf sie oder ihre Angehörigen zukommen können“, erklärt Dr. Birgit König, Vorstandsvorsitzende der Allianz Privaten Krankenversicherung. „Sie schätzen die sogenannte ‚Pflegelücke’ sehr realistisch ein und wissen, dass bei der Pflege im Ernstfall Kinder für ihre Eltern haften.“

Allerdings scheint bisher nur bei einer Minderheit angekommen zu sein, dass der Staat seine Bürger seit Januar dabei unterstützt, diese Kosten zu stemmen: Drei von vier Befragten (74%) haben noch nie etwas von der geförderten Pflegetagegeldversicherung, auch oft „Pflege-Bahr“ genannt, gehört. Diese Art der Versicherung zahlt in Abhängigkeit von der Pflegestufe im Pflegefall einen festgelegten Tagessatz und ergänzt damit die Leistungen aus der Pflichtversicherung. König bewertet den „Pflege-Bahr“ als wichtigen Schritt: „Er macht deutlich, dass wirklich jeder vorsorgen sollte. Profitieren werden von dem staatlichen Geld insbesondere junge Menschen. Denn wie bei jeder kapitalgedeckten Versicherung sind die Beiträge umso günstiger, je früher man sich absichert. Junge Menschen erhalten bereits für die zehn Euro Mindestbeitrag eine zusätzliche Absicherung, die fünf Euro Zulage macht bei ihnen dann ein Drittel des Gesamtbeitrags aus.“

Alternativen zur Familie im Kommen: Senioren-WG und Mehrgenerationenhaus

Bittet man die Menschen um einen Blick in die Zukunft, finden alternative Wohn- und Betreuungsformen starken Zuspruch. Nur noch etwa jeder Dritte (35%) möchte, dass Familienmitglieder einmal die Pflege übernehmen sollen.
Vor allem die männlichen Befragten setzen auf den technischen Fortschritt: Jeder vierte Mann (26%) geht davon aus, dass Pflegeroboter bald zum Alltag gehören werden, bei den Frauen beträgt dieser Anteil nur 15 Prozent.
Jeweils etwa ein Drittel wünscht sich, statt in den eigenen vier Wänden in Mehrgenerationenhäusern (33%) oder Senioren-WGs (30%) betreut zu werden. Vor allem Frauen scheinen offener für diese neuen Arten des Zusammenlebens zu sein, da sie meist länger leben und selbst dafür Sorge tragen müssen, wie sich ihre Pflege gestaltet.
„Diese Wünsche spiegeln die Entwicklung unserer Gesellschaft wider“, erklärt König. „Die Chance, im Pflegefall von der Familie versorgt zu werden, ist gering – und die Leute wissen das auch. Die Zahl der Singlehaushalte steigt, erwachsene Kinder und Eltern leben meist weit voneinander entfernt, Frauen wie Männer sind berufstätig. Das mit der Pflege eines Angehörigen zu verbinden, ist schon organisatorisch anspruchsvoll, von der emotionalen und körperlichen Belastung ganz zu schweigen. Pflegedienste und andere Betreuungsformen springen also ein. Aber sie kosten Geld. Deshalb ist frühe Vorsorge so wichtig. Sie ermöglicht es, später finanziell unbeschwert zu leben.“

Viel Wissen, klare Wünsche, kaum Handeln

Trotz ihres großen Wissens sorgen viele Menschen in Deutschland eher wenig vor. Gerade einmal 18 Prozent sagen von sich aus, dass sie sich im Pflegefall allgemein gut abgesichert fühlen. Nur etwa einer von zehn Befragten (11%) besitzt eine private Pflegezusatzversicherung, konkrete Pläne, sich eine solche zuzulegen, haben ebenfalls wenige (9%). Angesichts der erwarteten Pflegelücken ist das nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein.
Für mehr als die Hälfte (56%) der Menschen spielen im Moment andere Dinge eine wichtigere Rolle als Vorsorge. Fast jeder Dritte sagt sogar ganz klar: „Ich lebe lieber im ‚Hier und Jetzt’“. Auch glauben einige, auf andere Absicherungen zurückgreifen zu können, wie etwa eine private Rentenversicherung (32%) oder die eigene Immobilie (37%). „Solche Vorsorgepläne müssen allerdings wohl überlegt sein.“, warnt König. „Vor allem das eigene Häuschen eignet sich weniger als Pflege-Absicherung. In der Regel lebt ja auch der Partner im Haus und hat mit mietfreiem Wohnen im Alter geplant. Wenn das Haus zur Finanzierung der Pflege herhalten muss, wo wohnt er dann?"

Fünf Pflegetypen in Deutschland: Vom Erfahrenen bis zum Verdränger

Die Allianz-Studie hat beim Umgang der Deutschen mit dem Thema Pflege fünf grobe Muster und damit fünf Pflegetypen identifiziert: Erfahrene, Vernünftige, Sorglose, Verdränger und Inkonsequente. Die Gruppen unterscheiden sich was ihren Kenntnisstand, ihre generelle Einstellung, ihr Verhalten und auch ihre Erfahrung in Sachen Pflege angeht.

Der größten Gruppe, den „Erfahrenen“, gehört ein Viertel (25%) der Deutschen an. Pflege ist für sie generell ein wichtiges Thema. Viele „Erfahrene“ haben Berührungspunkte mit Pflege in ihrem näheren sozialen Umfeld und sind sich daher des Risikos einer Pflegebedürftigkeit stark bewusst. Sie setzen sich intensiv mit dem Thema auseinander und kennen sich dementsprechend sehr gut aus. Dabei setzen sie ihr Wissen auch in die Tat um: „Erfahrene“ sorgen vor und sind in der Regel gut für den Pflegefall abgesichert. Ein Großteil dieser „Erfahrenen“ ist weiblich und wohnt in eher ländlichen Gebieten.

Ein knappes Fünftel (19%) der Deutschen sind „Vernünftige“. Sie unterscheiden sich von den „Erfahrenen“ vor allem darin, dass sie in ihrem eigenen Umfeld eher wenige Berührungspunkte mit Pflege haben. Dementsprechend kennen sie sich zwar gut, aber nicht sehr gut aus. Trotzdem sorgen sie vor. Unter den „Vernünftigen“ findet man eher Männer und Menschen mit höherem Einkommen.

Zu den „Sorglosen“ darf sich ebenfalls etwa jeder Fünfte zählen (22%). Wie ihr Name schon sagt, spielt Pflege für diese Gruppe kaum eine Rolle, ist für sie unwichtig und zugleich unangenehm. Die „Sorglosen“ haben auch keine Erfahrungen mit Pflege und schätzen das Risiko, einmal selbst pflegebedürftig zu werden, gering ein. Folgerichtig sorgen sie auch nicht vor. Unter den „Sorglosen“ sind mehr Männer als Frauen zu finden. Auch trifft man sie vor allem in Großstädten an. Berlin sticht dabei mit einem „Sorglosen-Anteil“ von 28 Prozent besonders hervor.

Weitere 20 Prozent der Deutschen gehören dem Typ „Verdränger“ an. „Verdränger“ sind typischerweise männlich. Sie kennen sich zwar durchschnittlich gut mit Pflege aus und haben damit häufig Berührungspunkte in ihrem sozialen Umfeld – also eigene Erfahrungen. Trotzdem ist ihnen das Thema nicht so wichtig; sie schieben es als eher unangenehm von sich weg. Allerdings sorgen „Verdränger“ in einem gewissen Rahmen vor.

Keinem klaren Muster folgen die „Inkonsequenten“. Sie sind mit 14 Prozent die kleinste Gruppe. Obwohl – oder gerade weil – ihnen das Thema Pflege Angst macht und unangenehm ist, setzen sie sich intensiv damit auseinander. Auch schätzen sie ihr eigenes Risiko, einmal pflegebedürftig zu werden, überdurchschnittlich hoch ein. Trotzdem sichern sie sich nur in geringem Maße ab. Unter den eher großstädtisch lebenden „Inkonsequenten“ sind mehr Frauen als Männer anzutreffen.

„Das Thema Pflege treibt den Großteil der Menschen in irgendeiner Form um“, schätzt König die Ergebnisse ein. „„Erfahrene“ und „Vernünftige“ können gelassener in die Zukunft blicken, weil sie bereits in gewissem Maße abgesichert sind. Vor allem den „Sorglosen“, und „Verdrängern“ rate ich aber, sich ehrlich und ernsthaft mit ihren eigenen Wünschen, Bedürfnissen und finanziellen Möglichkeiten im Fall einer Pflegebedürftigkeit auseinander zu setzen – auch wenn das für sie nicht angenehm ist. Nur durch eigene Vorsorge können sie sicher gehen, selbst über das Wo und Wie ihrer Pflege zu entscheiden. Und diese Selbstbestimmtheit nimmt schlussendlich auch einen Teil der Angst vor Alter und Pflegebedürftigkeit.“