Rente: „Die Zeit für unangenehme Wahrheiten ist jetzt gekommen“

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Happacher:Um es kurz zu sagen: Es reicht eben nicht, zum Renteneintrittsdatum ein Sparvermögen von 200.000 Euro in Aussicht zu stellen und die Menschen dann damit allein zu lassen, wie sie das auf ihr Leben aufteilen. Im schlimmsten Fall ist noch Leben übrig, wenn das Geld aufgebraucht ist, sodass die Senioren nach einem langen, arbeitsreichen Leben und einem anfänglich auskömmlichen Ruhestand am Ende doch noch auf die staatlichen Sicherheitsnetze angewiesen sind. Das kann ganz sicher nicht im Interesse der Gesellschaft sein. Deshalb: Wer JA zur kapitalgedeckten Ansparphase sagt, muss auch JA zur kollektiven Auszahlungsphase sagen. Das sind zwei Seiten derselben Rentenmedaille.

Lässt sich Ihr Plädoyer für einen stärkeren Fokus auf die Auszahlphase auch als Argument für eine längere Lebensarbeitszeit verstehen?

Happacher: Wichtig ist, dass die Gesellschaft und die Politik auch bei dieser Stellschraube des Rentensystems eine ideologiefreie Debatte beginnt, die auf dem unumstößlichen Fakt fußen muss: Wie lange ein einzelner Mensch lebt, wird immer ungewiss bleiben. Aber sicher ist, dass die statistische Lebenserwartung seit Jahrzehnten steigt und sich diese Entwicklung auch aktuell fortsetzt. Dazu kommt, dass ungefähr die Hälfte aller Menschen länger leben wird, als es die statistische Lebenserwartung anzeigt. Dem muss ein nachhaltiges Altersvorsorgesystem Rechnung tragen und gleichzeitig einen Kompromiss finden, der zum einen Härtefälle abfedert und zum anderen Generationengerechtigkeit sicherstellt – denn nur so kann der soziale Friede gewahrt werden. Am Ende werden alle Beteiligten Zugeständnisse machen müssen. Hierzu gibt es von zahlreichen Experten seit Langem verschiedene Vorschläge: Sei es, das fixe Renteneintrittsalter oder auch eine Lebensarbeitszeit für den abschlagsfreien Zugang in die Rente an die Entwicklung der Lebensentwicklung zu koppeln. Diese Gedanken sollten als ein Baustein einer umfassenden Rentenreform ohne Denkverbote weiterverfolgt werden.

Ein weiterer Punkt, den Sie bemängeln, ist die Intransparenz bei der Verwendung von Steuerzuschüssen. Wie lautet Ihre Forderung hier konkret?

Happacher: Wir bewerten nicht die Höhe oder Angemessenheit der Steuerzuschüsse. Wir fordern aber eine wahrhaftige und auf Fakten basierende Debatte über die Finanzierbarkeit der tragenden Säule unseres Alterssicherungssystems. Denn wenn die Politik alle Probleme der gesetzlichen Rente durch immer höhere Steuerzuschüsse lösen will – was ihr gutes Recht wäre – muss sie auch so auch ehrlich sein und sagen, wo das Geld herkommen soll. Über reines Wirtschaftswachstum wird das nicht finanzierbar sein. Also gibt es drei Lösungen: Staatsverschuldung erhöhen, an anderer Stelle Ausgaben kürzen (nur wo?) oder Steuern erhöhen (aber welche?) bzw. eine Mischung aus allem.

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