Versicherungskammer-Vorständin: „Der Schadenfall ist der Moment der Wahrheit"

Quelle: Konzern Versicherungskammer

Die Versicherungskammer setzt verstärkt auf Digitalisierung und will dabei den persönlichen Kundenkontakt nicht aus den Augen verlieren. Wie Technologie, Kundennähe und Innovation zusammenspielen und welche Rolle hybride Beratung und Kundenfeedback dabei spielen, erklärt Isabella Martorell Naßl, Mitglied des Vorstands im Konzern Versicherungskammer, im Interview.

Versicherungsbote: Sie setzen zunehmend auf digitale Prozesse in der Schadenregulierung. Wie stellen Sie sicher, dass dabei der persönliche Kontakt und die individuelle Betreuung nicht auf der Strecke bleiben?

Isabel Martorell Naßl: Eine hohe Kundenzufriedenheit treibt uns in unserem Handeln an. Mit strategischen Maßnahmen, insbesondere in großen Kundenreisen wie in Schaden und Leistung, wo Servicelevel und Wartezeiten kritische Größen sind, arbeiten wir kontinuierlich an Stabilisierungen und Verbesserungen: durch technologische Weiterentwicklungen etwa im Bereich Robotics und KI-gestütztem Wissensmanagement sowie durch Serviceoptimierungen im Sinne eines Service to Solution, aber auch ganz schlicht durch Zubau von Mitarbeitenden im Servicebereich.

Durch unser konzerneigenes Kundenbarometer holen wir die Stimme der Kunden systematisch ins Unternehmen und reagieren schnell und individuell auf Kundenbedürfnisse. Ein Kunde wird nach seinem Serviceerlebnis in der Regel schriftlich eingeladen, an einer Onlinebefragung teilzunehmen und uns dort seine Eindrücke zu schildern. Sobald die Fragen beantwortet sind, erscheint das Interview in unserer Customer Experience-Plattform und alle Ergebnisse der jeweiligen Geschäftsvorfälle gehen in die verantwortlichen Abteilungen. 80 bis 90 Prozent unserer Kunden willigen ein, dass sie nach ihrem Feedback von uns bzw. vom Vertriebspartner kontaktiert werden dürfen. Diese Rückkopplungsschleife nehmen wir sehr ernst und sehen sie als essenziell für eine langfristige Kundenbindung. Ich empfinde den direkten Kontakt zu unseren Kundinnen und Kunden als sehr wertvoll und möchte ihn als Impulsgeber für kontinuierliche Weiterentwicklung nicht missen.

Für unsere Verbesserungsprozesse im Kundenmanagement setzen wir auf innovative Methoden u.a. in einem konzerneigenen Innovationslabor. Für den Bereich Operations haben wir ein eigenes Improvement Center etabliert, um die Customer Journey an allen Kontaktpunkten kontinuierlich zu optimieren und ein kundenzentriertes Mindset im gesamten Konzern zu stärken.

Als Regionalversicherer ist die persönliche Nähe zu unseren Kunden ein zentraler Wert für uns. Im Schadenfall sind wir als Ansprechpartner nah und über unsere Außenregulierer mit schneller Hilfe beim Kunden vor Ort zur Stelle. Die Außenregulierer – im Gegensatz zu externen Schadengutachtern – begleiten unsere Kunden End-to-End von der Schadensmeldung über die Koordination mit Handwerksbetrieben zur Schadenbehebung bis zur finalen Regulierung. Mit ihrer umfassenden Beratung und Unterstützung schaffen sie so einen echten Mehrwert, denn der Kunde hat eine Ansprechperson, die sich komplett um sein Anliegen kümmert.

An solchen kundennahen Services wird sich auch durch die Digitalisierung und Automatisierung vieler unserer Prozesse in der Schadenregulierung nichts ändern. Im Gegenteil: Unsere Kundinnen und Kunden erleben individuelle Betreuung vor Ort und rasche Schadenbearbeitung durch schlaue Technologie gleichzeitig.

Welche konkreten Synergien erwarten Sie sich aus der Neustrukturierung Ihres Konzerns, insbesondere aus der Zusammenlegung der Ressorts Personenversicherung und Operations/Kundenmanagement?

Mit Gründung des Ressorts „Personenversicherung“ auf Holdingebene erfolgte zum 1. Januar 2025 die Zusammenführung der Kranken-, Pflege- und Reiseversicherung mit der Lebensversicherung. Durch die Bündelung der Vorsorgethemen kann der Konzern nun noch besser auf die gesellschaftlichen Herausforderungen reagieren.

Eigenvorsorge wird künftig sowohl in der Gesundheitsversorgung als auch in der Altersvorsorge eine wichtige Rolle spielen. Mit unserem Ressort Personenversicherung sind wir gut aufgestellt, um ein Gesundheits- und Vorsorgesystem mitzugestalten, das auf Effizienz, Generationengerechtigkeit und Nachhaltigkeit basiert. Nur durch gemeinsame Anstrengungen können wir in unserer Gesellschaft die Herausforderungen der nächsten Jahre und Jahrzehnte erfolgreich bewältigen und ein soziales Sicherungssystem schaffen, das für alle Generationen gut funktioniert.

Mit dem erweiterten Ressort „Operations Kundenmanagement“ setzt die Versicherungskammer den Fokus noch deutlich stärker auf die ganzheitliche Kundenreise. Dazu wurde zum 1. April 2025 auch der Bereich Schaden in dieses Ressort integriert, um die Schlagkraft neuer Technologien, wie Automatisierung und Digitalisierung in Betriebs- und Schadenprozessen, für ein effizientes Kundenmanagement zu nutzen. Der Schadenfall ist der Moment der Wahrheit, unsere Chance, das gegebene Versprechen einzulösen. Sowohl der Schaden- als auch der Operations-Bereich sind gut aufgestellt, und durch die Zusammenführung beider Bereiche entstehen Synergien, die ein gegenseitiges Lernen und Profitieren von Stärken und Erfahrungen ermöglichen.

Zwei Beispiele: Unser neues „Contact Center as a Service“ markiert einen wichtigen Meilenstein in der Kommunikation mit unseren Kunden. Die moderne Plattform ermöglicht die gezielte Weiterleitung von Anfragen, die über Telefon und Chat eingehen, an die passenden Mitarbeitenden. Dies schafft Effizienz und eine bessere Betreuung. Im Herbst 2024 sind wir für den Bereich Gesundheit, Pflege und Reise live gegangen, noch in diesem Jahr wollen wir den Prozess für weitere Sparten ausrollen.

Und Beispiel zwei: Unser im Schaden bereits etablierter Statustracker wurde nun auch im Leistungsbereich eingeführt und informiert Kunden über Statusänderungen zu einem Vorgang. Beispiele aus dem Krankenversicherungsbetrieb sind Antrag, Kündigung, Mitteilung, Schreiben, Unterlagen.

Auf der To-do-Liste für die nächsten Monate steht die Ausweitung und Übertragung von Prozessen, die in einem Bereich bereits angewandt und gut erprobt sind, auf weitere Bereiche, beispielsweise KI-Use-Cases und Automatisierung in der Rechnungsprüfung, die Erweiterung der digitalen Servicewelt und KI-gestütztes Wissensmanagement bei der Bearbeitung von Kundenanliegen sowohl im Bereich Leben und Kranken als auch im Schaden.

Welche messbaren Ziele haben Sie sich im Bereich Digitalisierung gesetzt, etwa beim Ausbau des Kundenportals oder der Service-Qualität?

Wir setzen seit 2014 auf umfassende Programme zur Digitalisierung und Automatisierung unserer Prozesse und unseres Kundenmanagements. Ziel aller Digitalisierungsinitiativen inklusive des Einsatzes von künstlicher Intelligenz ist es, die Effizienz in allen Arbeitsbereichen zu steigern, mehr Transparenz zu schaffen und digitale Interaktionen zur Verbesserung des Kundenerlebnisses auszubauen und zu stärken.

Unsere Kundenportale entwickeln wir stetig zu einer Digitalen Servicewelt weiter. Für unsere Privatkunden integrieren wir Portale, wie man sie bereits aus dem E-Commerce kennt: ein digitales Ökosystem, das Produktinformationen, Mehrwertservices und alle Aspekte rund um Verträge miteinander vereint. Darüber hinaus verknüpfen wir unsere erfolgreichen App-Angebote wie die App „Mein GesundheitsManager“ um ein nahtloses Kundenerlebnis zu bieten. Schon seit einiger Zeit sind unsere Services für Firmenkunden in den Bereichen betriebliche Altersvorsorge (bAV) und betriebliche Krankenversicherung (bKV) erfolgreich etabliert, und demnächst starten wir ein speziell auf die Bedürfnisse unserer kommunalen Kunden zugeschnittenes Portal.

Mit unserer Service-App „Mein GesundheitsManager“ (MGM) bieten wir unseren Krankenversicherten eine einfache, mobile und moderne Abwicklung rund um ihre Gesundheit. Bereits über 400.000 Versicherte und damit rund 30 Prozent unserer Kundinnen und Kunden der Bayerischen Beamtenkrankenkasse und der Union Krankenversicherung (UKV) nutzen die App. Die MGM-App ist heute unser stärkster Eingangskanal und wir arbeiten daran, ihn weiter auszubauen und pilotieren gerade eine integrierte Bezahlfunktion (Gini Pay).

Ein zentraler Faktor in unserer digitalen Transformation ist unsere Innovationseinheit „go.Innovation“, die eine konzernweite, kundenorientierte Innovationskultur etabliert hat, indem sie die technologische Weiterentwicklung und die Begeisterung für Innovation fördert – essenzielle Elemente, um zukunftsfähig und ökonomisch erfolgreich zu agieren. Die Aufgaben von „go.Innovation“ umfassen die Identifizierung und Bewertung neuer Trends und Technologien, die Spezifizierung, Umsetzung und Pilotierung von innovativen Projekten. Ein besonderer Schwerpunkt liegt dabei auf dem Innovationsfeld „AI für Prozesse“, welches maßgeblich zur Optimierung und Beschleunigung von Unternehmensabläufen beiträgt. Ein Beispiel für diese Schwerpunktsetzung ist der intelligente Wissensassistent VKBrain, der aktuell im Pilotbetrieb eingesetzt ist. Dieser Chatbot nutzt ein hochentwickeltes Sprachmodell und ist nicht nur in der Lage, den Kundenkontakt zu unterstützen, sondern auch die Effizienz und Qualität der Interaktionen erheblich zu verbessern. Innerhalb unserer KI-Initiativen haben wir zudem über 120 potenzielle Use Cases identifiziert, von denen einige bereits umgesetzt und erprobt wurden und werden.

Unser Ziel ist es, auch künftig in den Top Ten der Versicherer in Deutschland eine führende Rolle einzunehmen, indem wir fortlaufend innovative Lösungen für unsere Kunden entwickeln und unsere Prozesse stetig optimieren.

Wie sieht Ihre Strategie aus, um die persönliche Kundenberatung mit digitalen Services sinnvoll zu verzahnen, ohne die Beratungsqualität zu gefährden?

Digitalisierung optimiert nicht nur Prozesse oder senkt Kosten, sondern verändert Kundenerwartungen. Die digitale Transformation spielt auch in unseren Kundenservices eine immer wichtigere Rolle, egal ob in der Schadenprävention, zur Risikominimierung oder als konkrete Leistungsergänzung beispielsweise in der Krankenversicherung.

Value Added Services spielen in der Versicherungslandschaft eine entscheidende Rolle. Kunden verlangen neben traditionellen Versicherungsprodukten nach Lösungen, die ihrem Lebensstil und ihren individuellen Bedürfnissen gerecht werden. Um den Anforderungen gerecht zu werden, haben wir im Konzern Versicherungskammer einen neuen Service-Entwicklungsprozess ins Leben gerufen. Ziel ist die kunden-, vertriebspartner-, compliance-konforme und marktorientierte Servicegestaltung, sowohl in den Geschäftsfeldern als auch in Kooperationen mit Dienstleistern.

Value Added Services bieten lebensweltorientierte Leistungen, die über die reine Risikoabsicherung sowie klassische Serviceangebote, z.B. Leistungserbringung und Vertragsverwaltung, hinausgehen. Im Fokus steht die Customer Journey: Versicherte erwarten heute digitale Services, etwa im Gesundheitsbereich – von der Telemedizin bis zur elektronischen Patientenakte – und nutzen Gesundheitsangebote zunehmend über ihr Smartphone. Unsere digitalen Value Added Services wie der Digitale Hautarzt oder die Online-Herz Programme befriedigen dieses Kundenbedürfnis. Gleichzeitig bieten wir mit Value Added Services wie dem Kundenlotsen oder dem Reha Case-Management eine persönliche Begleitung für Betroffene an. Denn: Wir wollen für unsere Versicherten ein echter Partner sein, nicht nur Schadenregulierer und Kostenerstatter.

Ein weiteres Beispiel ist die Lebenswelt „Heim & Haus“, bei der die stete Wohnsicherheit im Vordergrund steht. Mit Partnern wie SURU/Grohe lassen sich durch intelligente Funkwasserzähler Leitungswasserschäden in Wohn- und öffentlichen Gebäuden vermeiden. So werden hohe Schadensummen verhindert, die Kundenbindung gestärkt und idealerweise neue Kunden auch gewonnen.

In der Kundenberatung gehen wir auch mit hybriden Anwendungen neue Wege, etwa mit unserer Live-Online-Beratung LION: ein interaktives Beratungstool, das Vermittler im persönlichen Online-Beratungsprozess unterstützt.

Wir verfolgen im Kundenmanagement generell die Service-to-Solution-Strategie: Kundenbedürfnisse werden da erfüllt, wo der Kunde sich meldet. Als regionaler Versicherer ist uns die Verankerung vor Ort wichtig – und das zeigen wir auch künftig durch unsere 4.800 Beratungsstellen, in denen wir persönlich für unsere Versicherten da sind. Durch die strategische Verzahnung von digitalen und persönlichen Serviceelementen wird also die Beratungsqualität nicht nur erhalten, sondern gesteigert

Welche Rolle spielen Kundenfeedbacks im laufenden Produktentwicklungsprozess und wie transparent werden daraus resultierende Maßnahmen kommuniziert?

Die erfolgreiche Erfüllung der Bedürfnisse unserer Kunden ist der Schlüssel zum Erfolg − und die Zufriedenheit unserer Kunden ist ein zentrales strategisches Ziel. Das Kundenfeedback gibt dabei die Richtung für unser kundenzentriertes Handeln vor und um unsere Produkte und Services weiterzuentwickeln.

Bei der Umsetzung von Produktvorhaben sind die Kundenanforderungen unser wichtigster Gradmesser. Kundenanforderungen können dabei sehr vielfältige Aspekte betreffen: Nicht nur die im Tarif enthaltenen Versicherungsleistungen spielen eine Rolle und werden in die Entwicklung einbezogen, sondern auch Anforderungen an unterstützende Serviceleistungen und an lebensphasenbegleitende Angebote.

Die Methoden zur Einbindung von Kunden sind vielfältig und reichen von Klassikern wie Medienrecherchen und Kundeninterviews über Kundenzufriedenheitsabfragen und Workshops mit potenziellen Kunden zur Einholung von Feedbacks zu bereits entwickelten Konzepten bis hin zu Fake-Door-Tests. All diese Methoden liefern uns wertvolle Hinweise und Ideen für die Produktgestaltung. Natürlich machen wir die Erkenntnisse auch transparent. Vielfach ergeben sich nämlich nicht nur Hinweise für die Produktgestaltung, sondern ebenso Ansätze für eine Optimierung der Kundenansprache oder unserer Prozesse.