Daniel Bahr will die Bundesbürger vom Operationstisch holen

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In kaum einem anderen Land gibt es so viele Operationen wie in Deutschland. Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) will nun möglichen Fehlanreizen im Gesundheitssystem einen Riegel vorschieben. Künftig sollten „die Kliniken profitieren, die eine gute Behandlung anbieten, und nicht die, die einfach nur mehr operieren“, sagte Daniel Bahr am Donnerstag in Berlin. Empört reagierte der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Georg Baum, auf den Vorwurf, in Deutschland werde zu viel operiert.

Wenn es um die Zahl der Operationen geht, sind deutsche Kliniken weltweit spitze. Ob künstliches Hüftgelenk oder Bypass, Bandscheiben-Op oder Arthroskopie: In kaum einem anderen Land der Welt wird so schnell zum Skalpell gegriffen wie in der Bundesrepublik. Gesundheitsexperten beobachten dies mit Sorge. Ein neues Papier der OECD belegt nun, dass die Zahl der Operationen in den vergangenen Jahren weiter angestiegen ist. Im Jahr 2010 habe es 240 Eingriffe pro 1.000 Einwohner in Deutschland gegeben, im OECD-Schnitt jedoch nur 155. Allein Österreich hat mit 261 Eingriffen pro 1.000 Einwohner noch mehr Operationen vorzuweisen.

Am Donnerstag hat Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) angekündigt, gegen mögliche Fehlanreize im Gesundheitssystem vorzugehen. Denn es liegt der Verdacht in Raum, nicht jeder medizinische Eingriff, der von Hospitälern vorgenommen wird, ist auch notwendig. In Deutschland werden 85 Prozent aller Operationen nach Fallpauschalen bezahlt, und das heißt: Je mehr Patienten auf dem OP-Tisch landen, desto mehr Geld erhält das Krankenhaus. Bezahlt wird strikt nach Quantität, während die Qualität der Behandlung kaum eine Rolle spielt.

Operationen zum Schaden des Patienten?

„Wir wollen, dass die Krankenhausversorgung für die Menschen besser wird – es darf nicht ein Fehlanreiz sein, besonders viel machen zu müssen für ein Krankenhaus“, sagte Bahr am Donnerstag in Berlin. Und tatsächlich deutet vieles auf Fehlanreize im Gesundheitssystem hin. In diesem Jahr werden die Kosten für stationäre Operationen 65 Milliarden Euro betragen, das ist ein Drittel des Budgets der Krankenkassen.

Auch OECD-Gesundheitsexperte Mark Pearson glaubt, dass hier viel Geld unnötig ausgegeben wird. „Besorgt“ sei er angesichts der Entwicklungen in deutschen Krankenhäusern, „sehr besorgt“. Es bestehe die Gefahr, dass nicht immer nur zum Wohl, sondern auch zum Schaden des Patienten operiert werde – angesichts der aktuellen OECD-Zahlen dränge sich der Eindruck auf, dass nicht alle Eingriffe „medizinisch gerechtfertigt“ seien. „Es fällt einem schwer zu glauben“, sagte Pearson, „dass deutsche Ärzte durch ökonomische Anreize dazu verleitet werden könnten, ihre Patienten öfter und früher zu operieren als anderswo“. Nur etwa ein Drittel des Anstiegs bei Krankenhausleistungen zwischen 2005 und 2010 sei durch die Alterung der Gesellschaft erklärbar, klagt die OECD

So liegt Deutschland sowohl bei den Herz-Kreislauf-Erkrankungen als auch den künstlichen Hüften international an der Spitze, bei den Knieprothesen auf Platz 2. Krebspatienten werden doppelt so häufig stationär behandelt wie in anderen Ländern. Auch die Zahl der Krankenhausbetten ist mit 8,3 Betten pro 1.000 Einwohnern höher als in den anderen Staaten, nur Japan und Südkorea haben mehr Kapazitäten. Der OECD-Durchschnitt liegt bei 4,9 Betten.

Klinik-Budgets sollen besser kontrolliert werden

Daniel Bahr kündigte an, das Budget der Krankenhäuser für Operationen langfristig strenger zu kontrollieren. Kliniken, die gute Arbeit leisten, sollen weiterhin mehr operieren dürfen. „Aber es darf nicht gelten, dass alle Krankenhäuser in Deutschland immer mehr machen. Das kostet den Beitragszahler viel Geld“, sagte der FDP-Politiker. Das Problem sei jedoch nicht von heute auf morgen zu lösen, „weil wir auch weiterhin wollen, dass wir keine Wartezeiten und Wartelistenmedizin in Deutschland bekommen“.

Langfristig könnte dies darauf hinauslaufen, dass die Krankenkassen mehr Spielraum für Verhandlungen mit einzelnen Kliniken bekommen – und die Evaluation von Qualitätskriterien ausgebaut wird. Etwa könnte die Zufriedenheit der Patienten und die Zahl der gelungenen Operationen bei der Budgetierung der Krankenhäuser berücksichtigt werden. Die Verantwortung für eine angemessene Versorgung mit Krankenhausbetten und -leistungen liegt allerdings bei den Bundesländern, die in die Planungen mit einbezogen werden müssen.

Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) kritisiert OECD-Studie

Empört reagierte Georg Baum, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), auf die Vorwürfe. Er wolle das Argument nicht gelten lassen, in Deutschland werde aus Profitgier zu viel operiert. „Niemand muss Sorge haben, dass er aus ökonomischen Gründen einen schweren Eingriff zu erleiden hat“, zitiert das Handelsblatt den Gesundheitsexperten. Es gebe zwar schwarze Schafe, aber dies seien Einzelfälle. Vielmehr würden die Zahlen zeigen, dass in Deutschland ein hohes Versorgungs- und Leistungsniveau der Krankenhäuser bestehe, mit „unbeschränkten und flächendeckenden Zugang für die Patienten zu Qualitätsmedizin“.

Kritisch äußerte sich der Interessenverband der deutschen Krankenhäuser hingegen zu der OECD-Studie. Bei der Ermittlung der statistischen Werte seien Daten aus allen 34 OECD-Staaten eingeflossen. Darunter seien auch osteuropäische Staaten und Schwellenländer wie Mexiko, „die in Bezug auf die stationäre Versorgungsdichte sicherlich noch Nachholbedarf haben, so dass der auch von diesen Ländern beeinflusste Durchschnittswert kritisch zu hinterfragen ist.“ Gemessen am Bruttosozialprodukt liege der Anteil der Krankenhausausgaben in Deutschland sogar nur im internationalen Mittelfeld – von einer Überversorgung könne folglich keine Rede sein.