Eine andere Ökonomie ist möglich

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Wie könnten nun mögliche Wege aussehen, aus dem Glauben an fragile Systeme heraus- und in lebendige Beziehungsnetze wieder hinein zu kommen? Die Arbeitsteilung, wie wir sie von unpersönlichen Märkten kennen, setzt im Grunde die Überwindung von Zeit und Raum voraus. Sie kann nur funktionieren, wenn im großen Stile gehandelt wird - ansonsten würde bald die Nachfrage nicht mehr ausreichen. Diese Überwindung von Zeit und Raum ist aber äußerst ressourcenintensiv: die Äpfel, die wir im Supermarkt kaufen, müssen aus Australien herangekarrt werden, die Lieferketten für viele Waren sind lang und energieintensiv. Wir könnten also fragen, ob es nicht eine Nummer kleiner geht. Beispiele solchen lokalen Handelns gibt es schon heute. Die mancherorts bereits eingeführten regionalen Komplementärwährungen können diese Prozesse durchaus unterstützen, da sie die Wertschöpfungskette verkürzen.

Ein Anfang wäre zudem, das Gewinnstreben in bestimmten Bereichen zu verbieten: Krankenhäuser, öffentlicher Verkehr und Bildung sollten nicht kommerzialisiert werden dürfen. Es ist auch zu fragen, ob es nicht ein staatliches Vorrecht auf Geldschöpfung geben sollte. Und man wird über eine Neudefinition des Arbeitsbegriffs nachdenken müssen. Der Mensch verschwindet immer mehr aus den lebendigen Produktionszusammenhängen, seine Arbeit wird von Automaten übernommen oder in immer mehr Teilaufgaben zerlegt, was zu mangelnder Identifikation mit den Arbeitsprozessen führt. Und ob ein teurer und energiefressender Automat wirklich billiger kommt als eine bezahlte Arbeitskraft, sei einmal dahingestellt.

Was geschieht eigentlich, wenn Arbeit dermaßen abstrakt wird? Was ist ab wann eine Leistung, die bezahlt werden muss (etwa, wenn jemand seine Angehörigen pflegt)? Das sind Fragen, die Modellen wie denen von Leihfirmen und ähnlichen Erfindungen einer neoliberalen Ökonomie, die Lohnkosten von Arbeitnehmern weiter zu drücken, gegenüberstehen. Was die Schulden angeht, so schaue man nach Island. Dort hat es das Volk per Volksentscheid abgelehnt, die Schulden der Banken zu begleichen. Graeber schlägt in seinem Buch einen Weg vor, der uns auf den ersten Blick befremdlich vorkommen mag: "Ein genereller Schuldenerlass wäre nicht nur heilsam, weil er menschliches Leid lindern könnte. Er riefe uns auch in Erinnerung, dass Geld nichts Geheimnisvoll-Unvergleichliches ist und dass das Begleichen von Schulden nicht das Wesen der Sittlichkeit ausmacht."

Volker Sielaff


Volker Sielaff, Lyriker, Kritiker, Kolumnist und Literaturveranstalter, lebt in Dresden. Zuletzt erschien von ihm der Gedichtband "Selbstporträt mit Zwerg", Verlag luxbooks Wiesbaden 2011.
(Der vorliegende Text erschien zuerst in: Sächsische Zeitung v. 12. März 2013)