„Mehr Privatanleger erkennen, dass an Aktien kein Weg vorbeiführt“

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Die Fondsgesellschaft Fidelity konnte im Jahr 2020 gute Zahlen vermelden: 1,24 Milliarden Euro sammelte man im Wholesale-Geschäft ein. Christian Machts, Wholesale-Vertriebsleiter für Deutschland, Österreich und Osteuropa bei Fidelity International, berichtet im Versicherungsbote-Interview über ein gestiegenes Interesse an Aktien und Fonds in Deutschland.

Versicherungsbote: Deutschland gilt als Land der Aktien-Muffel: 12,35 Millionen Menschen besitzen nach Angaben des Deutschen Aktieninstituts (DAI) Anteilsscheine von Unternehmen und/oder Aktienfonds. Die Aktionärs-Quote ist niedriger als in anderen Industrienationen. Was sind aus Ihrer Sicht Gründe hierfür?

Quelle: FidelityChristian Machts: Die Deutschen sind im Vergleich zu anderen Ländern in der Tat eher Sparer als Investoren. Die Gründe dafür sind vielfältig. Wir haben aber gerade in der Corona-Krise gesehen, dass langsam ein Umdenken einsetzt. Noch nie gab es in Deutschland so viele Anleger wie heute. Gerade junge Leute entdecken derzeit die Vorzüge von Aktien und Co. - da haben niedrigschwellige Angebote wie etwa Sparpläne einen wichtigen Beitrag geleistet.


…was können Finanzdienstleister und Vermögensverwalter tun, um die Aktienmüdigkeit der Deutschen überwinden zu helfen? Macht die Branche schon genug?

Wir müssen an mehreren Themen arbeiten. Einmal ganz praktisch in unserem Kernbereich des Produktangebotes. Wir müssen unkomplizierte, transparente Produkte mit einer überzeugenden Kostenstruktur anbieten. Vermögensverwalter wie Fidelity tun das schon seit langem, aber wir können sicherlich noch mehr dafür werben.

Andererseits müssen wir die Finanzbildung stärken. Anleger müssen mit dem entsprechenden Wissen ausgestattet werden, damit sie fundierte Investmententscheidungen für ihre finanzielle Vorsorge treffen können. So stärken wir auch langfristig das Vertrauen in die Kapitalmärkte.

Wir befinden uns in Zeiten dauerhaft niedriger Zinsen, was auch der EZB-Politik geschuldet ist. Mittlerweile argumentiert selbst der Verbraucherschutz, dass es ohne Aktien und Fonds nicht mehr funktioniert, erfolgreich sein Geld zu mehren. Profitieren Sie als Anbieter von den niedrigen Zinsen? Beobachten Sie eine steigende Nachfrage bei privaten Anlegern?

Wir profitieren insofern, weil immer mehr Privatanleger erkennen, dass an Aktien kein Weg vorbeiführt. Das Sparbuch hat ausgedient und viele Menschen schauen sich nach Alternativen um. Viel bewegt sich im Bereich Immobilien, aber eben auch bei Lösungen am Kapitalmarkt.

Hinzu kommt meiner Meinung nach, dass Fidelity und andere Anbieter auch dem wachsenden Bedarf nach nachhaltiger Geldanlage begegnen. Gerade jungen Menschen ist es wichtig, ihr Geld nachhaltig anzulegen. Und hierfür bieten wir als Branche seit vielen Jahren attraktive Möglichkeiten an.

Aktiv und passiv sind kein Widerspruch mehr!

Stiftung Warentest und viele Medien empfehlen unerfahrenen Anlegern das Investment in ETFs: die Kosten seien niedrig, die Risiken überschaubar. Sie gelten als Unternehmen, das seine Investments aktiv managt – bieten aber auch seit 2017 ETFs an. Wie verbinden Sie beide Welten: aktives Management und die Abbildung von Indizes?

Wie Sie es richtig formuliert haben, ist aktives Management fester Bestandteil unserer DNA und soll es auch bleiben. Aber: Aktiv und passiv sind kein Widerspruch mehr! Wir bieten beispielsweise aktive ETFs an. Das heißt, mit unseren ETFs kombinieren wir die Vorzüge beider Welten: Zugang zu unserem aktiven Know-how auf einer Seite und gleichzeitig niedrige Kosten auf der anderen Seite.

…sind ETFs tatsächlich das risikoarme Investment, als das sie gern beworben werden?

Aktive Fonds sind flexibler und können über verschiedene Gewichtungen gerade in Abwärtsszenarien reagieren, während passive ETFs nur einen Index abbilden. Da nimmt man jeden Kursrücksetzer mit, denn es gibt keinen Fondsmanager, der reagieren kann. Gleichzeitig können gerade diese Abweichungen vom breiten Index natürlich auch ein Risiko darstellen, wenn diese Schwerpunkte gerade nicht am Markt funktionieren. 


Da komme ich wieder auf unsere aktiven ETFs zurück, denn sie sind ein guter Kompromiss: Indem wir unser aktives Know-How in die Portfoliokonstruktion einbringen, können wir in die Indexgewichtung eingreifen, ohne das Marktprofil zu sehr zu ändern. Diese Portfolios sind breit-diversifiziert und günstiger als klassisch gemanagte Fonds.

Parteiübergreifend wird mit der Idee eines Staatsfonds nach norwegischem und schwedischem Vorbild geliebäugelt: Die Deutschen könnten so über Umwege ein Volk von Aktionären werden. Müssen private Anbieter einen solchen Konkurrenten fürchten? Wo sehen Sie Vor- und Nachteile eines Staatsfonds?

Zunächst: Die grundsätzliche Erkenntnis ist richtig. Wir müssen unser System der Altersvorsorge umstellen, denn die demographische Entwicklung wird dafür sorgen, dass uns das Umlageprinzip in der jetzigen Form vor riesige Probleme stellen wird.

In welcher Form das geschieht, darüber müssen wir uns als Gesellschaft verständigen. Wenn ich mir die Wahlprogramme der Parteien anschaue, stimmt mich das aber optimistisch. So gut wie alle scheinen das Problem erkannt zu haben und einige gute Vorschläge liegen auf dem Tisch, die Kapitalmärkte stärker für unsere Altersvorsorge zu nutzen.

Nachhaltigkeit ist keine Modeerscheinung

Sie werben auf Ihrer Webseite mit nachhaltigen Investments und berücksichtigen ESG-Kriterien: also Kriterien der Umwelt, sozialen Standards und einer nachhaltigen Unternehmensführung. Wie stark ist Fidelity in ESG investiert?

Fidelity lebt Nachhaltigkeit – im Investmentprozess, bei der Interessenvertretung und firmenintern. All das fließt in unsere Fonds und ETFs ein, nicht nur bei unserer nachhaltigen Produktfamilie. Über 50 Prozent bzw. über 100 Mrd. USD der europäischen Fidelity Assets sind als nachhaltig klassifiziert (Artikel 8 der Offenlegungsverordnung). Damit sind wir laut Morningstar von März 2021 unter den Top 10 Fondsgesellschaften in Europa.



Die Evaluierung von ESG-Kriterien muss weiter verbessert werden. Fehlt es hier an verlässlichen Standards? Muss vielleicht der Gesetzgeber strengere Vorgaben machen, um Greenwashing mancher Vermögensverwalter zu verhindern?

Auf europäischer und deutscher Ebene wird aktuell ein umfangreiches Regelwerk etabliert. Wir unterstützen das, denn die Investmentbranche muss sich noch nachhaltiger ausrichten. Ein Kernproblem bleibt die Uneinheitlichkeit: Viele Nachhaltigkeitsratings sind für sich genommen solide, aber sie verwenden unterschiedliche Methoden. Das kann am Ende dazu führen, dass dasselbe Unternehmen in einem Rating ein Klimasünder und im anderen ein Klimavorreiter ist. Das verstehen viele Anleger nicht. Aus diesem Grund verlässt sich Fidelity nicht nur auf die Daten von Drittanbietern, sondern erstellt ein hauseigenes, nach vorn blickendes Nachhaltigkeitsrating.


Anlageexperten warnen vor einer „grünen Blase“, das Magazin Focus schreibt gar abfällig von einer „billionenschweren Börsenhipsterei“. Aus Ihrer Sicht begründete Ängste? Könnte das vermehrte Investment in Nachhaltigkeit zu einer Marktverwerfung wie bei der Dotcom-Blase oder der Immobilienblase am US-Markt führen?

Nachhaltigkeit ist keine Modeerscheinung, die an den Kapitalmärkten aufgebauscht wird. Wir sprechen über nichts weniger als die größte Herausforderung unserer Zeit, insofern sind die Geldflüsse in entsprechende Anlagevehikel nachvollziehbar. Nicht nur wir sehen derzeit keine Blase. Das Thema ist komplex, aber im Grunde erachten wir die Bewertungen für ESG-starke Unternehmen im Vergleich zu Nachzüglern als gerechtfertigt. Die strukturellen Wachstumstreiber im Zusammenhang mit der Dekarbonisierung der Welt werden auf Jahrzehnte Bestand haben und Unternehmen stützen, die sich daran anpassen.



Hinweis: Der Text erschien zuerst im Versicherungsbote Fachmagazin 02/2021.