VHV-Vorstandssprecher: "Bauschäden verteuern sich"

Quelle: vhv.de

Sie versichern mehr als 121.000 Unternehmen im Baugewerbe. Die Situation scheint paradox: speziell in den Großstädten fehlt es an bezahlbaren Wohnraum, die Infrastruktur ist vielerorts sanierungsbedürftig. Zugleich klagt die Baubranche laut ifo-Institut über zurückgehende Aufträge und Stornierungen. Was läuft aus Ihrer Sicht hier falsch? Ist Deutschland kein Land zum Bauen mehr?

Die schlechten Nachrichten betreffen nicht die ganze Branche. Die Misstöne beziehen sich insbesondere auf den Wohnungsbau, vor allem den Einfamilienhausbau. In diesem Bereich haben wir in den begehrten Städten schon lange Probleme, angefangen vom Bauland über hohe Bauwerkskosten bis hin zu steigenden gesetzlichen Anforderungen. Die ungewöhnliche „Nullzinsphase“ hat das in den letzten Jahren überdeckt. Jetzt kommen aber alle Faktoren zusammen, hohe Preise und deutlich höhere Finanzierungskosten. Auch die Nebenkosten, vor allem für Energie, sind gestiegen. Die Politik hat zu einer weiteren Verunsicherung beigetragen, weil man Förderprogramme gestrichen und neue Anforderungen angekündigt hat. Niemand weiß genau, wie es mit dem Gebäudeenergiegesetz, aber auch mit anderen Abgaben wie der Grundsteuer, weitergeht. Jetzt warten die Haushalte erst einmal ab. Das ist verständlich.

Die von der Bundesregierung angekündigten, vorgelegten oder bereits beschlossenen Gesetzesvorhaben zur Beschleunigung von Verwaltungs-, Planungs- und Genehmigungsverfahren können an den genannten Faktoren übrigens wenig ändern, da sie - wenn überhaupt - zu zeitlichen Verbesserungen führen, nicht aber zu spürbaren Kosteneinsparungen.

Die betroffenen Betriebe profitieren derzeit noch von ihrem guten Auftragsbestand. Es sind noch rund 900.000 Wohneinheiten, die in der Erstellungsphase sind, bzw. sofort gebaut werden könnten. Wenn die von Ihnen angesprochenen Prognosen stimmen, wird sich das Ende des Jahres ändern. Dann könnte es einen spürbaren Einbruch im Wohnungsbau geben. Die Politik weiß das und wird versuchen, gegenzusteuern. Im Übrigen gilt, dass ein hoher politischer Druck auch immer für überfällige Reformen gesorgt hat. Deshalb bin ich zuversichtlich, dass wir mittelfristig günstigere Rahmenbedingungen und damit auch wieder mehr Bautätigkeit im Wohnungsbau sehen werden.

Mit dem Baugeschäft sind Sie im Ausland stark gewachsen und wollen sich zu einem europäischen Bauspezialversicherer entwickeln. Welche Märkte stehen dabei besonders im Fokus? Wie gehen Sie mit den regional unterschiedlichen Regelungen und Vorschriften um - spielen diese für das Versicherungsgeschäft überhaupt eine zentrale Rolle?

Wir sind heute bereits in der Türkei, in Österreich, Frankreich und Italien erfolgreich tätig und bereiten weitere risikoadjustierte Ländereintritte vor. Risikoadjustiert bedeutet, wir agieren mit Bedacht.

Ein Beispiel: Der französische Markt ist der größte Bauversicherungsmarkt in Europa und daher immer attraktiv für die VHV Allgemeine. Bereits 2007 haben wir für deutsche Baukunden, die in Frankreich einen Auftrag annehmen wollten, die französische Pflichtversicherung, die so genannte „Décennale Versicherung“ angeboten. In Frankreich gibt es nämlich, anders als in Deutschland, ein sehr weitreichendes und durch Pflichtversicherungen abgesichertes System gegen Baumängel. Mit der „Décennale“ werden die zehnjährigen Garantieansprüche abgedeckt. Als erster deutscher Versicherer hatten wir unseren Kunden bei Bauprojekten in Frankreich damit den geforderten Gewährleistungsschutz ermöglicht und so eine große Hürde aus dem Weg geräumt.

In anderen südeuropäischen Ländern, zum Beispiel in Italien und Spanien, gibt es ähnliche Versicherungssysteme wie in Frankreich, in der Regel aber weniger weitgehend. Aber auch hier und in weiteren Märkten wollen wir sukzessive unser Geschäft ausbauen und unseren dortigen Kunden Produkte und Services in VHV-Qualität bieten, zum Beispiel auch die Pflichtversicherung für Architekten und Ingenieure.

Sie betonen die Wichtigkeit von Prävention - auch mit Blick auf Bauschäden. Wie konkret können Versicherer dazu beitragen, dass Schäden schon im Vorfeld vermieden werden? Haben Sie hierfür Beispiele?

Wir tragen auf unterschiedliche Weise dazu bei, Bauschäden zu vermeiden. In erster Linie mit dem VHV-Bauschadenbericht, der nun schon im vierten Jahr erschienen ist und sich immer abwechselnd mit Hoch- und Tiefbauschäden befasst. Wir geben ihn gemeinsam mit dem Institut für Bauforschung Hannover, heraus. Er bietet einen aktuellen und umfassenden Überblick zum Thema Bauschäden und -mängel sowie zum Status der Qualität beim Planen und Bauen. Der Bericht soll dazu beitragen, von den Erfahrungen anderer zu lernen, den Austausch unter Experten zu fördern, wissenschaftliche Entwicklungen aufzuzeigen und damit Schäden zu verhindern.

Bei großen Bauvorhaben, die wir versichern, wie beim Neubau einer Autobahnbrücke, bieten wir das so genannte Risk Engineering an, eine Risikobegleitung vor Ort auf der Baustelle. Dabei geben unsere Experten Empfehlungen zur Schadensverhütung ab, wenn sie auf der Baustelle mögliche Gefahrenquellen erkennen.

Wenn wir Kunden im gewerblichen Bereich beraten, weisen wir darauf hin, dass es Sensoren und Durchlaufventile gibt, die Wasserschäden, welche verhältnismäßig häufig vorkommen und teuer sind, reduzieren können. Mobile Brandmeldeanlagen auf Baustellen tragen dazu bei, Brandschäden zu minimieren. Bei sensiblen Altbauten, wie zum Beispiel bei U-Bahn-Anlagen, ist ein Monitoring-Konzept des Versicherungsnehmers, das zum Beispiel Sensoren beinhaltet, die Voraussetzung dafür, dass wir das Projekt versichern.

Können Versicherer auch aktiv darauf hinwirken, dass nachhaltiger gebaut wird? Wie engagiert sich hier die VHV Allgemeine als wichtiger Partner des Baugewerbes?

Im Rahmen des VHV-Bauschadenberichts stellt die VHV immer wieder Expertenwissen zur Verfügung, auch zum nachhaltigen Bauen finden sich dort Best Practices und wissenschaftliche Erkenntnisse, die die Betriebe umsetzen können. Zudem veranstalten wir für die Baubranche im Februar den VHV-Bautag, bei dem Expertinnen und Experten aus Baugewerbe, Architektur und Recht Vorträge halten, auch zum nachhaltigen Bauen.

Darüber hinaus ist die VHV bei vielen Veranstaltungen aktiv, zuletzt bei der „80 Sekunden – Neues Bauen“ in Berlin.

Die Fragen stellte Mirko Wenig