Die Wirtschaftsweise Monika Schnitzer drängt auf eine Rentenreform. Sonst sei die Rente „eigentlich nicht“ sicher. Ihr Rezept: länger arbeiten, Anhebungen dämpfen, zusätzlich kapitalgedeckt sparen und Zuwanderung gezielt steuern. Beispiele aus Schweden, Österreich, Japan und Israel zeigen, wie eine Rentenreform gehen kann.
Im Jahre 1986 hatte die CDU eine der bis dato spektakulärsten Plakataktionen gestartet. Höchstpersönlich hatte der damalige Bundesarbeits- und Sozialminister Norbert Blüm (CDU) vor versammelter Presselandschaft ein Plakat an einer Litfasssäule angebracht. Darauf stand in großen schwarzen Lettern geschrieben: „Denn eines ist sicher: Die Rente!“
Der Slogan von der sicheren Rente prankte auf über 15.000 Plakaten. Er war auf Litfasssäulen zu sehen, in den Wartehäuschen von Bushaltestellen und auf Häuserwänden. Noch immer ist es jener Satz, mit dem man den kleinen quirligen Ex-Minister am häufigsten in Verbindung bringt. Und der ihm viel Spott einbrachte, denn so sicher scheint die Rente nicht zu sein. Schlagzeilen von der drohenden Altersarmut bestimmen bundesweit die Schlagzeilen seit Jahren.
Seit Jahren trommeln auch Wirtschaftsforscher, Rentenexperten und insbesondere die Wirtschaftsweisen für eine Reform der Rente. In einem aktuellen ZEIT-Interview hat Monika Schnitzer, Leiterin des Sachverständigenrates für Wirtschaft, erneut das Thema aufgegriffen.
„Eigentlich nicht – wenn wir so weitermachen wie bisher. Wir brauchen eine Reform.“ Der Befund: Immer mehr Rentenjahre treffen auf zu wenige Beitragszahler. Heute finanzieren drei Erwerbstätige einen Rentner, in 10 bis 15 Jahren könnten es nur noch zwei sein. Das Umlageversprechen bleibt nur stabil, wenn mehrere Stellschrauben zugleich gedreht werden.
Schnitzer erinnert daran, dass Reformen in der Vergangenheit gewirkt haben: Rente mit 67, sinkende Arbeitslosigkeit, Nettozuwanderung. Aber darauf könne man sich nicht ausruhen. „Wir leben länger. Das ist eine tolle Sache. Aber es heißt auch, dass wir im Schnitt acht Jahre länger in Rente sind als noch vor 40 Jahren.“ Der demografische Zeitpuffer ist aufgezehrt.
Vier zentrale Bausteine ihrer Reformagenda
- Lebensarbeitszeit an die Lebenserwartung koppeln: Im Sachverständigenrat schlägt Schnitzer vor, pro zusätzlichem Lebensjahr acht Monate länger zu arbeiten und vier Monate mehr Rentenanspruch zu bekommen. Alle zehn Jahre würde die Lebensarbeitszeit so um ein halbes Jahr erhöht werden. „Erst im Jahr 2091 hätten wir die Rente mit 70. Die Menschen, die das erleben werden, die sind gerade erst im Kindergarten", so Schnitzer.
- Anstieg der Renten dämpfen und nicht kürzen: Heute orientiert sich die Anpassung fast vollständig an der Lohnentwicklung. Schnitzer plädiert für mehr Inflationsorientierung oder einen Mischindex, damit Renten real gesichert, aber weniger dynamisch steigen. „Es geht nicht darum, zu kürzen. Es geht nur darum, den Anstieg zu begrenzen.“ Das entlaste Beiträge und den Bundeshaushalt.
- Kapitalgedeckte Zusatzsäule einführen: Parallel zum Umlageanteil sollten alle Arbeitnehmer zusätzlich 3–4 Prozent ihres Einkommens in breit gestreute Fonds sparen.
- Frühverrentung weniger attraktiv machen: Die „Rente mit 63“ treffe oft nicht die wirklich belasteten Berufsgruppen, so Schnitzer. Bei vorzeitigem Renteneintritt sollten nicht for vollen Rentenbezüge gezahlt werden. Versicherungsmathematisch hält sie doppelt so hohe Abschläge für angemessen.
Begleitend fordert sie eine realistische Migrationspolitik: Arbeitsmarkt-Zuwanderung aus Drittstaaten, schnellere Spracherwerbs- und Einbürgerungspfade – aus Integrations- wie aus Rentengründen. „Die Zuwanderung in den Arbeitsmarkt ist eigentlich der Weg, über den wir wirklich reden müssen“
Internationale Beispiele: Was sich übertragen lässt – und was nicht
Schweden: Die staatliche Rente wurde schon vor rund 20 Jahren um ein obligatorisches, kapitalgedecktes Konto ergänzt; die Renditen lagen laut Schnitzer „bei etwa acht, neun Prozent“. Kernelemente: klarer Standardfonds, Wettbewerb, geringe Kosten – ohne starre Nominalgarantien. Für Deutschland heißt das: eine schlichte, kostengünstige Default-Lösung statt komplexer Produktregulierung.
Israel („Frühstartrente“/Kinderstartgeld): Frühes, automatisches Ansparen führt an Kapitalmärkte heran und baut Finanzbildung auf. Schnitzer: „Unsere Idee war es, auf diese Weise Kindern Finanzwissen beizubringen. In anderen Ländern, Israel zum Beispiel, hat das sehr gut funktioniert“. Übertragbar wäre ein staatlicher Startbeitrag mit einfachen, weltweiten Indexfonds und ohne teure Garantien.
Österreich: Bei Beamten wurde das Pensionssystem umgestellt; für die Stabilität des deutschen Umlagesystems brächte eine Überführung aber wenig. Wichtiger sei der Gleichlauf der Regeln (Eintrittsalter, Dämpfung) über Systeme hinweg. Es wäre „auch sinnvoll, die Beamtenpensionen allmählich umzustellen, also das System zu ändern, damit man das alles parallel fahren kann"
Japan: Sehr alte Gesellschaft, geringe Zuwanderung. Folge: niedrige Renten, längere Erwerbsphasen. „Die einfache Antwort ist: Die Leute arbeiten länger“. Lehre für Deutschland: Lebensarbeitszeit koppeln und gleichzeitig Zuwanderung steuern, um Japans harte Anpassungen zu vermeiden.
Finanzielle Flanken: Bundeszuschuss und Mütterrente
Der Bundeszuschuss liegt laut Schnitzer bei rund 120 Milliarden Euro jährlich. „Das ist ein Viertel des Bundeshaushalts, also sehr viel Geld. Wenn wir so weitermachen wie bisher, dann wird das noch weiter steigen. Etwa auf die Hälfte des Haushalts", so die Ökonomin. Zusätzliche Leistungsausweitungen wie die geplante Erhöhung der Mütterrente bewertet sie kritisch: Denn diese wurde 1992 beschlossen. Mütter sollten drei Rentenpunkte für ein Kind erhalten. Das galt allerdings nur für die Kinder, die nach 1992 geboren wurden. „Das war also durchaus ein Anreizeffekt, um Kinder zu bekommen". Bei der aktuellen Ausdehnung der Mütterrente gibt es derweil keinen „Anreizeffekt". Zudem wird diese auf Sozialleistungen angerechnet. „Wer auf Grundsicherung angewiesen ist, dem wird die Mütterrente von der Grundsicherung abgezogen. Den Ärmsten bringt das also gar nichts", moniert Schnitzer.
Insgesamt klingt Schnitzers Reformlogik bewusst unspektakulär: „Ein bisschen länger arbeiten, den Rentenanstieg ein bisschen begrenzen, ein bisschen selbst sparen.“ Der Mix aus moderater Kapitaldeckung, gedämpfter Dynamik, rationaler Frühverrentungsregeln und gesteuerter Zuwanderung soll das System stabilisieren, ohne Generationen gegeneinander auszuspielen. Politik müsse das erklären und entschlossen umsetzen. „Die Nachwelt wird es einem danken.“