Die Bundesregierung startet den nächsten großen Anlauf zur Reform der privaten Altersvorsorge. Die Reaktionen der Branche fallen deutlich, aber differenziert aus. Der Versicherer-Verband GDV sowie die Vermittlerverbände AfW, BVK und VOTUM begrüßen den Schritt grundsätzlich, warnen jedoch vor handfesten Risiken und offenen Baustellen.
Das Bundesfinanzministerium hat seinen Referentenentwurf zur Reform der geförderten privaten Altersvorsorge vorgelegt und damit faktisch der Neustart der Riester-Rente. Im Zentrum steht das neue kapitalmarktnahe Altersvorsorgedepot, ergänzt um flexiblere Zulagen, neue Auszahlungsoptionen und ein standardisiertes Depotmodell. Die Reaktionen der Branche reichen von verhaltenem Jubel bis deutlicher Warnung.
GDV: Ja zur Reform – aber Vorsicht bei Langlebigkeit und Standarddepot
Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) begrüßt, dass nach Jahren des Stillstands endlich ein konkretes Konzept auf dem Tisch liegt. Der Entwurf setze „an den richtigen Stellen an“ und biete eine Basis für eine moderne, renditestärkere Vorsorge. Ziel sei, den Zugang zu verständlichen und kapitalmarktnahen Produkten zu erleichtern.
GDV-Hauptgeschäftsführer Jörg Asmussen bringt die Hoffnung der Versicherer auf den Punkt: „Das ist die Chance auf eine neue Zusatzrente, die einfach verständlich ist, den Menschen Sicherheit gibt und am Kapitalmarkt wächst“. Gleichzeitig mahnt er unmissverständlich, dass diese neue Sicherheit nicht bei 85 enden dürfe: „Entscheidend ist, dass sie bis zum Lebensende trägt – sonst drohen Versorgungslücken und wachsende Belastungen für die sozialen Sicherungssysteme.“
Der Entwurf erlaubt künftig neben der klassischen lebenslangen Rente auch zeitlich befristete Auszahlungspläne, die mindestens bis zum 85. Lebensjahr laufen. Das erhöht die Flexibilität und eröffnet in der Theorie höhere Renditechancen, weil nicht mehr jeder Euro zu 100 Prozent garantiert werden muss und mehr Kapital chancenorientiert investiert werden kann.
Genau hier sieht der Versichererverband die Schattenseite der neuen Freiheit: Langlebigkeitsrisiken im sehr hohen Alter. Wenn Zahlungen mit 85 enden, könnten viele Menschen mit 90 oder 95 Jahren ohne geförderte Zusatzrente dastehen. Entsprechend klar fällt das Fazit des Verbandes aus: „Aus Sicht des GDV darf staatlich geförderte Altersvorsorge niemanden im hohen Alter ungeschützt lassen. Altersvorsorge muss bis zum Ende des Lebens tragen.“
Kritisch bewertet der GDV zudem das geplante Standarddepot ohne Garantien. Für breite Bevölkerungsschichten sei eine „verlässliche Mindestabsicherung“ zentrale Voraussetzung, um Vertrauen zu fassen. Ein rein chancenorientiertes Produkt könne diesem Sicherheitsbedürfnis nur begrenzt gerecht werden.
AfW: Standarddepot und Kostendeckel gefährden Beratung
Deutlich enthusiastischer fällt die erste Bewertung des AfW Bundesverband Finanzdienstleistung aus. Der Verband sieht im Entwurf einen echten Modernisierungsschritt. Mit dem neuen Altersvorsorgedepot, der flexibilisierten Zulagenförderung und dem Abbau bürokratischer Hürden würden gleich mehrere langjährige Forderungen der unabhängigen Vermittlerschaft aufgegriffen.
„Das Altersvorsorgedepot bietet erstmals die Chance, kapitalmarktbasierte Vorsorge breit zugänglich zu machen und echte Renditepotenziale zu erschließen. Das ist ein richtiger und lange überfälliger Schritt“, so Norman Wirth, Geschäftsführender Vorstand des AfW. Kapitalmarktbasierte Vorsorge mit ETFs, Fonds und Anleihen, steuerfreie Erträge in der Ansparphase, beitragsproportionale Förderung, Kinder- und Startzulage, flexible Auszahlungsmodelle bis 85 oder in Form einer lebenslangen Rente, sind aus Sicht des AfW wichtige Bausteine, um die Attraktivität privater Vorsorge zu erhöhen.
Auch Frank Rottenbacher, Vorstand des AfW, betont die positive Grundrichtung: „Die Reform greift viele Empfehlungen auf, die seit Jahren aus Wissenschaft, Praxis und Verbänden kommen. Sie eröffnet Millionen Menschen neue Wege zur privaten Altersvorsorge“.
Doch hinter dem Lob folgt eine lange Liste von Nachbesserungswünschen. Besonders kritisch sieht der AfW die Idee, das Standarddepot ohne Beratung abschließen zu können und zugleich einen Effektivkosten-Deckel von 1,5 Prozent einzuziehen. „Gute Beratung ist kein Kostenfaktor, sondern ein Schutzfaktor. Wer Altersvorsorge allein über den Preis definiert, blendet aus, dass Verbraucherinnen und Verbraucher eine individuelle Orientierung benötigen. Der Gesetzgeber muss 'Value for Advice' anerkennen und darf unabhängige Beratung nicht strukturell benachteiligen“, warnt Wirth.
Nach Ansicht des AfW führt der Kostendeckel faktisch zu einem Vergütungsdeckel, der unabhängige Vermittlerinnen und Vermittler besonders hart trifft. Wenn Beratung wirtschaftlich nicht mehr darstellbar sei, finde sie schlicht nicht mehr statt und das werde Folgen für Beratungsqualität, Produktauswahl und Vorsorgequote haben.
Überdies bleibe die Förderung weiterhin auf pflichtversicherte Personen der gesetzlichen Rentenversicherung beschränkt. „Gerade für Selbstständige ist eine kapitalmarktbasierte Vorsorge geeignet. Dass sie weiterhin ausgeschlossen bleiben, ist weder sachgerecht noch mit den Zielen der Reform vereinbar“, so Rottenbacher. „Der Fehler bei der Aktivrente darf hier nicht wiederholt werden!“
Starkes Unverständnis zeigt der AfW außerdem darüber, dass biometrische Absicherungen wie etwa eine Beitragsbefreiung bei Berufsunfähigkeit weitgehend ausgeschlossen werden sollen. Für langfristige Vorsorgeverträge sei das ein „deutlicher Rückschritt“. Wirth bringt das Risiko klar auf den Punkt: „Ein Verbot solcher Zusatzabsicherungen mindert die Attraktivität der geförderten Vorsorge und steht nicht im Einklang mit den tatsächlichen Bedürfnissen vieler Verbraucherinnen und Verbraucher. Die Reform muss lebensrealistische Schutzmechanismen zulassen und darf keine Versorgungslücken erzeugen.“
BVK: Beratung „auf Diät“ schlecht
Der Bundesverband Deutscher Versicherungskaufleute (BVK) begrüßt grundsätzlich, dass überhaupt Bewegung in die seit Jahren stockende Reform kommt. Die neue, beitragsproportionale Förderung bewertet der Verband zunächst positiv. So sollen Vorsorgesparer 30 Cent staatliche Förderung pro Euro Eigenbeitrag bis 1.200 Euro erhalten und für den Beitragsteil zwischen 1.201 und 1.800 Euro jährlich weitere 20 Cent. Inklusive Kinderzulagen sind damit erhebliche Förderquoten möglich. „Auf den ersten Blick kann sich die staatliche Förderung sehen lassen, die immerhin ohne die Kinderzulagen bis zu 27 Prozent betragen kann“, sagt BVK-Präsident Michael H. Heinz.
Doch der BVK blickt mit deutlich gemischten Gefühlen auf die starke Betonung kapitalmarktnaher ETF-Lösungen und die möglichen Auszahlungsmodelle. „Kritisch sehen wir aber, dass der Gesetzgeber kapitalmarktorientierte ETFs präferiert, wo doch gerade die Versicherungswirtschaft das Langlebigkeitsrisiko absichert. Dass bei einem Ende der Auszahlungen bereits mit 85 Jahren ein wachsender Teil der Bevölkerung im sehr hohen Alter ohne Einkommen aus der geförderten Altersvorsorge verbleibt, ist daher wenig zielführend“, warnt Heinz.
Auch der BVK stört sich an der Einführung eines Standardprodukts mit Kostendeckel von 1,5 Prozent und der vorgesehenen Verteilung der Abschlusskosten über die gesamte Vertragslaufzeit. „Auch sollen die Abschlusskosten auf die gesamte Vertragszeit verteilt werden“, so BVK-Präsident Heinz, „obwohl wir den größten Aufwand beim Vertragsabschluss haben. Das würde also dazu führen, dass wir für unsere Beratungsleistungen erst nach Dekaden vergütet werden.“
Besonders kritisch bewerten die Versicherungskaufleute die Vorstellung, dass Verbraucher im Standarddepot Anlageentscheidungen ohne qualifizierte Beratung treffen sollen. Altersvorsorge sei komplex und erfordere eine „fundierte, unabhängige Beratung durch qualifizierte Vermittler“. Nur so könnten Chancen und Risiken angemessen abgewogen werden. Diese Leistung müsse ohne staatliche Eingriffe angemessen vergütet werden.
VOTUM: Reform inhaltlich überfällig
Der VOTUM Verband geht noch einen Schritt weiter und kritisiert vor allem das politische Vorgehen und die Verteilungswirkungen des Entwurfs. Zwar erkennt auch Vermittlerverband an, dass der Entwurf auf der Grundlage des bereits bekannten Altersvorsorgedepots „eine lange erwartete Modernisierung“ einleitet. Doch der Weg dahin sorge für massives Misstrauen.
„Der zeitliche Zusammenhang zwischen der Veröffentlichung des Gesetzentwurfs und der unmittelbar zuvor abgeschlossenen Abstimmung zum Rentenpaket des BMAS lässt kaum Zweifel daran, dass hier parteipolitisches Kalkül vor dem Staatswohl stand. Brisant ist dabei, dass der nun vorgelegte Entwurf im Kern längst im Bundesfinanzministerium erarbeitet war und nur geringfügige Neuerungen enthält“, kritisiert Martin Klein, geschäftsführender Vorstand des VOTUM Verbands. Er erinnert daran, dass die Reform seit über einem Jahrzehnt erwartet werde: „Ein Gesetzgebungsverfahren von solcher Tragweite, dessen Weiterentwicklung seit über einem Jahrzehnt erwartet wird, verdient eine ernsthafte fachliche Diskussion“.
Besonders scharf greift VOTUM die aus Verbandssicht „spürbare Schlechterstellung“ von Eltern mit geringem Einkommen an. Anhand konkreter Rechenbeispiele zeigt der Verband, dass der neue Fördermechanismus bestimmte Gruppen deutlich schlechter stellt als das bisherige Riester-System.
So muss derzeit eine Mutter mit zwei nach 2008 geborenen Kindern und einem Bruttoeinkommen von 30.000 Euro jährliche Eigenbeiträge in Höhe von 425 Euro zahlen, um die maximale staatliche Förderung in Höhe von 775 Euro, bestehend aus einer Grundzulage in Höhe von 175 Euro und Kinderzulagen von 600 Euro zu erhalten.
Die gleiche Mutter, die nunmehr weiterhin 425 Euro jährlich in das neue Altersvorsorgedepot einzahlt, erhält nur noch eine Gesamtförderung in Höhe von 340 Euro zusammengesetzt aus. Das ist im Ergebnis keine Besser-, sondern eine Schlechterstellung um 435 Euro pro Jahr und damit weniger als 50 Prozent der jetzigen Förderung.
Noch deutlicher werde die Schlechterstellung, wenn man Grenzfälle vergleicht. Eine Mutter von zwei Kindern ohne eigenes Einkommen erhält bisher bei einer Eigenleistung von 60 Euro im Jahr, eine Förderleistung von 775 Euro im Jahr. Im neuen Gesetzesentwurf erhöht sich die Mindesteigenleistung auf 10 Euro pro Monat, entsprechend 120 Euro im Jahr. Hieraus entstehen jedoch lediglich 96 Euro Förderung. Das wäre eine Reduzierung um nahezu 80 Prozent.
Wie AfW und BVK kritisiert auch VOTUM die geplante Verteilung von Abschluss- und Vertriebskosten über die gesamte Vertragslaufzeit. Der höchste Beratungsaufwand entstehe eindeutig zu Beginn. Eine lineare Verteilung über Jahrzehnte entwerte die Refinanzierung qualifizierter Beratung und setze Vermittler wirtschaftlich unter Druck.
Zusätzliche Bedenken äußert VOTUM gegen den Ausschluss sinnvoller Ergänzungen wie der Beitragsfreistellung im Fall der Berufsunfähigkeit. Aus Sicht des Verbands sind solche Zusatzbausteine wesentlicher Bestandteil verantwortungsvoller Altersvorsorge. Das Gegenargument, man könne so Beratung überflüssig machen, überzeuge nicht: „Das Argument, durch den Verzicht auf solche Merkmale Beratung entbehrlich zu machen, überzeugt nach Einschätzung des VOTUM Verbands nicht.“ Gerade bei langfristigen Vorsorgeentscheidungen sei qualifizierte Beratung der Schlüssel dafür, dass Menschen überhaupt aktiv würden.