„Die Zukunft liegt in hybriden Geschäftsmodellen“: Wie Finanzdienstleister Innovation durch Kooperationen erreichen

Quelle: KPMG AG

Das Internet hat sich zu einem Wunderland für IT-Dienstleistungen und -Produkte entwickelt. Innovative FinTechs, vor allem aus den USA, beherrschen mit webbasierten Services den Markt. Vor dem Hintergrund einer anhaltend angespannten Weltwirtschaftslage, geopolitischer Konflikte und des wachsenden Konkurrenzdrucks suchen Banken und Versicherungen neues Wertschöpfungspotenzial. Knut Besold, Partner im Bereich Financial Services bei KPMG, plädiert für echte Produktinnovation jenseits von bloßem Cross- und Up-Selling.

Herr Besold, Ihre zentrale Botschaft lautet: innovative Produkte statt Embedded Finance. Wie meinen Sie das im Detail?

Knut Besold: Früher haben Sie im Briefkasten Ihres Ferienhauses zum Beispiel den Flyer einer Mietwagenversicherung gefunden. Heute wird bei der Flugbuchung direkt eine Reiserücktrittsversicherung angeboten. Ein Klassiker ist auch der Auslandskrankenschutz auf dem Urlaubsportal. Embedded Finance klingt sehr modern – doch an sich ist das Konzept nicht neu.

Ist es deswegen schlecht?

Nein. Aber es ist nicht genug. Klassische Banken, Versicherungen, und zum Beispiel auch Asset Manager stehen unter enormem Konkurrenzdruck: Die Menschen traden und investieren über Digitalplattformen in ETFs – zu einem Bruchteil der Kosten eines klassischen Vermögensverwalters. Online-Zahlungsdienstleister erobern immer mehr Geschäftsanteile von klassischen Kreditkartenanbietern, E-Mail-Adresse und Passwort genügen. Wenn die Branche hier konkurrenzfähig bleiben, beziehungsweise wieder werden möchte, reichen mehr Touchpoints allein nicht aus.

Sondern?

Es kann mit Sicherheit nicht schaden, zusätzliche Vertriebskanäle zu bespielen. Doch ich plädiere für neue, innovative Finanzprodukte auf Kooperationsbasis mit anderen Unternehmen. Diese sollten den Bedürfnissen der Menschen in unserer modernen, vernetzten Welt der Mobilität gerecht werden. Und deren Potenziale nutzen.

Was wäre ein Beispiel dafür?

Etwa eine universelle Mobilitätsversicherung auf der Basis von Online-Bewegungsprofilen. Egal ob Mietwagen, Leasingauto, Sharing-Fahrzeug, Flugreise, Bahnfahrt, E-Scooter oder City-Bike – der Versicherungsnehmer erhält über eine App immer das passende Angebot zu dem Transportmittel, das er gerade nutzt. Oder denken wir an den zuvor zitierten Asset Manager: Dieser könnte zusammen mit einer Krankenversicherung ein neues Geschäftsmodell entwickeln und zum Beispiel monatliche Bonuszahlungen einer Privatkasse automatisch in einen Aktienfonds investieren. Das Gleiche wäre mit Bonuspunkten für gesundheitsbewusstes Verhalten möglich.

Sehen Sie weiteres Innovationspotential?

Der Fantasie scheinen kaum Grenzen gesetzt: Die Versicherung des Festivaltickets gegen schlechtes Wetter in Kombination mit der Reisebuchung ist ebenso denkbar wie eine parametrische Verspätungsversicherung für Flug- und Bahnreisen – die Auszahlung kann so direkt beim Ausstieg am Ziel erfolgen. Erste Anbieter sind zudem mit einer Schlechtwetterversicherung für Urlaubsreisen auf dem Markt – ab einer bestimmten Anzahl von Regentagen, die über dem Durchschnitt liegt, erhalten Kunden eine Entschädigung. Solche Modelle müssen statistisch natürlich Hand und Fuß haben.

Schwebt Ihnen noch mehr vor?

Die Liste ließe sich beinahe beliebig fortsetzen. Ein wichtiger Markt besteht aus meiner Sicht auch in All-Inclusive-Paketen. Also überall dort, wo punktuelle Kosten in einem bestimmten Zeitraum sehr wahrscheinlich sind. Der Besitzer eines Autos oder eines hochpreisigen Fahrrads bekommt dann auch Inspektions- und Instandhaltungskosten erstattet. Nicht nur – wie heute üblich – wenn es zu einem Unfall kommt. Das Prinzip: Ich bezahle lieber eine monatliche Pauschale anstatt mehrere tausend Euro auf einmal.

Ist das auch für Leasingverträge denkbar?

Natürlich! Übersteigt die Dauer eines Leasingvertrags etwa die der Herstellergarantie, kommen Kunden in der Regel selbst für die Werkstattkosten eines Pkw oder eines E-Bikes auf. Durch das Angebot einer monatlichen Pauschale könnten vom Anbieter – in Partnerschaft mit Versicherungen, aber auch Banken – die Abdeckung solcher Kosten angeboten werden. Vom platten Reifen über den Akkutausch bis zur Reparatur des Motorschadens.

Die Kooperation von Finanzdienstleistern und großen, lizenzierten Händlern könnte auch Leasingverhältnisse und Besitzer von Gebrauchtwagen gegen solche laufenden Kosten absichern, inklusive eines automatischen Upgrade-Angebots im konkreten Schadensfall: Bei einem schon entstandenen Schaden würden die Reparaturkosten, die jetzt noch nicht inbegriffen sind, dann übernommen werden, wenn der Kunde für einen bestimmten Zeitraum auf eine Plus-Mitgliedschaft upgradet.

Das sind sehr kreative Ideen. Doch eine Frage bleibt: Woher wissen Finanzdienstleister, ob für solche Produkte und Dienstleistungen ein Markt existiert? Wie versichern sie sich einer ausreichend großen Nachfrage?

Hier kommt die moderne, online-basierte Marktforschung ins Spiel: Die Anzahl der Meinungsforschungsinstitute steigt, Online-Panels gewinnen an Bedeutung und durch den Konkurrenzdruck sinken die Preise. Marktforschung wird dadurch kostengünstiger, leichter zugänglich und lässt sich vor allem in Online-Angebote integrieren. Da Finanzdienstleister durch ihre eigenen Webangebote und durch bereits vorhandene Embedded-Kooperationen mit reichweitenstarken Plattformen große Onlinepräsenz haben, wäre die Integration der Marktforschung in diese Kanäle der nächste logische Schritt. So könnte beim Abschluss einer Reiserücktrittsversicherung für einen Urlaub in Ägypten ein Umfragesticker aufpoppen, der das Interesse des Users an einem Auslandskrankenschutz in einem Nicht-EU-Land klassifiziert.

Natürlich sollten die Unternehmen selbst sicherstellen, dass ihre Produkte Marktreife besitzen. Aus meiner Sicht war die Gelegenheit für eine solche Innovationsoffensive aber nie günstiger als im heutigen Onlinezeitalter. Die Voraussetzungen für erfolgreiche hybride, webbasierte Geschäftsmodelle sind aber Kooperationsbereitschaft und Out-of-the-Box-Denken.