Warum Value Investing trotz Big-Tech-Boom attraktiv bleibt

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Tech-Giganten eilen von Rekord zu Rekord, befeuert durch KI-Hype und Wachstumsfantasien. Doch während Big Tech die Schlagzeilen dominiert, erlebt ein altbewährter Ansatz eine Renaissance im Stillen: Value Investing. Gerade in Zeiten überspannter Bewertungen zeigt sich, dass Substanz und faire Preise langfristig zählen. Studien und Marktdaten untermauern, warum unterbewertete Qualitätsaktien auch im aktuellen Umfeld einen strategischen Vorteil bieten, betont Harald Sporleder, Chief Investment Officer der Value-Boutique Lingohr Asset Management.

Börsenlieblinge wie Apple, Microsoft & Co. haben in den letzten Jahren die Marktrallye angeführt – getrieben von Innovationen und Liquiditätsflut. Eine Handvoll Tech-Konzerne („Magnificent Seven“) stellt inzwischen einen Großteil der Indexgewinne, was zu extremer Konzentration geführt hat. So machten Wachstumsaktien Ende 2024 rund 37 Prozent des S&P 500 aus, deutlich mehr als ihr historischer Schnitt von 24 Prozent. Viele Portfolios sind dadurch unbewusst stark auf wenige Tech-Titel fokussiert und unterdiversifiziert – ein riskantes Klumpenrisiko. Gleichzeitig hat sich das makroökonomische Umfeld gedreht: Steigende Inflation und Zinsen begünstigen typischerweise Substanzwerte gegenüber Wachstumsaktien. Vor diesem Hintergrund erscheint der Blick zurück auf fundamental unterbewertete Unternehmen durchaus rational. Der Value-Ansatz – Aktien nicht wegen heißer Zukunftsversprechen zu kaufen, sondern wegen solider Gegenwartswerte – bietet in einem von Tech-Euphorie geprägten Markt eine wohltuende Gegenperspektive. Erste Anzeichen einer Marktbreiten-Rückkehr waren bereits 2024 sichtbar, als neben Tech auch andere Sektoren aufholten. Die Frage drängt sich auf: Steht eine Rotation von Wachstum zurück zu Wert bevor?

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Bewertungsabschläge bieten Chancen

Tatsache ist: Value-Aktien sind derzeit im historischen Vergleich günstig bewertet. Während die Kurse vieler Tech-Größen von Optimismus getrieben sind, haben klassische Substanzwerte einen Bewertungsrückstand aufgebaut. Der Vermögensverwalter GMO konstatiert, dass Value-Titel global rund 50 Prozent gegenüber Growth aufholen müssten, um lediglich wieder ihre mittleren relativen Bewertungen zu erreichen. Mit anderen Worten: Value-Aktien handeln derzeit mit ungewöhnlich hohem Abschlag gegenüber ihren Wachstums-Pendants – eine Diskrepanz, die auf längere Sicht Aufholpotenzial bedeutet. GMO betont, dass Value über diverse Kennziffern hinweg auf einem abnorm hohen Bewertungsabschlag notiert und weiterhin erhebliches Aufwärtspotenzial bietet.

Auch Research Affiliates meldet extreme Spreads: Die günstigsten Value-Aktien am US-Markt notieren aktuell etwa 70 Prozent unter dem Marktdurchschnitt, während die teuersten Growth-Stars mit 570 Prozent über dem Schnitt gehandelt werden – ein Bewertungsgefälle, das weit über dem historischen Normalmaß liegt. Historisch betrug der Abschlag der günstigsten Aktien im Schnitt 60 Prozent, das Aufgeld der teuersten 300 Prozent – die derzeitigen Abweichungen sind also erheblich. Auch die Fair-Value-Analysen von Morningstar zeichnen ein ähnliches Bild: Anfang 2025 wurden Value-Titel im Schnitt mit acht Prozent Abschlag auf ihren errechneten fairen Wert gehandelt, während Growth-Aktien etwa 24 Prozent überbewertet waren. Solch extreme Divergenzen waren in den letzten 15 Jahren rar und wurden zuletzt Anfang 2021 – kurz vor dem Platzen der Tech-Blase – erreicht. Kurz gesagt: Value-Investoren kaufen derzeit „für 0,80 Euro einen Euro“, während Growth-Investoren oft einen Euro für deutlich mehr als einen Euro erwerben. Dieses Value-Rabattangebot schafft die Basis für überdurchschnittliche zukünftige Renditen, sobald sich die Stimmung normalisiert und Bewertungen zur Mitte zurückkehren.

Resilienz statt Nervosität: Value in turbulenten Zeiten

Neben der Bewertungsseite punktet Value Investing mit Robustheit. Substanzaktien stammen häufig aus etablierten Branchen – etwa Finanzen, Konsumgüter, Industrie oder Energie – mit beständigen Gewinnen und Dividenden. Diese Eigenschaften wirken wie ein Stoßdämpfer in volatilen Marktphasen. Beispiel 2022: Als steigende Zinsen und Rezessionsängste die hoch bewerteten Tech-Werte hart trafen, stürzte der S&P 500 Growth Index um ca. 30,1 Prozent ab. Gleichzeitig verbuchte der S&P 500 Value Index nur einen moderaten Rückgang von rund 7,4 Prozent, getragen von dividendenstarken Sektoren mit soliden Erträgen. Anleger flüchteten in Energie-, Versorger- und Finanzwerte – klassische Value-Segmente –, die dank hoher Cashflows und realer Vermögenswerte deutlich weniger einbrachen. Die Zahlen belegen: Value-Titel können in Abschwüngen als Anker der Stabilität dienen, während zuvor gefeierte Wachstumstitel abrupt an Glanz verlieren.

Dieses Muster zeigt sich immer wieder. Langfristige Auswertungen verdeutlichen, dass Value-Aktien in Bärenmärkten und Rezessionen tendenziell besser abschneiden, während Growth-Titel vor allem in Boomphasen glänzen. Ein Grund ist das unterschiedliche Risikoprofil: Unternehmen mit niedriger Bewertung verfügen meist über bewährte Geschäftsmodelle, konservative Bilanzen und Ausschüttungen, was die Kursschwankungen begrenzt. Growth-Firmen dagegen, die auf zukünftige Gewinne handeln, unterliegen höheren Erwartungen und oft größerer Volatilität. So gelten Value-Werte als relativ stabile, weniger schwankungsanfällige Aktien, während Wachstumswerte ein überdurchschnittliches Risiko und Kurspotenzial mitbringen.

Gerade für risikoaverse Investoren ist dieser Stabilitätsaspekt wichtig. Zudem liefern Value-Titel häufig Dividenden – ein nicht zu unterschätzender Beitrag zur Gesamtrendite. Über Jahre und Jahrzehnte machen wiederangelegte Dividenden einen großen Teil der Aktienerträge aus und haben historisch wesentlich dazu beigetragen, dass Value-Strategien im langen Lauf besser abschnitten. Kurzfristig mag Momentum die Kurse treiben; langfristig zählen robuste Erträge und substanzielles Gewinnwachstum – hier haben Value-Unternehmen tendenziell die Nase vorn.