Rentenreform - Müssen die Säulen der Altersvorsorge rätselhaft bleiben?

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Wie kann das deutsche Rentensystem dauerhaft zukunftsfähig gemacht werden? Die Ergebnisse einer von der Bundesregierung eingesetzten Rentenkommission, die entsprechende Vorschläge für eine Rentenreform ausarbeiten sollte, werden von Experten als eher enttäuschend bewertet. In einem Gastkommentar schlägt Susanne Heitzler weitgehendere Eingriffe ins Rentensystem vor. Heitzler ist Diplom-Finanzwirtin und Produktentwicklerin beim Schweizer Finanzdienstleister SecuPart Vorsorge AG.

In Deutschland wird eine unergiebige Diskussion über die Zukunft der Altersvorsorge geführt, die um die immergleichen Begriffe kreist: „Rentenniveau“, „doppelte Haltelinie“, „Extrarente“ und „Grundrente“ seien hierfür als Beispiel genannt. Auch die enttäuschenden Ergebnisse der Rentenkommission haben keine Alternativen aufzeigen können, da sich die Kommission von vorn herein auf diese Themen versteift hat und nur kosmetische Korrekturen vorschlug. Stattdessen müsste ein zukunftstaugliches Reformkonzept entlang der folgenden Grundlinien, die in anderen europäischen Ländern teilweise erfolgreich verwirklicht sind, entwickelt werden:

  1. ein stabiler verlässlicher Rentenkorridor in der gesetzlichen Rentenversicherung
  2. innerfamiliärer horizontaler Ausgleich von Beiträgen und Ansprüchen
  3. Beiträge oberhalb der Bemessungsgrenze von Kinderlosen (vertikaler Ausgleich)
  4. zusätzliche Pflicht-Altersvorsorge mit Mindestbeiträgen für Arbeitnehmer und Arbeitgeber
  5. Kapitalabfindung und Portabilität von Rentenansprüchen, auch international bei Arbeitnehmern aus außereupäischen Drittstaaten

1. Rentenkorridor

Quelle: Susanne HeitzlerMit der Entwicklung eines Rentenkorridors in der deutschen allgemeinen gesetzlichen Rentenversicherung würde die gesetzliche Rente nur noch eingeschränkt „beitragsäquivalent“ und lohnbezogen berechnet. Es wäre eine bedarfsunabhängige existenzsichernde Mindestrente gewährleistet. Hierfür müsste als Bedingung erfüllt sein, dass eine Mitgliedschaft (mit und ohne Beiträge) zu einem deutschen System der 1. Schicht der Altersvorsorge von mindestens 40 Jahren nachgewiesen werden kann, wohnsitzabhängig gezählt ab dem 18. Lebensjahr.

Einkommensabhängig einzahlen müssten alle, soweit keine anderweitige Mitgliedschaft in einem gesetzlichen Altersvorsorgesystem besteht. Die Höchstrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung würde auf die doppelte Mindestrente plafoniert. Die Mindestrente orientiert sich am gesetzlichen pfändungsfreien Betrag. Aktuell würde die Mindestrente abzüglich des Mindestbetrags zur Kranken- und Pflegeversicherung ca. 1.030 Euro netto betragen, die Höchstrente dementsprechend rd. 2.060 Euro.

Die Folge: dem Sozialstaatsgebot wird mit einer bedarfsunabhängigen Mindestaltersrente als eine Maßnahme gegen Altersarmut Rechnung getragen. Der Charakter der gesetzlichen Rentenversicherung als solidarische Sozialversicherung ist gestärkt (Rente wird nicht ausschließlich berechnet als „Lohnersatz“ für die bisherigen und möglicherweise künftig bezahlten Beiträge).

2. Innerfamiliärer Ausgleich

Zur Finanzierung der Rente sollte innerhalb der 1. Säule aufgrund gesetzlicher Pflicht zwingend ein partnerschaftlicher Ausgleich der Gutschriften für Ehepaare nach Ablauf jeden Jahres durchgeführt werden, um den Aufbau ausreichender eigener gesetzlicher Rentenansprüche für beide Beteiligten zu gewährleisten, nicht nur bei Scheidung (horizontaler innerfamiliärer Ausgleich). Unter Berücksichtigung einer verfassungsrechtlich gebotenen Besitzstandswahrung erfolgte danach sukzessive eine adäquate Kürzung der Hinterbliebenenansprüche auf niedrigere gestaffelte pauschale Versorgungszuschläge.

Die Folge: Es wird eine Entwicklung zu mehr innerfamiliärer Gerechtigkeit durch höhere eigene Rentenansprüche des wirtschaftlich schwächeren Partners zu Lebzeiten angestoßen. Die damit verbundene Kürzung der Hinterbliebenenansprüche ist ein zusätzlicher Faktor, durch den ein überproportionaler Anstieg der Leistungen verhindert wird. Weitere Folge wäre unter anderem, dass bei Beamten für nicht beamtete Ehe-/Lebenspartner, die mangels Einkommen keine eigenen Beiträge oberhalb eines bestimmten Betrages im Jahr zu der gesetzlichen Rentenversicherung zahlen, vom Staat laufend Beiträge geleistet und somit die (nicht kapitalgedeckten) zukünftigen staatlichen Beamtenpensionslasten tendenziell begrenzt werden. Dies wäre ein erster Schritt zum Abbau der Beamtenversorgung hauptsächlich zugunsten von Frauen mit direkter Stärkung der gesetzlichen Rentenversicherung.

3. Generationengerechtigkeit

Mit Blick auf die Generationengerechtigkeit bei der Finanzierung der gesetzlichen Renten-versicherung würde von Einkommen oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze von kinderlosen Einkommensbeziehern ein Solidarbeitrag zur gesetzlichen Rentenversicherung erhoben, der keinen individuellen zusätzlichen Rentenanspruch begründet. Dies ist ein Beitrag im Rahmen der Finanzierung der bedarfsunabhängigen Mindestrente von denjenigen Rentenbeziehern (insbesondere begünstigt werden damit Elternteile), die nicht aufgrund eigener gezahlter Beiträge rechnerisch einen Anspruch auf die Mindestrente bei Erreichen des gesetzlichen Rentenalters erworben haben.

Die Folge: In der allgemeinen Rentenversicherung wird die Einhaltung des Rentenkorridors beitragsfinanziert stärker abgestützt, jedoch nicht über ein für alle Beitragszahler höheres prozentuales Beitragsniveau (gilt auch für den horizontalen Ausgleich). Die Beiträge sind steuerlich voll abzugsfähig und die gesetzliche Rentenversicherung wird somit indirekt steuerlich stärker finanziert, nicht primär mit immer höheren Steuerzuschüssen aus dem Staatshaushalt.

...zusätzliche Altersvorsorge und Kapitalabfindungen

Darüber hinaus schlage ich vor, die zweite und dritte Säule der Altersvorsorge grundlegend zu regulieren. So muss es insbesondere Ziel der Politik sein, dass weit mehr Menschen als bisher auf eine Zusatzvorsorge zurückgreifen:

4. Zusätzliche Altersvorsorge

Zusätzliche Pflicht-Altersvorsorge mit steuerlich geförderten Mindestbeiträgen für Arbeitnehmer und Arbeitgeber wird für alle Arbeitnehmer in einer betrieblichen Altersvorsorge (2. Säule) gesetzlich vorgeschrieben. Von der Teilnahme an einer zusätzlichen betrieblichen Altersvorsorge kann nur befreit werden, wer nachweislich im Zusammenhang mit einer Mitgliedschaft in einer staatlichen Versorgung der 1. Säule eine Zusatzaltersvorsorge (z.B. Beamte, Mitgliedschaft bei einem Versorgungswerk) oder eine betriebliche Altersvorsorge bereits hat (eingeschränktes „Opting-out“).

Eine bestehende oder neue steuerlich geförderte private Zusatzvorsorge (3. Säule – „Riester“) ist mit der betrieblichen Altersvorsorge kostengünstig organisatorisch zu koordinieren. Ein staatlich regulierter Pensionsfonds könnte als Auffanglösung eine Weiterführung ermöglichen, falls ein Arbeitnehmer nach Ausscheiden aus dem Unternehmen seine kapitalisierten Ansprüche aus der koordinierten betrieblichen Vorsorgeeinrichtung in einen Pensionsfonds übertragen würde.

Die Folge: Wer erwerbstätig ist und/oder zusätzlich vorsorgt, der hat im Alter mehr Einkommen als jemand, der nicht, geringfügig oder zeitweilig erwerbstätig war und daher nur – aber immerhin – eine existenzsichernde Mindestrente bezieht.

5. Kapitalabfindungen

Wer als ausländischer Staatsbürger eines Drittlandes (außerhalb der EU und der bilateral angeschlossenen europäischen Länder wie die Schweiz, Norwegen und Liechtenstein) Deutschland definitiv verlässt und nicht mindestens 15 Jahre beitragspflichtig Mitglied in der allgemeinen gesetzlichen Rentenversicherung zum Ausreisezeitpunkt gewesen ist, erhält auf Antrag die nachweislich geleisteten Arbeitnehmerbeiträge in die deutsche gesetzliche Rentenversicherung als Kapitalabfindung erstattet. Diese Ausgleichsmöglichkeit dient der Entlastung von langfristig schwer kalkulierbaren Verbindlichkeiten der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung gegenüber ausländischen Anspruchsberechtigten aus Drittländern, die sich temporär befristet in Deutschland aufgehalten haben und zeitweilig erwerbstätig waren.

Die Folge: Für die Rückkehrer ist eine Kapitalabfindung zur Existenzsicherung im Heimatland vorteilhafter als mögliche geringe Ansprüche auf Rentenleistungen aus Deutschland in ferner Zukunft.
Eine Überführung der zu erstattenden Beiträge in ein staatliches Altersvorsorgesystem des Drittlandes, dessen Staatsangehörigkeit der Auswanderer hat, zur Begründung, Sicherung oder Erhöhung von Rentenansprüchen kann gegebenenfalls zwischenstaatlich vereinbart werden.

Zusammenfassung

Eine zukunftsfeste Stabilisierung des 3-Säulen-Systems der Altersvorsorge kann angesichts der demografischen und wirtschaftlichen Herausforderungen nicht damit erreicht werden, dass anstelle von strukturellen Anpassungen ein Mix aus höheren Beiträgen und Steuerzuschüssen sowie ein generell späteres Renteneintrittsalter als Allheilmittel gepriesen werden.