Der Verband der Innungskrankenkassen schlägt wegen der Schieflage der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) Alarm. Mit einem Entlastungspaket von fast 37 Milliarden Euro wollen die IKKn Beitragserhöhungen stoppen. Gleichzeitig wird die Politik zum Handeln aufgefordert. Besonders im Fokus steht eine Sonderabgabe auf Tabak und Alkohol.
Die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) steuert auf ein Rekorddefizit von 46 Milliarden Euro zu. Der Verband der Innungskrankenkassen (IKK) fordert deshalb ein schnelles Umsteuern der Gesundheitspolitik. „Wenn die Regierung in dieser Situation nun allein auf Darlehen setzt, verdreht sie die Realität: Aus Beitragszahlerinnen und Beitragszahlern werden künstlich Schuldner gemacht, obwohl sie in Wahrheit den Staatshaushalt sanieren“, kritisierte IKK-Vorstandsvorsitzender Hans Peter Wollseifer in Berlin.
Der Verband, der die Interessen von sechs Innungskrankenkassen mit 5,1 Millionen Versicherten vertritt, beklagt vor allem die wachsende Zahl versicherungsfremder Leistungen. Gelder der Krankenkassen würden zunehmend zweckentfremdet. Das gelte etwa für die Finanzierung der Ausbildung medizinischen Personals oder staatliche Sozialleistungen. Konkret gemeint ist hier beispielsweise die Versorgung von Bürgergeld-Beziehern. Diese Kosten sollten vollständig und kostendeckend aus Steuermitteln finanziert werden, anstatt Jahr für Jahr eine Lücke von rund zehn Milliarden Euro in die GKV-Haushalte zu reißen. Überdies müsse die Augabenseite genau geprüft werden. Das gilt insbesondere an den Stellen, wo Ausgabensteigerungen „keinen nachweisbaren Mehrwert in der Versorgung bringen", meint Hans-Jürgen Müller, Vorstandsvorsitzender des IKK e.V. und ergänzt, dass es jetzt ein verbindliches Ausgabenmoratorium brauche. Dieses solle so lange gelten, bis die Ergebnisse der eingesetzten Expertenkommission vorliegen und in politische Reformen übersetzt sind.
Milliarden-Einsparpotenzial über konkrete Forderungen
Um Beitragssteigerungen abzufedern, hat der IKK-Verband ein umfassendes Maßnahmenpaket vorgestellt. Das Spar- und Entlastungspotenzial summiere sich auf 36,76 Milliarden Euro. Das entspricht einem rechnerischen Entlastungspotenzial von 1,94 Prozentpunkten beim Zusatzbeitrag.
Die Vorschläge im Einzelnen:
- 10 Milliarden Euro für die vollständige Finanzierung der Gesundheitskosten von Bürgergeldempfängern durch Steuermittel.
- 7,44 Milliarden Euro durch eine Dynamisierung des Bundeszuschusses.
- 9,25 Milliarden Euro durch eine breitere Einnahmenbasis, etwa durch eine Sonderabgabe von 50 Prozent auf Tabak- und Alkoholverkäufe.
Allein im Jahr 2023 nahm der Staat 17 Milliarden Euro durch Alkohol- und Tabaksteuer ein. Gleichzeitig betragen die Folgekosten des Alkoholkonsums laut IKK rund 57 Milliarden Euro, beim Tabakkonsum rund 30 Milliarden Euro. „Es kann nicht sein, dass der Staat an Produkten verdient, die krank machen“, betonte Wollseifer mit Blick auf Tabak- und Alkoholprodukte.
Darüber hinaus fordert der Verband weitere Entlastungen:
- 8 Milliarden Euro durch eine Senkung der Mehrwertsteuer auf Hilfsmittel und Humanarzneimittel,
- 15 Millionen Euro durch Preiskontrolle bei patentgeschützten Arzneimitteln,
- 550 Millionen Euro durch die Wiedereinführung von Ausschreibungen bei Hilfsmitteln,
- 1,1 Milliarden Euro durch erweiterte Prüfrechte bei Krankenhausrechnungen.
Auch das aktuell geltende Zahlungsziel von fünf Tagen für Krankenhausrechnungen soll wieder abgeschafft werden. Ursprünglich eingeführt während der Corona-Pandemie, wurde es inzwischen dauerhaft im Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz verankert.
Umfrage: Unzufriedenheit wächst
Eine begleitende forsa-Umfrage zeigt, dass die Unzufriedenheit in der Bevölkerung steigt. 65 Prozent der Befragten sehen die hohen Beiträge als wachsendes Problem im Gesundheitswesen, 2024 waren es noch 46 Prozent. Als drängendstes Problem nennen 79 Prozent die langen Wartezeiten auf Arzttermine.
Bemerkenswert ist auch die Forderung nach einer klaren Zweckbindung: 82 Prozent der Befragten verlangen, dass die GKV-Gelder ausschließlich für die Versorgung der Versicherten verwendet werden. Im Vergleich zum Vorjahr ist das ein Anstieg um 15 Prozentpunkte.
Die Zufriedenheit mit der Gesundheitspolitik sinkt derweil: Nur noch 28 Prozent der Befragten äußern sich zufrieden, 2024 waren es noch 39 Prozent. Für den Verband ist das ein Alarmsignal: „Wenn die Politik die Problemlage und Erwartungen der Versicherten und Arbeitgeber, die ja auch Wähler sind, weiter ausblendet, werden die Zustimmungswerte zur vielfach beschworenen demokratischen Mitte weiter schrumpfen“, warnte Wollseifer.