Die Märkte geraten ins Wanken, doch viele Anleger setzen weiter auf Stabilität. Sparer sollten grundlegend ein realistischeres Risikoverständnis entwickeln, meint Christopher Pawlik, Sales Executive Deutschland bei Vanguard. Denn: Wer robust investiert, muss auch mit rauer See umgehen können.
In den vergangenen 15 Jahren haben mehrere Faktoren gemeinsam dazu beigetragen, Marktrückgänge abzufedern und das Risikoumfeld zu stabilisieren. Doch dieses Gleichgewicht beginnt zu bröckeln. Fiskalische Spielräume werden enger, zentrale Notenbanken geraten angesichts stagflationärer Tendenzen zunehmend in ein Diese Entwicklungen markieren den Übergang in eine Phase erhöhter Unsicherheit. Umso wichtiger wird es, Risikomanagement neu zu denken – mit realistischer Einschätzung von Extremrisiken, robuster Asset-Allokation und einem langfristigen Blick, der auch schärfere Abschwünge einpreist, analysiert Christopher Pawlik, Sales Executive für Finanzberater in Deutschland und Österreich bei Vanguard in seinem Marktkommentar.
In diesem Jahr kam es an den Märkten bereits zu deutlichen Kursschwankungen, und auch in Zukunft müssen Anlegerinnen und Anleger wohl oder übel mit weiterer Volatilität rechnen. Als die US-Zollankündigungen die Märkte Anfang April ins Wanken brachten, konnten sich diese nach weniger als einem Monat erholen. Eine glückliche Fügung und für Anlegerinnen und Anleger eine wertvolle Gelegenheit, die eigene Risikoeinstellung zu überdenken. Dabei gehört die Einsicht, dass Abschwünge nicht immer so mild sind, zu einer gesunden Risikoeinstellung dazu. Drei einfache Grundsätze für den Umgang mit Risiken können auch in Zeiten hoher Volatilität zu besseren Anlageergebnissen führen.
Grundsatz 1: Unkalkulierbares Risiko mahnt zur Demut
Der verstorbene Finanzhistoriker Peter Bernstein bemerkte einmal, dass bestimmte Risiken von Natur aus unberechenbar sind. Diese Risiken sind in der Regel besonders disruptiv, denn sie können Anlegerinnen und Anleger ohne Vorwarnung treffen. Prominentes Beispiel: die Finanzkrise 2008. Ein wesentlicher Faktor, der erst im Verlauf der Krise immer deutlicher wurde, war das Ausmaß der systemischen Risiken durch Kreditderivate. Das Ausmaß der Kreditrisikokonzentration innerhalb des Systems trat erst dann zutage, als sich die Krise verschärfte und auf ihrem Höhepunkt Unsicherheit und Panik auslöste.
Zurück in die Gegenwart: Der Grund für die aktuellen Reaktion der Märkte auf die Zollankündigungen war nicht der Kurswechsel in der Zollpolitik selbst, sondern der Umfang und das Ausmaß der Maßnahmen sowie das Tempo ihrer Umsetzung. Diese Faktoren waren weitgehend unvorhersehbar und verschärften die Volatilität. Ein weiteres Beispiel, das zeigt, dass wirklich disruptive Risiken oft nicht vorab erkennbar sind. Für eine gesunde Risikoeinstellung kann es hilfreich sein, dieser Wahrheit mit Demut zu begegnen. Wenn Anleger akzeptieren, dass unkalkulierbare Risiken regelmäßig Volatilitätsausschläge auslösen, können sie diesen „Tail“-Risiken flexibel und mit einer gemäßigten Reaktion begegnen, die Auswirkungen unvorhergesehener Ereignisse abmildern und panikartige Entscheidungen verhindern.
Grundsatz 2: Auf eine solide Asset-Allokation kommt es an
Eine ungewisse Zukunft und unbekannte Risiken sprechen für eine robuste Asset-Allokation – eine Lösung, die in vielen Szenarien gute Ergebnisse liefert – und eben nicht in einigen wenigen Szenarien hervorragende Renditen verspricht und in anderen dafür herbe Verluste. Ein robustes Portfolio lässt sich daran erkennen, dass Anlegerinnen und Anleger auch und insbesondere unter extremen Marktbedingungen an ihm festhalten können. Belastbare Kapitalmarktprognosen wie das Vanguard Capital Markets Model (VCMM), die auch Extremereignisse berücksichtigen, tragen ebenfalls entscheidend zu einer soliden Asset-Allokation bei. In der Praxis berücksichtigt ein robuster Portfolioaufbauprozess zahlreiche Renditeszenarien über den gesamten Anlagehorizont und führt zu einer Asset-Allokation, die auf diese Szenarien abgestimmt ist.
Grundsatz 3: Optimistisch bleiben, Abschwünge einkalkulieren
Anlegerinnen und Anleger mit einem ausgewogenen Portfolio müssen Verlustrisiken mit Bedacht steuern. Wer in Zeiten drastischer Kursverluste an seiner Asset-Allokation festhalten will, muss die eigene Schmerzgrenze richtig einschätzen. In dem aktuellen Marktumfeld bedeutet das, mögliche Verluste realistisch einzuschätzen und sich nicht auf übertrieben optimistische Renditeerwartungen zu verlassen.
Verschiedene Kräfte haben in den vergangenen 15 Jahren zusammengewirkt und Kursrückgänge abgefedert. Diese Kräfte könnten sich verändern und ein schwierigeres Risikoumfeld schaffen. So bleibt womöglich weniger Spielraum, um auf zukünftige Konjunkturflauten zu reagieren, wenn Haushaltsdisziplin wieder an Bedeutung gewinnt. Zudem können ungünstige angebotsseitige Entwicklungen und eine mögliche Stagflation Maßnahmen der Zentralbanken zur Eindämmung von Marktvolatilität entgegenwirken. Und eine mögliche Neuordnung des globalen Handelsökosystems hätte erhebliche langfristige Folgen und könnte neue disruptive Kräfte hervorbringen, die unvorhersehbar sind.
Eine umsichtigere Risikoeinstellung bedeutet für Anlegerinnen und Anleger, Verlustphasen einzukalkulieren, die länger und ausgeprägter ausfallen. Denn nicht die perfekte Vorhersage entscheidet über den Anlageerfolg – sondern die Fähigkeit, vorbereitet und besonnen zu bleiben.