Kostet Überregulierung die Deutsche Wirtschaft 165 Milliarden Euro?

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Man muss hier anmerken, dass die GDV-Studie eine differenziertere Sicht auf Regulierung zeigt, weil sie Vorteile zumindest benennt. „Verbindliche Regeln, etwa zu Eigentums- oder Wettbewerbsfragen, sind einerseits unverzichtbar, damit sich die Wirtschaft entwickeln kann. Ab einem gewissen Regulierungsgrad überschreitet jedoch der Aufwand den Nutzen. Übermäßige Vorgaben führen bei Unternehmen zu unnötigen Kosten und können zudem Innovationen behindern, weil Firmen weniger Risiken eingehen“, heißt es hierzu im Pressetext des Verbandes. Zu den Nachteilen zähle darüber hinaus, dass zusätzliche Gelder für die öffentliche Hand anfallen, weil die Vorgaben von Behörden überwacht werden müssen.

Mit Blick auf einige Vorgaben, etwa die Solvenzberichte der Versicherer, trifft der GDV durchaus einen wunden Punkt. Sie sollen die Solvenzberichte auch den Verbrauchern einen Einblick über die Finanzstabilität der Versicherer liefern. Ein Ziel, das teils als verfehlt gelten muss: Oft voller Fachsprech und komplexer Berechnungen, finden sie kaum Leser. 2018 verzeichneten die Gesellschaften im Schnitt 33 Downloads im Monat (der Versicherungsbote berichtete). „Sowohl Umfang als auch Taktung der Berichte stehen oft in keinem Verhältnis zum Nutzen“, bemängelt GDV-Chefvolkswirt Wiener. Ein namhafter Versicherer habe im ersten Halbjahr 2018 alle 2,5 Wochen eine Meldung an die Aufsichtsbehörden abgeben müssen.

Studie durch die Unternehmer-Brille

Dennoch zeigt sich die libertäre Brille des Fraser-Institutes auch in der Studie des Versicherer-Lobbyverbandes: in einer radikal von Unternehmerinteressen geprägten Perspektive. Auffallend ist, dass im zugehörigen Pressetext die Sicht der Verbraucher komplett ausgespart bleibt. Der GDV argumentiert einseitig aus Sicht der Versicherer und anderer Wirtschaftsunternehmen.

Aber auch Privatpersonen haben unter Umständen ein Interesse an regulatorischen Eingriffen, etwa wenn sie dadurch von einer besseren Beratung profitieren oder von transparenteren Altersvorsorge-Produkten. So fehlt in dem GDV-Text der Hinweis, dass Solvency II und IDD-Umsetzungsgesetz als Antwort auf Verfehlungen der Versicherer entstanden sind. Verfehlungen, die zum Teil aus Regulierungslücken resultierten.

Ein Beispiel: Die EU-Reform der Versicherungsaufsicht unter Solvency II war eine Reaktion darauf, dass sich infolge der Finanzkrise 2008 Versicherer als systemrelevant entpuppten, wenn auch nicht so stark wie Banken. Oder wie es heißt: „Too big to fail“. Die Insolvenz eines großen Anbieters kann demnach eine Kettenreaktion provozieren, in deren Folge auch andere Versicherer und Finanzdienstleister existenzielle Probleme bekommen. Ob das ein ähnliches weltweites Erdbeben auslösen kann wie die Finanzkrise 2008, ist umstritten.

Prominentestes Beispiel: Der US-amerikanische Riese AIG konnte nach der Lehmann-Pleite nur mit Hilfe von Notkrediten des Staates überleben: er hatte sich unter anderem mit toxischen Papieren verzockt. Insgesamt 150 Milliarden US-Dollar an Steuergeldern steckte die US-Notenbank in den Konzern, bis er wieder auf die Beine kam und den Kredit auch zurückzahlen konnte. Ohne diese Finanzspritze hätten Millionen Menschen voraussichtlich ihren Versicherungsschutz und die Altersvorsorge verloren.