„Wir hatten das zweitgrößte Schadenereignis in unserer Konzerngeschichte zu verzeichnen“

Quelle: Versicherungskammer

Der Konzern Versicherungskammer beendete das Geschäftsjahr 2023 mit einem der besten Ergebnisse seiner Geschichte. Und das, obwohl auch das zweitgrößte Schadenereignis in der Konzerngeschichte zu verzeichnen war. Zudem sorgte das Einmalbeitragsgeschäft für Rückgang bei den Einnahmen. Woran das lag und welche Erwartungen er an die Altersvorsorge-Reform knüpft, erklärt Andreas Kolb, Chief Financial Officer beim Konzern Versicherungskammer, im Interview.

Versicherungsbote: Wie zufrieden sind Sie mit der Gesamtentwicklung des Konzern Versicherungskammer? 


Andreas Kolb: Wir sind mit dem Geschäftsjahr 2023 absolut zufrieden. Angesichts Inflation und konjunktureller Schwankungen, um nur zwei kritische Beispiele der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung zu nennen, und vor dem Hintergrund, dass wir das zweitgrößte Schadenereignis unserer Konzerngeschichte zu bewältigen hatten, können wir auf eine überzeugend gute Gesamtleistung und Stabilität zurückblicken.

Versicherungsbote: Die Bruttobeiträge im gesamten Versicherungsgeschäft sind um 2,6 Prozent zurückgegangen. Wie plant der Konzern, auf diesen Rückgang zu reagieren, und welche Strategien werden verfolgt, um das Wachstum in den kommenden Jahren zu sichern?


Andreas Kolb: Der Rückgang bei den gesamten Konzernbeitragseinnahmen ist ausschließlich auf das Einmalbeitragsgeschäft Leben zurückzuführen. Die Sparerinnen und Sparer greifen derzeit marktweit durch die gestiegenen kurzfristigen Zinsen stärker auf klassische Anlageprodukte der Banken zurück. Das macht sich bei uns als traditionell starkem Bankassurance-Versicherer deutlich bemerkbar.
 Richtungsweisend für den Konzernerfolg mit rund 90 Prozent Anteil am Gesamtumsatz ist die Entwicklung bei den laufenden Beiträgen. Die laufenden Konzernbeitragseinnahmen 2023 übertreffen mit einem Wachstum von 4,4 Prozent sogar das durchschnittliche Wachstum der vergangenen 5 Jahre (rund 2,8 Prozent) deutlich. Darauf werden wir auch in den kommenden Jahren einen Schwerpunkt setzen, da profitables Wachstum für uns an erster Stelle steht.


Inwieweit hat die hohe Inflation und das Zinsniveau das Einmalbeitragsgeschäft und damit die Lebensversicherung beeinflusst?

Andreas Kolb:
 Das Einmalbeitragsgeschäft benötigt eine stabile Entwicklung bei Zins und Inflation. Im Vergleich zu anderen zinsinduzierten Anlageformen (z.B. Bundesanleihen) ist eine steigende Zinskurve, das heißt mit der Laufzeit zunehmende Zinsen, wichtig. Aktuell haben wir zwar ein eher atypisches Zinsumfeld, bei dem die Investition in längerfristige Anlagen nicht durch einen höheren Zins belohnt wird. Wir erwarten jedoch, dass sich die Zinskurve mit der Stabilisierung von Inflation und Zins bald normalisiert und damit die kurzfristigeren Anlagen gegenüber einer Versicherung gegen Einmalbeitrag an Bedeutung verlieren.


Wie kann die Attraktivität der Lebensversicherung generell erhöht werden und welche Rolle spielt dabei die Zinserhöhung?


Andreas Kolb: Die anstehende Altersvorsorge-Reform wird das Geschäft mit den laufenden Beiträgen in der Lebensversicherung fördern. Hier ist, im Interesse der Allgemeinheit, noch einiges von der Politik zu tun, sind es doch die Sicherheiten und Garantien einer privaten Vorsorge mit einer Lebensversicherung, die im Vorsorgefall die sozialen Sicherungssysteme entlasten.


Wir haben alle Szenarien im Blick und im Produktportfolio gegen Einmalbeitrag weiterhin Produkte, die flexibel auf einen Zinsanstieg reagieren (zertifikatgebundene Rentenversicherung): Das Geschäft gegen laufenden Beitrag ist in der Regel weniger zinssensitiv; dennoch passen wir unsere Produkte stetig entsprechend der Kunden- und Marktbedürfnisse an.

Die bilanzielle Schadenquote (brutto) in der Schaden- und Unfallversicherung ist deutlich gestiegen. Wie gehen Sie mit dieser Entwicklung um, und welche Schritte werden unternommen, um die Schadenquoten zu verbessern?


Andreas Kolb: Wir hatten das zweitgrößte Schadenereignis in unserer Konzerngeschichte zu verzeichnen. Die Schadenentwicklung war zudem durch marktweite, inflationsbedingte Anstiege in Kraftfahrt und durch die Kumulereignisse in Bayern belastet. Es wäre merkwürdig, wenn sich dies nicht auch in der Schadenquote ausdrücken würde. Insofern freuen wir uns zwar nicht über diese hohe Schadenquote, doch ist es umgekehrt eine positive Botschaft an unsere Kundinnen und Kunden, da wir ihnen ihre Schäden erstattet haben. Zudem federt die Rückversicherung die Belastung unseres Ergebnisses durch Kumulereignisse, wesentlich ab.

Die Aufwendungen für Versicherungsfälle (brutto) sind konzernweit gestiegen. Welche spezifischen Herausforderungen sehen Sie in der Schadenregulierung und wie können diese gelöst werden?

Andreas Kolb: Da ein Großteil der Schäden aufgrund der zunehmenden Elementarschadenereignisse zu verzeichnen ist, ist hier ein Zusammenwirken von Staat, Kommune, Versicherung und Kundinnen/ Kunden unumgänglich. Zwar können mit einer höheren Versicherungsdichte Schäden finanziell erstattet werden, doch kann damit alleine noch kein einziger Schaden verhindert werden, weshalb Prävention in Verbindung mit Aufklärung und Sensibilisierung hier die entscheidenden Stichworte sind.

In einem sich schnell verändernden Markt gestalten wir jedoch die Schadenbearbeitung sehr aktiv. Das tun wir zum Beispiel durch:

  • Maximale Digitalisierung der Prozesse
  • KI-basierte Entscheidungsunterstützung
  • Entwicklung zur datengetriebenen Schadenorganisation mit konsequentem Kundenfokus

Wie die Digitalisierungsstrategie der R+V aussieht

Wie sieht die aktuelle Digitalisierungsstrategie aus, insbesondere im Hinblick auf die Verbesserung der Kundeninteraktion und Effizienzsteigerung in internen Prozessen?

Andreas Kolb: Wir haben eine Vielzahl von Aktivitäten, die unsere Digitalisierungsstrategie ausmachen. Ich kann Ihnen einige Beispiele nennen, doch bei Weitem nicht alle.

  • Voll-digitale Schadenakte, weiterer Ausbau der Dunkelverarbeitung, automatisierte Belegprüfung, Bilderkennung, Spracherkennung, Fachdatenextraktion aus Mails, Statustracker, Einsatz von Drohnentechnologie bei Schadenermittlung etc.
  • Immer wieder Nutzung der Erfahrungen des digitalen Versicherers BavariaDirekt im Hinblick KI-Algorithmen zur Steuerung der Schadenbearbeitung und Betrugs- und Regresserkennung
  • Predictive-Modell zur Prognose der Kundenzufriedenheit mit der Schadenbearbeitung bereits zum Zeitpunkt der Schadenmeldung.
  • Wir sind der erste Kooperationspartner von Copart in Deutschland, womit wir einen exzellenten Kundenservice und eine erhebliche Erleichterung bei der Abwicklung von Kfz-Totalschäden für unsere Kunden bieten.
  • KI-gestützter Leckageschutz in Kooperation mit Grohe: Kund*innen mit (besonderem Risiko für) Wasserschaden erhalten kostenfreie Installation;

Die Versicherungskammer investiert verstärkt in zukunftsorientierte und nachhaltige Projekte. Können Sie näher erläutern, wie Nachhaltigkeitsaspekte im Kapitalanlagemanagement integriert sind?

Andreas Kolb: Unsere Verpflichtung zu mehr Verantwortung für unsere Umwelt zeigt sich in vielfältigen Maßnahmen: bei Investitionen in erneuerbare Energien und bei der Reduzierung unseres CO₂-Fußabdrucks im eigenen Geschäftsbetrieb sowie in unseren Kapitalanlagen.

Das zentrale Ziel unserer Kapitalanlage ist die langfristige und nachhaltige Erfüllbarkeit der versicherungsseitigen Verpflichtungen. Wir sind uns bewusst, dass die Gestaltung einer nachhaltigen Kapitalanlage ein wirkungsvoller Hebel sein kann. Unser Nachhaltigkeitsansatz für die Kapitalanlage ist entlang verschiedener Säulen aufgebaut. Er beinhaltet unter anderem die ESG-Integration, Ausschlusskriterien, die Berücksichtigung der wichtigsten nachteiligen Auswirkungen auf Nachhaltigkeitsfaktoren, Net-Zero, Impact-Investing und Active Ownership. Diesen Ansatz entwickeln wir als Unterzeichner der PRI entlang der sechs damit einhergehenden Prinzipien laufend fort.

Im Jahr 2023 legten wir unseren Umgang mit kohlefördernden Unternehmen mit einer Kohleposition fest und setzten uns im Rahmen der NZAOA konkrete Ziele, wie wir bis 2025 die Emissionen in unseren Kapitalanlagen verringern werden.

Im Rahmen der Klimastrategie setzte die Versicherungskammer bei den Kapitalanlagen frühzeitig auf die Asset-Klasse Infrastruktur und ist seit mehr als zehn Jahren ein Branchenvorreiter (Fokus auf Themen wie Energiewende, Digitalisierung und Daseinsvorsorge.)

In puncto Kapitalanlage möchte ich noch ergänzen, dass wir zum 1. April einen weiteren, bedeutenden Schritt beim Management von Kapitalanlagen gegangen sind. Mit Gründung der VK Real Estate können wir in einer marktnahen Aufstellung das Immobilienportfolio weiterentwickeln und als eigenständiges Unternehmen die Expertise perspektivisch auch Drittkunden zur Verfügung stellen.

Welchen Einfluss haben geopolitische Unsicherheiten, wie beispielsweise der Konflikt in der Ukraine, auf die Geschäftstätigkeit sowie die Risikobewertung?


Andreas Kolb: Die geopolitischen Unsicherheiten und die multiplen Krisen haben Einfluss auf die Kapitalmärkte insofern, als Unternehmen heute für eine Kapitalanlage wieder interessanter werden, als dies lange Zeit der Fall war. Gleichwohl gilt es diese Risiken im Underwriting zu beobachten und zu diskutieren.

Grundsätzlich liegt uns sehr daran, Unternehmen beim Transformationsprozesses hin zu einer nachhaltigeren Wirtschaft aktiv zu begleiten. Dazu gehört auch, dass wir einen Nachhaltigkeits-Prüfprozess für Großkunden in ESG-kritischen Branchen (z.B. Energieversorger, Recycling- und Massentierhaltungsbetriebe und Schlachthöfe bzw. aus dem Bereich Sach-Industrie-, Transport- und Technische Versicherung) eingeführt haben. Zudem fördern wir den Ausbau und die Versicherbarkeit von Lösungen zur nachhaltigen Energieerzeugung, z.B. „AGRI-Photovoltaikanlagen“, kombinierte und effektive Nutzung landwirtschaftlicher Flächen und Ressourcen und stellen den adäquaten Versicherungsschutz bereit.


Welche Faktoren das KV-Neugeschäft getrieben haben

Das Neugeschäft in der Krankenversicherung ist gestiegen. Welche Faktoren trugen zum Wachstum bei und wie soll diese Dynamik fortgesetzt werden?

Andreas Kolb: Wir sehen eine deutlich positive Entwicklung im Bereich der betrieblichen Krankenversicherungen. Diese wird nach unserer Einschätzung weiter zunehmen, da sich Unternehmen im Zuge des Fachkräftemangels hier als interessanter Arbeitgeber positionieren können. Zur Verwaltung der bKV-Verträge haben wir zudem neue digitale Lösungen entwickelt, welche eine einfache Handhabung ermöglichen und den Arbeitnehmenden die individuelle Möglichkeit bieten, ihren persönlichen Versicherungsschutz auszuweiten.

Auch sehen wir im Bereich der Pflegeversicherung noch erhebliches Potenzial, zunächst im Hinblick auf Aufklärung, ganz besonders aber - auch mit Blick auf den demografischen Wandel, in der Absicherung von Pflegeleistungen.


Angesichts des demografischen Wandels und des Fachkräftemangels, welche Strategien verfolgt der Konzern, um qualifiziertes Personal zu gewinnen und zu halten?

Andreas Kolb: Die Versicherungskammer bietet ihren Mitarbeitenden ein flexibles und wertschätzendes Arbeitsumfeld und einen zukunftssicheren Arbeitsplatz. Durch unser Smart-Working-Konzept, variable Arbeitszeiten, mobiles Arbeiten oder Workation-Tage ermöglichen wir weitreichende Flexibilität und eine solide Basis für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Flache Hierarchien und Weiterbildung/Spezialisierung schaffen die Möglichkeit, früh Verantwortung zu übernehmen. Qualifizierte Tätigkeiten können bei uns auch in Teilzeit ausgeübt werden. Ein Teilzeitmodell ist das Jobsharing – auch auf Führungsebene.

Diversity hat in der Versicherungskammer eine sehr hohe Bedeutung; ganz besonders auch im Bereich der Frauenförderung. Insgesamt zeichnet uns ein sehr aktives Diversity-Management mit einem Bottom-up-Ansatz und vielfältigen Arbeitsgruppen aus.
 
Im Social Media Bereich ist die Versicherungskammer als attraktive Arbeitgeberin präsent. Wir haben für bestimmte Bereiche unsere zielgruppengerechte Arbeitnehmeransprache weiterentwickelt und ausgebaut. So gelingt es auch im Berufseinsteigerbereich jährlich mehr als 100 junge Menschen für unsere Unternehmen zu gewinnen und auszubilden.


Wir bieten unseren Mitarbeitenden eine sehr gute betriebliche Altersvorsorge und last but not least eine gesunde Verpflegung (preisgekrönte Kantine mit Fokus auf Regionalität/Nachhaltigkeit), ein ganzheitliches Gesundheitsmanagement (eigenes Fitness-Studio, Sport- und Freizeitangebote, ärztliche Beratung und Betreuung etc.) oder Yoga- und Wanderwochenenden.

Wie bewertet der Konzern die zukünftigen Marktbedingungen und eigene Wachstumschancen, und welche spezifischen Herausforderungen sieht er auf sich zukommen?

Andreas Kolb: Wir sehen uns in einem anspruchsvollen Marktumfeld gut positioniert. Unsere multiplen Vertriebswege, verbunden mit einem stetigen Ausbau der digitalen Zugangswege, einem umfassenden Produktangebot für alle Zielgruppen und hervorragenden Arbeitsbedingungen sind eine gute Basis für weiteren Erfolg.

Gleichwohl ist uns bewusst, dass eine Reihe von Herausforderungen, ganz besonders im Zuge des demografischen Wandels sowohl bei den Fachkräften als auch den Kundinnen und Kunden, auf uns warten. Ganz abgesehen von den unterschiedlichen geopolitischen Szenarien, auf die wir uns bestmöglich versuchen einzustellen.